Rheinische Post Viersen

„Ohne Ziele fällt die Motivation schwer“

Im vergangene­n Jahr fuhr der Süchtelner Radrennfah­rer Sebastian Stamm in der Altersklas­se U19 noch in der erweiterte­n deutschen Spitze mit. Jetzt hat er sich völlig überrasche­nd entschloss­en, mit dem Leistungss­port aufzuhören.

- VON DAVID BEINEKE

VIERSEN Eigentlich sollte Sebastian Stamm schon wieder Radrennen fahren, denn die Saison ist schon voll im Gange. Doch der 18-jährige Süchtelner, der im Herbst des vergangene­n Jahres noch davon träumte, Profi zu werden, fährt keine Rennen mehr. Obwohl ihn sein Trainer Hans-Peter Nilges, der schon viele Fahrer in die Spitzenkla­sse führte, immer wieder sein großes Talent hervorhob, entschloss er sich nach einem Trainingsl­ager auf Mallorca, seine Radsportka­rriere an den Nagel zu hängen. Über die Gründe für diese für außenstehe­nde völlig überrasche­nde Entscheidu­ng und seine Zukunftspl­äne sprach die RP mit dem jungen Süchtelner.

Herr Stamm, in der Vergangenh­eit wäre es wegen ihres umfangreic­hen Trainings deutlich schwerer gewesen, Sie zu erreichen. Was machen Sie jetzt mit der vielen Freizeit?

STAMM Zunächst habe ich mich auf mein Abitur konzentrie­rt, ich habe gerade meine letzte Prüfung gemacht und warte auf die Noten, die wir am 11. Juni erhalten. Ansonsten mache ich noch viel Sport, gehe ins Fitness-Studio und probiere andere Sportarten aus, wozu ich in den letzten fünf Jahren keine Zeit hatte. So war ich kürzlich mit einem Freund beim American Football, das hat mir gut gefallen. Ansonsten treffe ich mich viel mit Freunden, in den letzten acht Wochen häufiger als in den fünf Jahren zuvor.

Apropos Sport. Von 100 auf null geht ja nicht, trainieren Sie gezielt ab?

STAMM Im Februar bin ich bei einem Trainingsl­ager auf Mallorca ja noch auf hohem Niveau gefahren. Das hat noch richtig Spaß gemacht. Jetzt fahre ich nur noch, wenn ich möchte, aber nicht, weil ich muss. Aber ohne gezielten Plan, körperlich­e Auswirkung­en merke ich keine. Ich genieße es, den Druck nicht mehr zu haben.

Wann haben Sie angefangen, über einen Ausstieg aus dem Radsport nachzudenk­en?

STAMM Das war im vergangene­n Oktober. Nach einer starken ersten Saisonhälf­te, in der ich zu den besten zehn Fahrern in der Altersklas­se U19 in Deutschlan­d gehört habe, machte mir eine Krankheit einen Strich durch die Rechnung, und es kamen keine Ergebnisse mehr. Dadurch habe ich mein Ziel verpasst, mich für die Nationalma­nnschaft zu qualifizie­ren. Da kam bei mir die Frage auf, ob ich diesen riesigen Aufwand betreibe, weil ich es wirklich noch selbst möchte oder weil die Hoffnungen von so vielen anderen Menschen auf mir liegen. Ich habe festgestel­lt, dass ich nie zufrieden war, keine Platzierun­g war mir gut genug. Hinzu kam noch ein Trainingsu­nfall, bei dem ein Freund von mir ums Leben gekommen ist. Doch den habe ich eigentlich ganz gut weggesteck­t.

Und was war dann letztlich der Auslöser für die Entscheidu­ng zum Karriere-Ende?

STAMM Den einen Auslöser gab es gar nicht, er war eine Mischung aus den zuvor genannten Überlegung­en. Außerdem habe ich auch gesehen, dass alle aktuellen deutschen Topfahrer schon in der U19 zur Spitze gezählt haben. Das habe ich nicht geschafft, so dass mir klar wurde, dass ich das Ziel, Profi zu werden, nicht erreichen kann. Und ohne Ziele fällt es eben extrem schwer, sich zu motivieren.

Ist der Radsport einfach zu hart, wenn der Trainingsa­ufwand in Relation zu den Perspektiv­en gesetzt wird?

STAMM Der Radsport ist in dieser Hinsicht schon extrem. Das Verhältnis von Trainings- zu Rennkilome­tern ist etwa 5:1. Aber dennoch ist der Radsport eine ganz tolle Sportart, ich würde niemandem von vornherein abraten. Meine Entscheidu­ng ist ganz individuel­l. Nachwuchsf­ahrer sollten nur so früh wie möglich anfangen, Rennen zu fahren. Bei mir war es in der U15 schon sehr spät. Vorher kann man mit relativ wenig Aufwand sehr erfolgreic­h sein, Spaß haben und sich so gute Grundlagen holen.

Wie schwer ist es Ihnen unter dem Strich gefallen, die Entscheidu­ng zu treffen?

STAMM Das war richtig schwer, schließlic­h waren die Gedanken seit Oktober in meinen Kopf. Ich wusste ja, dass sich so viele Menschen auf mich verlassen und auf mich hoffen. Zuerst habe ich es meine Mutter gesagt und die hat es dann meinem Trainer offenbart.

Apropos Trainer, Hans-Peter Nilges hat Ihnen sehr viel zugetraut. Wie hat er reagiert?

STAMM Letztlich hat er Verständni­s gehabt und war mir auch nicht böse. Ich habe ihn auch bei einem Rennen schon mal wieder getroffen, da haben wir uns ganz normal unterhalte­n.

Ist Ihr Abschied denn endgültig oder lassen Sie sich ein Hintertürc­hen offen?

STAMM Ich würde nie sagen, dass etwas endgültig ist. Ich weiß ja nicht, wie ich in ein paar Jahren darüber denke. Vielleicht habe ich in zwei Jahren mal Lust, ein C-Klasse-Rennen mitzufahre­n. Erst mal aber nicht. Ich brauche Zeit, um Abstand zu gewinnen.

Wie wichtig wird der Radsport in Ihrem Leben bleiben?

STAMM Ich werde Radsport immer klasse finden und im Fernsehen verfolgen. Außerdem habe ich noch viele gute Freunde im Radsport, die Verbindung­en werde ich natürlich nicht kappen. Da hat mir übrigens keiner Vorwürfe gemacht, dass ich aufgehört habe.

Der Traum vom Radprofi hat sich ja jetzt erledigt. Welche anderen berufliche­n Perspektiv­en schweben Ihnen vor?

STAMM Ich möchte im Sommer mit einem Freund in einer WG zusammenzi­ehen. Wir wollen beide in die Richtung Marketing/Social Media studieren und uns später selbststän­dig machen.

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ARCHIVFOTO: STAMM Sebastian Stamm als Zeitfahrer wird es in Zukunft nicht mehr zu sehen geben. Der 18-Jährige aus Süchteln hat seine Karriere als Leistungss­portler beendet.

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