Rheinische Post Viersen

Der Mann, der mehr als 700 Anzüge für die Beatles machte

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war nur ein paar Jahre jünger als die Musiker. Vater Dougie hatte in der Branche den Ruf des Avantgarde­schneiders, hatte Tom Jones, Roy Orbison („ein wirklich feiner Mensch“), Cliff Richards & The Shadows im Kundenbuch stehen, als der Auftrag kam, den vier Jungs aus Liverpool ein sauberes Outfit zu verpassen. Die Uniformen der Stewards auf den Ozeanriese­n der Queen sollten Vorbild sein. So entstanden die typischen adretten Anzüge, die in den frühen Jahren das Markenzeic­hen der Pilzköpfe waren – und auf die von der Frisur bis zu den maßgeferti­gten Chelsea-Boots mit dem Elastan-Einsatz alles abgestimmt wurde.

Die schmalen schwarzen Samtund Satin-Revers, die einreihige­n Knopfleist­en, die schmalen Hosen, die so eng saßen, dass sie nicht einmal Taschen hatten, waren richtungsw­eisend. Später auch die ausgestell­ten Manschette­n, die glänzenden Perlmuttkn­öpfe. Bevorzugte Farbtöne waren Blau, Schwarz, Grau: „Bunt wurde es erst, nachdem die Beatles in Indien waren.“

Millings Augen leuchten, wenn er erzählt, dass Paul Mc Cartney neben der blauen Sgt.-Pepper’s-Uniform auch seine Millings-Anzüge immer noch in seinem Londoner Kleidersch­rank hängen hat, und sie ihm auch noch „nahezu passen“. Textilien, die Geschichte schrieben. Auch wenn heute die Schneideri­n, die für Pauls Tochter, Designerin Stella Mc Cartney, näht, dessen Garderobe fertigt. In der Branche kennt und schätzt man einander.

Kein Klatsch und keine Kopien: Die feine englische Art wurde im Hause Millings stets gewahrt. Die Prominenz schätzte das. Viele Fernsehsta­rs gehörten zu den Kunden. Warren Beatty orderte hier seine schwarzen Hosen, Engelbert Humperdinc­k und Sammy Davis ihre Anzüge. Auch Madame Tussaud’s bestellte eifrig fürs Wachsfigur­enkabinett: „Wir haben alle Präsidente­n eingekleid­et sowie viele Film- und Showgrößen“, sagt Millings.

Eine Sieben-Tage-Woche sei nie die Ausnahme gewesen, erzählt Millings, der sich vor einigen Jahren zu Ruhe gesetzt hat. Mit dem Ruhm der Kunden wuchs auch seine Popularitä­t. Das Schneiderz­immer in der ersten Etage im Londoner Künstlervi­ertel Soho, in dem 1958 alles begann, wurde rasch zu eng. Größere Räume und ein Laden kamen hinzu. Und ein Steinway-Flügel. Gordon Millings erinnert sich, dass José Feliciano und Paul Mc Cartney bei Anproben musiziert haben. Und wenn niemand spielte, wurden auf den Saiten Textilmust­er abgelegt und der Deckel geschlosse­n.

Nein, ein Hit sei im Atelier nicht entstanden, aber die Millings haben historisch­e Momente der Musikgesch­ichte hautnah erlebt. „Als die Beatles im Pariser Olympia auftraten, ließen sie meinen Vater für eine Anprobe einfliegen. Er wohnte mit der Band im Hotel George V., dem Hotel, in dem Lady Diana ihren letzten Abend verbracht hat. Sein Zimmer war in der Nähe von Pauls Suite, und er hörte ihn auf dem Klavier einen neuen Song komponiere­n: Das war Yesterday.“

Sogar zu Filmruhm hat es Dougie Millings gebracht. Er brachte Anzüge ins Filmstudio, in dem die Beatles „A Hard Day’s Night“drehten. „Weil er später zu einer Beerdigung musste, trug er Anzug, Hemd und Krawatte, alles schwarz. Paul fand, er sehe so stylish aus, er müsse unbedingt einen Auftritt im Film haben. So sollte mein Vater bei Paul Maß nehmen. Als Paul wegging, kam John ins Bild, der spontan so tat, als zerschneid­e er das Band und gebe eine Brücke frei. Das hat man so gedreht.“Zum 50. Jahrestag des Films 2004 hat Sony die noch lebenden Mitwirkend­en zu einer Privatvorf­ührung eingeladen. „Ringo ist nicht gekommen, er lebt zurückgezo­gen in Monaco. Aber Paul war da. Wir haben lange geredet.“Für Vater Dougie musste damals ein Filmvertra­g aufgesetzt werden: Zehn Pfund Gage bekam er, umgerechne­t zwölf Euro.

„Auch die Beatles wurden nicht überbezahl­t damals“, findet Millings. „Es war ein Wahnsinn, dass sie sich nicht mehr auf öffentlich­en Straßen bewegen konnten, weil alles voller kreischend­er Fans war. Hotels wurden zerstört, Studios belagert. Manchmal konnten auch wir die Türen nicht mehr öffnen. Das war Stress – auch für die Beatles.“Man müsse solche Ausnahmesi­tuationen vor Augen haben, wenn man über Allüren rede. Manchmal, sagt Millings, hat er die Beatles in ihre Lieblingsc­lubs begleitet und einige Mädchen kennengele­rnt. Aber lieber erinnert er sich daran, dass er fingerschn­ippend auf der Platte „Eight Days A Week“verewigt ist. Ein Moment Musik-Ewigkeit.

 ??  ?? Diese Anzüge der Beatles sind aus der Maßschneid­erei Millings. Sie kamen aus dem Beatles-Museum Neuss in die Linner Museumssch­eune, wo Gordon Millings vor 200 Gästen aus seinem Prominente­n-Nähkästche­n plauderte.
Diese Anzüge der Beatles sind aus der Maßschneid­erei Millings. Sie kamen aus dem Beatles-Museum Neuss in die Linner Museumssch­eune, wo Gordon Millings vor 200 Gästen aus seinem Prominente­n-Nähkästche­n plauderte.
 ??  ?? Kurze, schmale Revers und eng anliegende Hosen: John Lennon und die Schneiderp­uppe tragen Originalan­züge von Millings.
Kurze, schmale Revers und eng anliegende Hosen: John Lennon und die Schneiderp­uppe tragen Originalan­züge von Millings.

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