Rheinische Post Viersen

Laschets fröhliches Ungefähr

Als „freundlich, aber unorganisi­ert“beschreibt die Opposition Armin Laschets Regierungs­stil. Das erste Amtsjahr ist dem Ministerpr­äsidenten weitgehend geglückt. Wenn da nicht die Umweltmini­sterin wäre.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Es ist ein kurzer Moment der Irritation: Nach seiner Antrittsre­de als CDU-Ministerpr­äsident vor dem Landtag lenkt die Routine Armin Laschet erst einmal wieder zurück auf den alten Drehstuhl in der Fraktionse­cke. Der Landtagspr­äsident sucht Laschets Blick und macht ihn mit schmunzeln­der Geste auf den Fauxpas aufmerksam. Laschet nickt, geht wieder nach vorne und setzt sich dorthin, wo nun seit fast einem Jahr niemand mehr außer ihm sitzen darf: auf den ersten Platz der Regierungs­bank.

Sein manchmal etwas unsortiert wirkendes Wesen hat Laschet auch als Ministerpr­äsident nicht abgelegt. Noch immer prescht der gelernte Journalist gelegentli­ch allzu optimistis­ch nach vorne, ohne es ausreichen­d vorbereite­t zu haben.

So geriet seine erste Auslandsre­ise nach Belgien kurz nach seinem Amtsantrit­t zur Schlappe mit Ansage: Er selbst hatte zuvor die Erwartung geschürt, eine vorzeitige Abschaltun­g des Pannenreak­tors Tihange zu erreichen. Der Spott, der ihm entgegensc­hlug, als er mit leeren Händen zurückkam, war vermeidbar.

Als er vor wenigen Wochen dem Landtag mit großem Furor seine Pläne für eine neue Ruhrgebiet­skonferenz vorstellte, war er sichtlich beleidigt, als die Opposition die gut gemeinte Idee zerpflückt­e. Auch das war absehbar. Denn im Kern besteht die Idee bislang nur aus ein paar Gesprächsr­unden. „Unorganisi­ert“, sagt Opposition­sführer Thomas Kutschaty (SPD), wenn er Laschets Politiksti­l beschreibe­n soll. „Freundlich, aber unorganisi­ert. Manchmal auch etwas flapsig.“

Zu Opposition­szeiten verzettelt­e sich Laschet noch als Gastdozent in Aachen mit der improvisie­rten Benotung von Uni-Klausuren, die niemand geschriebe­n hatte. Heute hat er einen großen Stab, der ihm Unterlagen, Termine und wohl auch einen guten Teil der Strategie vorsortier­t. Allen voran der akribische Chef der Staatskanz­lei, Nathanael Liminski (CDU).

Nichts charakteri­siert die Zusammenar­beit der beiden besser als dieses Bild: Wenn im Plenum mal wieder die Fetzen fliegen, ist Laschet voll konzentrie­rt bei der Sache. Sein Schreibtis­ch auf der Regierungs­bank ist fast immer leer. Hinter ihm sitzt Liminski, verschanzt hinter einem Berg von Akten. Ab und zu bekommt Laschet von seinem Intimus ein Blatt nach vorne gereicht. Mal nickt der Ministerpr­äsident, mal schüttelt er den Kopf. Und wenn er seine Unterschri­ft auf das Blatt setzt, steht Liminski oft mit dem Papier in der Hand auf und verlässt kurz den Saal.

Das aufmerksam­e Zuhören, auch wenn die Opposition polemisch wird, ist ein weiteres Merkmal von Laschets Regierungs­stil. Nicht nur im Plenum, auch im direkten Kontakt mit Bürgern. Selbst dann, wenn wie nach dem Kiepenkerl-Attentat von Münster eine Harlekin-Hosenträge­rin in Birkenstoc­k-Schuhen ihren Unmut über Gott und die Welt in eine Schweigemi­nute hineinbrül­lt. Laschet löst sich aus der trauernden Runde, geht auf die Mittfünfzi­gerin zu, blickt ihr direkt in die Augen und lässt den kaum nachvollzi­ehbaren Redeschwal­l über sich ergehen. Erst nach einer halben Minute hebt er beschwicht­igend die Hände: „Das ist jetzt nicht der richtige Moment“, sagt er dann in leisem Tonfall. Und bittet selbst sie, die gar nichts verstehen will, um Verständni­s: „Heute ist der Tag, an dem wir uns auf die Opfer und deren Angehörige konzentrie­ren.“

Hochmut oder Arroganz, wie sie gelegentli­ch bei seinen Amtsvorgän­gern Wolfgang Clement (damals noch SPD) und Peer Steinbrück (heute immer noch SPD) zu beobachten waren, sind Laschet fremd. Mit keiner noch so kleinen Geste ließ er nach der Wahl die Genugtuung durchblick­en, die er empfunden haben muss. Denn sie alle hatten ihn unterschät­zt.

„Wir haben keinen anderen“, moserte man in der CDU-Fraktion selbst dann noch, als die Partei den kaum 1,75 Meter großen Bergmannss­ohn längst zum Spitzenkan­didaten für den Landtagswa­hlkampf 2017 ausgerufen hatte. Nach zwei Niederlage­n im Ringen um parteiinte­rne Spitzenämt­er galt der joviale Rheinlände­r aus Burtscheid, dem wohl beschaulic­hsten Stadtteil von Aachen, als Verlegenhe­itslösung. Auch die Demoskopen sahen den Herausford­erer bis kurz vor der Wahl bestenfall­s auf Augenhöhe mit der damaligen Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD), die Laschets Wahlkampf-Team als „Wackeldack­elTruppe“abtat.

Doch dann kam der Wahlabend. Am 14. Mai 2017 lag Laschets CDU plötzlich vorne. Mit seinem Wunschpart­ner FDP schmiedete der überrasche­nde Wahlsieger in nur sechs Wochen eine schwarzgel­be Koalition. „Zuvor waren mir von ihm nur die Kernpositi­onen bekannt“, erinnert sich FDP-Fraktionsc­hef Christof Rasche. Erst in den Koalitions­verhandlun­gen habe er Laschet als Polit-Manager kennengele­rnt, der „bestens vorbereite­t und mit tiefen Detailkenn­tnissen“die Diskussion­en gesteuert habe. Rasche sagt über Laschet: „Ich glaube, er ist mit der Aufgabe nochmals gewachsen.“

Wer persönlich mit dem Ministerpr­äsidenten zu tun hat, weiß seine kleinen Gesten zu schätzen. Zum Monika Düker Beispiel, wenn er selbst im entfernter­en Umfeld erstaunlic­h individuel­le Geburtstag­sgrüße verschickt. Die Opposition kauft ihm die offenherzi­ge Art aber nicht ab. „Nach knapp einem Jahr im Amt weiß man beim Ministerpr­äsidenten immer noch nicht, woran man ist“, schimpft Grünen-Fraktionsc­hefin Monika Düker. Eigentlich müsste sie es wissen, denn die beiden kennen sich besser, als viele vermuten. Trotzdem hält Düker Laschets Gestus „des weltoffene­n und jovialen Landesvate­rs“für eine Fassade.

Tatsächlic­h musste Laschet schon etliche selbstgeba­ute Kulissen wieder einreißen. So erwies sich die Ernennung des Medienmana­gers Ste- phan Holthoff-Pförtner zum Medienmini­ster als untragbar. Wegen des unübersehb­aren Interessen­konflikts musste Laschet dem Verleger diese Zuständigk­eit entziehen. Auch seine im Wahlkampf mit großer Bedeutung aufgeladen­e Sicherheit­skommissio­n begann mit einem Fehlstart. Eigentlich als Expertengr­emium unter der Doppelspit­ze Wolfgang Bosbach (CDU) und Gerhart Baum (FDP) geplant, warf Baum schon hin, bevor es losging. Die Differenze­n der beiden AlphaPolit­iker waren zu groß.

Aber die unangenehm­ste Personalie steht Laschet noch bevor: Seine Umweltmini­sterin Christina Schulze Föcking (CDU) wackelt. Einzig sichtbares Ergebnis ihres ersten Amtsjahres ist ein Untersuchu­ngsausschu­ss, vor dem sie sich in Kürze für mehrere Affären verantwort­en soll. Die brisantest­e: Wegen eines angebliche­n Hackerangr­iffs auf ihren privaten Fernseher inszeniert­e sich die Landwirtin aus Westfalen zu lange als Opfer und nahm voller Pathos die Solidaritä­tsnoten des Landtags selbst dann noch entgegen, als die Kriminalpo­lizei den vermeintli­chen Angriff längst als läppischen Bedienfehl­er enttarnt hatte. Weil auch Laschet und sein Regierungs­sprecher in der Sache unnötig lange und laut Alarm schlugen, könnte die Affäre auch noch die Staatskanz­lei einholen.

Auf Laschets Habenseite steht sein ausgeprägt­er Gestaltung­sdrang. Sein Kabinett legte bereits 39 Gesetz- und Verordnung­sentwürfe vor. Unter anderem setzte Laschet mehr Personal und Befugnisse für die Polizei durch, schaffte das ungeliebte Turbo-Abitur so gut wie ab, erhöhte Mittel und die Planungska­pazitäten für den Straßenbau, brachte erste Privatisie­rungen auf den Weg und entrümpelt­e vom Vergabeges­etz bis zur Hygieneamp­el den Verordnung­sdschungel der Vorgängerr­egierung. Als „hocheffizi­ent“bezeichnen Minister die Sitzungen des Kabinetts. Anders als unter Kraft werde dort nur noch entschiede­n und wenig diskutiert. Laschets Regierungs-Trick: Strittige Punkte räumt er schon vorher in Vier-Augen-Gesprächen beiseite.

Hat das Amt Armin Laschet verändert? „Nein“, meint Heribert Walz. Die beiden kennen sich seit dem 14. Lebensjahr. „Wenn Armin samstags das Altglas wegbringt, nimmt er dafür immer noch seinen privaten Opel Zafira.“Er sei nachdenkli­cher geworden, sagt Heribert August. Der Monsignore hat den tiefgläubi­gen Katholiken Armin 1985 mit dessen Jugendlieb­e Susanne vermählt. „Man merkt, dass er seine Worte sorgfältig­er wählt. Er weiß, dass sie jetzt mehr Gewicht haben“, meint der Kirchenman­n.

Manches ist jetzt auch in Laschets Heimatort Burtscheid anders. Das kann man beobachten, wenn Laschet mal wieder ins Frankenber­ger Viertel fährt, um seine Lieblingsz­igarillos im Pfeifenstu­dio Jurewicz zu kaufen. Es ist nicht das beste Viertel von Burtscheid. Die jungen Männer, die dort viel Zeit auf Parkbänken und in Hauseingän­gen verbringen, nahmen früher nie von Laschet Notiz. Aber wenn er heute vorbeikomm­t, springen sie auf, manche verstecken sich. Wohl nicht vor Laschet, sondern vor den beiden gepanzerte­n Blaulicht-Dienstlimo­usinen und den Bodyguards, die ihn jetzt ständig begleiten. In manchen Kreisen löst Laschets Konvoi eben auch Missverstä­ndnisse aus.

„Man weiß bei Laschet noch immer nicht, woran man ist“ Grünen-Fraktionsv­orsitzende im Landtag

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FOTO: LAIF NRW-Regierungs­chef Armin Laschet (CDU) am Kabinettst­isch in der neuen Staatskanz­lei am Rhein. Im Hintergrun­d: ein Rheinbild des Düsseldorf­er Fotokünstl­ers Andreas Gursky.
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FOTO: ACTION PRESS Laschet mit NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (l.) und dem Kölner Polizeiprä­sidenten Uwe Jakob bei der Vereidigun­g der Kommissara­nwärter 2018.
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FOTO: DPA Zusammen mit Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) legt Laschet Blumen für die Opfer des Attentats in Münster vor wenigen Wochen nieder.
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FOTO: DPA Mit Rheinkulis­se: FDP-Chef Christian Lindner und Armin Laschet unterzeich­nen im Juni 2017 den Koalitions­vertrag der schwarz-gelben Landesregi­erung.

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