Rheinische Post Viersen

Münster – ein Ort zum Nachdenken

- VON LOTHAR SCHRÖDER

MÜNSTER 57.000 Hostien sind beim 101. Deutschen Katholiken­tag in den Eucharisti­efeiern ausgeteilt worden. Die Wahrschein­lichkeit, dass unter den Kommunions­empfängern auch viele Protestant­en waren, ist hoch. So blieb ausgerechn­et jene Handlung der Selbstkont­rolle jedes Einzelnen überlassen, die für die deutschen Bischöfe zuletzt Anlass zum Disput und zu einer Beratungsr­eise nach Rom gewesen ist.

Groß zur Sprache kam die gemeinsame Kommunion für konfession­sverschied­ene Paare nicht. Einmal aber doch, polemisch von Eckart von Hirschhaus­en: In der Rolle des Hofnarren beschwerte er sich bei Rainer Maria Kardinal Woelki vor großem Auditorium, dass er als evangelisc­her Christ und in konfession­sverschied­ener Ehe lebend, nicht an der Eucharisti­e teilnehmen dürfe. Wo er seine Steuern doch der römisch-katholisch­en Kirche entrichte: „Geben Sie mir mit Freude eine Oblate oder geben Sie mir das Geld zurück.“Der Kölner Erzbischof reagierte gelassen, indem er Hirschhaus­en versichert­e, dass seine Steuern gut angelegt seien, störte sich aber an dem Begriff der Oblate: „Ich würde als katholisch­er Christ niemals von einer Oblate sprechen. Die Verwendung des Begriffs zeigt, das wir beide darunter etwas ganz anderes verstehen: Für mich ist die Eucharisti­e das Allerheili­gste.“

Woelkis Worte wirkten nach. Tags darauf entschuldi­gte sich Eckart von Hirschhaus­en öffentlich: Es tue ihm leid, sollte er mit dem Begriff der Oblate Gefühle von Menschen verletzt haben. Seine Absicht sei es gewesen, dass Christen das Signal einer Gemeinscha­ft aussenden sollten, angesichts großer Herausford­erungen wie der Bewahrung von Schöpfung und Frieden.

Letzterer war in der Friedensst­adt für ein paar Stunden dann doch gestört, mit dem schon zuvor lang und breit dis- kutierten Auftritt des kirchenpol­itischen Sprechers der AfD, Volker Münz - mit erhitzten Gemütern, viel Trara und gar einer Demo von 1000 Leuten. Seit’ an Seit’ zogen antifaschi­stische Aktionsgru­ppen, Pfadfinder von St. Georg undVertret­er der Linksparte­i zur Münsterlan­dhalle. „Auf Nazi-Propaganda gibts kein Recht“stand auf einem Transparen­t; und: „Wir suchen Frieden. Nicht die AfD.“

Der Auftritt wurde dann auch für die Kirche zur Lehrstunde. Denn bei aller Dialogbere­itschaft, die man wie eine Präambel als großes Ziel aller Diskussion­steilnehme­r anvisierte, blieb es meist bei Provokatio­nen. Dass nach Meinung von Münz alle anderen Parteien mit ihrer Flüchtling­spolitik die Verantwort­ung dafür übernehmen müssen, dass hierzuland­e „islamistis­che Anschläge passieren, Messerstec­hereien und Vergewalti­gungen stattfinde­n“, konnte nicht unerwidert bleiben. Auch sein Diktum, dass Kirchenver­treter sich in keiner Weise in Politik einzumisch­en hätten, bedurfte der Korrektur. Dazu reichte in Münster allerdings der Verweis auf den Dom, in dem Kardinal von Galen (1878-1946) begraben liegt – ein „Kirchenver­treter“, der unerschroc­ken Widerstand gegen die Nazis geleistet hatte.

Doch alle Argumente blieben letztlich Reaktionen. Das Podium arbeitete sich an der AfD ab. Trotzdem war es richtig, einen Vertreter der AfD auf dem Katholiken­tag auftreten zu lassen. So konnte man die Erfahrung machen, ein solches Experiment nicht unbedingt zu wiederhole­n. Katholiken­tage sind zwar immer auch Orte der gesellscha­ftspolitis­chen Auseinande­rsetzung, nicht aber der politisch-diskrimini­erenden und ausgrenzen­den Selbstinsz­enierung.

Dabei ist Münster einer der politischs­ten Katholiken­tage seit Langem gewesen. Das ist ihm gut bekommen. Beim Abschlussg­ottesdiens­t gestern sagte Reinhard Kardinal Marx, dass in Münster kein Wohlfühlka­tholizismu­s geboten wurde, der um sich selbst kreist. In Münster haben Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanz­lerin Angela Merkel die richtige Bühne gefunden, Trumps Kündigung des Atomabkomm­ens deutlich zu kritisiere­n und zugleich den Blick auf ein Europa zu lenken, das ohne ein Bündnis mit den USA künftig kaum in der Lage sein dürfte, seine weltpoliti­schen Aufgaben wahrzunehm­en. Münster war kein Ort der Beschlüsse und scharfen Worte, sondern ein Platz des Nachdenken­s. Das ist sein guter Geist.

Natürlich kann man sich in Münster spielend leicht mokieren und amüsieren über das allseits grassieren­de Gutmensche­ntum des Treffens. Über den Preacher Slam in der Petrikirch­e, über das Speed-Dating, bei dem man seinem Gegenüber in Windeseile den eigenen Glauben zu erklären versucht, oder auch über die beiden, fast 80-jährigen Don-Bosco-Schwestern aus Magdeburg, die am „Rassismusk­ritischen Stadtrundg­ang“teilnehmen. Doch was hält eine Gesellscha­ft wie unsere überhaupt noch zusammen? Wo sind sonst die Foren, auf denen Anregungen, Irritation­en, auch Selbstverg­ewisserung­en zu erleben sind? Wer Wertedisku­ssionen nicht grundsätzl­ich für überholt und sinnlos hält, wird die Tage von Münster nicht hoch genug schätzen können – nicht nur, aber eben auch aus christlich­er Sicht.

Aber auch Münster kann nicht über die großen Zukunftsso­rgen der katholisch­en Kirche hierzuland­e hinwegtäus­chen, wie den inzwischen dramatisch­en Priesterma­ngel. Dagegen gab es auf dem Katholiken­tag großflächi­ge Plakatwerb­ung: „Priester werden ohne Abitur.“Der Pfleger Marc Heilenkött­er wird darauf als ein Berufener vorgestell­t. Ein gefundenes Fressen für Eckart von Hirschhaus­en. Seine Vorwürfe an die Kirche: „Sie verschärfe­n den Pflegemang­el und nehmen lieber Männer ohne Abitur als hochqualif­izierte Frauen.“Sicherlich, auch das war eine Polemik. Die Reaktion des Publikums ließ aber – dezent gesprochen – auf reichlich Wohlwollen für diese Sicht der Dinge schließen.

Münster war kein Ort der Beschlüsse und scharfen Worte, sondern ein Platz des Nachdenken­s

Newspapers in German

Newspapers from Germany