„Unsere Stärke ist es, ruhig zu bleiben“
Borussias Rechtsverteidiger kennt sich mit schwierigen Situationen wie dem Saisonfinale heute aus, einen Abstieg hat er noch nicht erlebt.
Herr Jantschke, 2011 gab es schon mal ein Endspiel in Hamburg. Ist die Erinnerung noch da?
JANTSCHKE Komplett. So einen Tag, so ein Spiel vergisst man nicht. Es ging ja permanent hin und her, für den HSV ging es um nichts mehr, da wurden immer die Ergebnisse eingeblendet. Zwischenzeitlich waren wir gerettet, dann mal ganz weg – es war Wahnsinn. Als der Abpfiff kam und wir den Relegationsplatz hatten, waren wir erleichtert.
War die Relegation die Grundlage für alles, was danach passiert ist?
JANTSCHKE Das glaube ich schon. Ein Jahr in der Zweiten Liga ist schon nochmal was anderes und man weiß nicht, ob man sofort wieder hoch kommt. Es wäre sehr traurig für den Verein gewesen. Und die Art und Weise, wie wir uns gerettet haben, mit zehn Punkten aus den letzten vier Spielen, war etwas Besonderes. Dass wir im Jahr danach Vierter werden, konnte keiner ahnen, aber in dem halben Jahr vor der Relegation ist viel entstanden.
Jetzt könnte sich die Geschichte wiederholen, dass Borussia mit zehn Punkte aus vier Spielen noch etwas nicht mehr Erhofftes schafft. Es gibt einige Parallelen: Wieder ein Spiel in Hamburg, zuvor ging es gegen Freiburg, Frankfurt ist wie damals einer der Konkurrenten.
JANTSCHKE Für uns ist es aber ein ganz anderer Druck. 2011 ging es um Existenzen, im ganzen Klub, aber auch für uns Spieler. So einen Abstieg will man auch nicht unbedingt in den Knochen haben. Jetzt sind die Hamburger in der Situation.
Können Sie sich in die HSV-Spieler hineinversetzen?
JANTSCHKE Sicherlich. Aber für den HSV ist die Situation anders als damals für uns. Er hat ja schon zwei Relegationen gespielt. Und im vergangenen Jahr hat sich Hamburg auch am letzten Spieltag gerettet. Da sind also eine gewisse Erfahrung und ein gutes Nervenkostüm. Für uns war es 2011 eine große Herausforderung, wir hatten viele junge Spieler. Es war nicht ganz so einfach, mit dem Wissen umzugehen, welche Konsequenzen ein Abstieg haben würde für den Klub.
Jetzt geht es vergleichsweise um Luxusprobleme. Borussia ist mindestens Neunter und das ist fast ein bisschen zu wenig.
JANTSCHKE Es ist ein schmaler Grat. Als Spieler und Klub strebt man immer nach dem Maximum. Es wäre ja seltsam zu sagen: Wir haben die tollen Abende in der Champions League erlebt und wollen das nicht wieder haben. Gleichzeitig muss man realistisch sagen: Es gibt nicht viele Mannschaften, die immer einstellig geblieben sind in den letzten sieben Jahren. Und trotz einer schlechten Rückserie haben wir noch eine Chance, oben reinzurutschen. Es spricht für den Verein, dass alles ruhig geblieben ist. Vor vier Wochen nach dem Bayern-Spiel haben uns alle abgeschrieben …
Geht Ihnen das manchmal zu schnell?
JANTSCHKE Das ist halt so im Tagesgeschäft Fußball. Wenn du erfolgreich bist, wirst du in den Himmel gelobt, wenn du eine Durststrecke hast, wirst du niedergemacht – es geht immer in die Extreme. Ich kenne das Geschäft inzwischen lange genug und schaue da nicht mehr drauf. Unsere Stärke ist es, ruhig zu bleiben. Das sollten wir auch beibehalten, weil es sehr wichtig ist, um Konstanz drin zu haben. Klar, jeder will Vierter werden. Wir probieren immer das Beste, haben es aber in dieser Saison aus verschiedensten Gründen nicht so hingekriegt, dass wir die sechs, sieben Punkte mehr haben.
Es wurde viel über die vielen Verletzungen gesprochen, aber welche Gründe gibt es noch?
JANTSCHKE Die Verletzten sind nur ein Rädchen in der Geschichte. Auch ein paar 50:50-Entscheidungen beim Videoschiedsrichter waren gegen uns. Und wir Spieler haben Fehler gemacht, wir hätten es besser machen können. Wenn man fünf von sechs Spielen verliert, kann man nicht erwarten, dass man ganz Großes erreicht. Wir hatten jedes Mal ein Team auf dem Platz, trotz aller Verletzten, das die Gegner schlagen konnte.
Sind Sie jemand, der schaut, welche Punkte es gewesen sein könnten, die am Ende fehlen?
JANTSCHKE Eine Saison ist ein Prozess. Wir hatten in der Hinrunde Phasen, in denen wir vielleicht nicht den besten Fußball gespielt, aber viele Punkte geholt haben. In der Rückrunde hatten wir Spiele wie gegen Dortmund, in denen wir super gespielt, aber verloren haben. Bis zum Ende der Hinrunde waren wir stabil, dann sind wir eingebrochen, haben uns jetzt aber wieder auf dem Level stabilisiert, wo wir uns sehen. Aber so eine Durststrecke, wie wir sie hatten, ist schwer aufzuholen.
Wo sehen Sie sich selbst in dem Prozess der Saison? Auch für Sie war es ein Hin und Her, sie waren oft verletzt, haben dann einige Spiele gemacht …
JANTSCHKE Ich war zweimal in Phasen verletzt, in denen ich sicher meine Spiele gemacht hätte. Da nehme ich mich auch in die Pflicht, denn ein verletzter Spieler hat noch nie einem Verein geholfen. Verletzungen gehören dazu, aber man muss sich auch hinterfragen, was man besser machen kann. Die 14 Pflichtspiele, die ich gemacht habe, sind nicht unbedingt das, was ich mir vorstelle. Das ist auch mit Verletzungen zu erklären, aber ich weiß auch, welche Stellschrauben ich drehen muss.
Zum Beispiel?
JANTSCHKE Ich habe schon am Anfang der Saison meine Ernährung umgestellt, das ist ein wichtiger Faktor. Ich merke auch, dass ich älter geworden bin. Mit 18, 19, 20 ist es anders als jetzt. Da muss man sich bei gewissen Sachen einfach cleverer anstellen. Ich habe einen guten Weg gefunden, kann da aber sicher noch dran arbeiten.
Wird man also in der neuen Saison einen anderen Tony Jantschke sehen?
JANTSCHKE Vielleicht hat man ihn ja schon gesehen mit der Flanke gegenFreiburg (grinst). Aber ich werde mich sicher nicht neu erfinden, jeder weiß, was ich kann und was ich nicht kann. Ich probiere wie immer, dem Team zu helfen mit meinen Stärken. Und ich versuche meine Ruhe auch in schwierigen Situationen auszuspielen. Was das angeht, habe ich ein ganz gutes Standing, denke ich. Wie viele Spiele es dann sind, ist nicht mal so entscheidend, sondern vor allem, dass wir etwas erreichen. Es wäre toll, wenn wir hier wieder diese unbeschreiblichen Europapokal-Abende erleben könnten. Wenn das bedeutet, dass ich nur 18 statt 34 Spiele mache, würde ich lieber die 18 Spiele nehmen und solche Sachen erleben.
Ganz egal wird Ihnen aber nicht sein, wie viel Sie spielen.
JANTSCHKE Ich bin so ehrgeizig, dass ich alle Spiele machen will, natürlich. Aber ich muss doch auch realistisch sein und sagen: Die viereinhalb Jahre unter Lucien Favre waren für mich sehr speziell, weil ich fast jedes Spiel gemacht habe. Das gibt es auch nicht so oft. Deswegen nehme ich die Situation ganz relaxed und lasse die Dinge auf mich zukommen.
Dennoch: Mit Aktionen wie der angesprochenen Flanke setzt man Duftmarken. Waren Sie selbst erstaunt?
JANTSCHKE Ach, wieso? Wir haben vor ungefähr einem Vierteljahr angefangen mit einigen Jungs – Stindl, Vestergaard, Stindl, Grifo, Drmic und ich – mit Dirk Bremser ein paar Flankenabläufe zu trainieren in Extraschichten. Das haben wir jetzt eine Weile gemacht, und dass es sich jetzt auszahlt, ist schön. Aber es kommt ja auch drauf an, wie die Situation ist. Wären Raffael oder Lars vorne drin gewesen, hätte ich die Flanke nicht so geschlagen. Dann kann man eher auf außen kombinieren. Wenn man aber einen wie Josip vorne drin hat, kann man auch mit hohen Bällen arbeiten.
Ist das die Entwicklung in dieser Saison, es mit Ansätzen zu versuchen, die in Gladbach lange Zeit nicht angesagt waren? Flanken, lange Bälle, Standards?
JANTSCHKE Wir mussten das ja auch machen. Raffael hat ja einige Spiele gefehlt, da waren dann Raúl Bobadilla oder Josip Drmic dabei. Das verändert das Spiel. Insgesamt ist der Fußball ja wieder variabler geworden. Außerdem hat jeder Trainer seinen Ansatz, darauf muss man sich als Spieler einstellen. Natürlich kann man auch seine Ideen einbringen – das unterschätzen viele Fans, glaube ich. Dieter Hecking ist ein Trainer, mit dem man sehr viel kommuniziert. Mit ihm kann man sehr locker über vieles reden, und wenn man gute Ideen hat, ist er der Letzte, der nicht auch mal darauf hört. Aber er ist der Boss und entscheidet dann am Ende, wie es gemacht wird.
Schauen wir auf das Spiel in Hamburg: Es gibt Menschen, die sagen, wenn der HSV absteigt, wird das Stadion abgerissen. Was erwarten Sie dort?
JANTSCHKE Ganz genau kann ich mir da keine Vorstellung machen, ich habe zwar mehrere knappe Rettungen erlebt, aber noch keinen Abstieg.
Ist Borussia gerüstet für das Finale?
JANTSCHKE Fakt ist, dass beide Teams gewinnen müssen, es gibt nichts dazwischen. Daher werden beide Vollgas geben. Ich hoffe, dass es nicht zu verkrampft wird, sondern ein gutes Spiel. Und dann werden wir sehen, was noch geht für uns.
Platz sechs ist sogar noch möglich.
JANTSCHKE Leipzig hat das Derby in Berlin, Schalke die Revanche gegen Frankfurt, Stuttgart spielt bei den Bayern – aber alles ist egal, wir müssen unser Spiel gewinnen, wenn wir das nicht tun, hat sich alles andere erledigt.
Wie sieht die Zukunft aus? Sie greifen in der neuen Saison wieder in Gladbach an?
JANTSCHKE Warum sollte das nicht so sein? Ich habe meinen Vertrag ja nochmal bis 2021 verlängert und ich habe keine Signale, dass es andere Ideen gibt bei Max Eberl. Wir arbeiten ja auch lange genug zusammen, um klare Verhältnisse zu haben. Auch wenn diese Saison nicht ganz das war, was ich mir erhofft habe, fühle ich mich wohl hier, habe mir einen Status erarbeitet und spüre das Vertrauen des Vereins.
Auch das Vertrauen des Trainers?
JANTSCHKE Wir haben keine Probleme miteinander. Im Gegenteil. Dieter Hecking ist ein Trainer der alten Schule, er ist gerade heraus, das mag ich, so bin ich auch. Wenn wir ein Gespräch führen, knallt man sich die Wahrheit ins Gesicht und fertig. Und die Wahrheit ist, dass ich ein Drittel der Spiele gemacht habe und es wohl mehr gewesen wären, wenn ich nicht so lange verletzt gewesen wäre. Wenn es fünf Jahre so wäre, dass ich wenig spiele, würde ich mir meine Gedanken machen. Aber es ist nicht so.
Schauen Sie in der nächsten Woche das Pokalfinale?
JANTSCHKE Das hängt davon ab, wo ich bin und was ich gerade mache. Ob es für uns eine Bedeutung hat, wird sich in Hamburg klären. Wir wollen unseren Job machen, alles andere können wir nicht beeinflussen. KARSTEN KELLERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.