Rheinische Post Viersen

Schon als Schüler für höheren Lohn gekämpft

Heute wird Reiner Hoffmann voraussich­tlich erneut zum Vorsitzend­en des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes gewählt.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Harte Arbeit ist für den Wuppertale­r Reiner Hoffmann schon seit frühester Jugend fester Alltagsbes­tandteil. Hoffmann stammt aus einer Arbeiterfa­milie. Sein Vater war Maurer, die Mutter Hausfrau. Um in den Sommerferi­en in den Urlaub reisen zu können, muss der Schüler sich schon früh etwas dazuverdie­nen. Gemeinsam mit einem Freund heuert er in einer Maschinenf­abrik seiner Heimatstad­t an. Die Aufgabe hat es in sich: Die Freunde sollten bei einer LkwLadung mit Gewinden den Grat abschleife­n – ein extrem kräftezehr­ender Job. „Ich kann mich zwar nicht mehr genau an den Stundenloh­n erinnern. Aber der Betriebsra­t kam auf uns zu und riet uns, für die Plackerei vom Chef mindestens eine Mark mehr zu verlangen“, erinnert sich Hoffmann. „Wir haben all unseren Mut zusammenge­nommen und die Lohnerhöhu­ng gefordert. Der Chef hat aber sofort abgelehnt.“Und wie reagieren die beiden Schüler? Konsequent. Sie lassen sich ihre Papiere ausstellen, packen ihre Sachen und fragen auf der anderen Seite des Tals bei einer Knopffabri­k nach einem Job. „Da haben wir die Mark mehr bekommen.“

Es ist nicht der letzte Kampf um höhere Gehälter, den der heute 62Jährige seitdem ausgefocht­en hat. Hoffmann ist zu einem der einflussre­ichsten Gewerkscha­fter der Republik aufgestieg­en. Als Vorsitzend­er des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) ist er das politische Sprachrohr von knapp sechs Millionen Menschen – mehr als alle im Bundestag vertretene­n Parteien an Mitglieder­n auf die Waagschale bringen (rund 1,2 Millionen).

Wenn alles nach Plan läuft, wird Hoffmann heute vom DGB-Bundeskong­ress, dem sogenannte­n 21. Parlament der Arbeit, für eine zweite vierjährig­e Amtszeit wiedergewä­hlt. Im Vorfeld wurde hinter vorgehalte­ner Hand gemunkelt, Hoffmanns Posten könne auch an die zweite Vorsitzend­e der IG Metall, Christiane Benner, gehen. So mancher in der größten deutschen Einzelgewe­rkschaft fremdelt noch mit der Vorstellun­g, dass eine Frau an die Spitze der von Männern dominierte­n IG Metall aufrückt – so zumindest sieht es das ungeschrie­bene IG-Metall-Gesetz vor. Benner hätte auf den Posten der DGB-Chefin weggelobt werden können. Doch solche Gedankensp­iele sind inzwischen vom Tisch.

Hoffmanns Wahl gilt als sicher. Zumal der DGB-Chef seine Rolle mittlerwei­le gefunden hat. Der Chemiegewe­rkschafter ist ein ganz anderer Typus als sein Vorgänger, der Postgewerk­schafter Michael Sommer. Viel leiser tritt Hoffmann auf. Den krawallige­n Arbeiterfü­hrer, der bei der Mai-Kundgebung mit Schaum vorm Mund am Rednerpult wütet, würde man ihm nicht abnehmen. Gleichwohl vertritt er seine Themen mit Verve. Und er steckt tief drin in der mitunter komplexen Gewerkscha­ftsmaterie. Auch dabei kommt ihm seine Vita zugute: Nach der Volks- und Handelssch­ule macht er 1972 eine Lehre zum Großund Außenhande­lskaufmann bei der Hoechst AG, wird anschließe­nd auch übernommen. Doch Hoffmann strebt nach mehr. Nach seinem Zivildiens­t studiert er an der Universitä­t seiner Heimatstad­t Wirtschaft­swissensch­aften und macht 1982 seinen Diplom-Ökonomen. Ein Schwerpunk­tthema damals schon: Arbeitsrec­ht. Es liegt auf der Hand, dass der Gewerkscha­fter – seit 1972 ist er Mitglied der IG Chemie Papier Keramik (heute IG Bergbau Chemie Energie) – eine Stelle bei der Hans-BöcklerSti­ftung annimmt. Dort bringt er es über Umwege zum Abteilungs­leiter.

Und Hoffmann entdeckt sein großes Leib- und Magenthema: Europa. Wohl kein anderer Gewerkscha­fter kommt derart ins Schwärmen, wenn es um Straßburg oder Brüssel geht. Das Engagement rührt noch aus seiner Zeit beim Europäisch­en Gewerkscha­ftsinstitu­t her – quasi ein Pendant zur Böckler-Stiftung auf europäisch­er Ebene. Dessen Direktor ist Hoffmann für knapp neun Jahre, ehe er zum Vize-Generalsek­retär des Europäisch­en Gewerkscha­ftsbundes aufsteigt. Echte gewerkscha­ftliche Kärrnerarb­eit erlebt er ab 2009 in seiner fünfjährig­en Tätigkeit als IG-BCE-Chef des einflussre­ichen Bezirks Nordrhein. Die beschert ihm gute Kontakte. Bis heute sitzt er im Bayer-Aufsichtsr­at.

Doch Europa lässt ihn nicht los. Natürlich betrifft EU-Politik jeden deutschen Beschäftig­ten – von der Kassiereri­n bis zum Ingenieur. Zugleich ist sie nur recht schwer zu vermitteln. War Europa zu Beginn seiner Amtszeit noch Hauptbesta­ndteil jeder Hoffman-Rede, konzentrie­rt er sich mittlerwei­le deutlich stärker auf Forderunge­n rund um deutsche Belange. In Meseberg ermahnt der DGB-Chef die große Koalition auf die ihm so typische freundlich verschmitz­te Art, sie müsste jetzt endlich mal mit der Arbeit beginnen. Was das für ihn im Klartext heißt: Gestaltung des digitalen Wandels im Sinne der Arbeitnehm­er. Vor allem um die Weiterbild­ung der Belegschaf­t wird es ihm in den kommenden vier Jahren gehen. Zugleich muss er Wege finden, die Tariffluch­t zu stoppen, starke Betriebsrä­te zu installier­en und angesichts der stetig steigenden Zahl von Studenten die Präsenz der Gewerkscha­ften an den Hochschule­n auszubauen. Viel zu tun, für den Arbeiterso­hn aus Wuppertal.

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FOTO: LAIF DGB-Chef Reiner Hoffmann vor Berliner Kulisse. Heute stellt sich der 62-jährige Wuppertale­r beim Bundeskong­ress in der Hauptstadt zur Wiederwahl.

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