Östliche Mystik, östliche Lehrstücke
Hesse und Brecht waren höchst unterschiedlich vom Fernen Osten fasziniert.
Das Buch ist eine große Überraschung. Hatten wir nicht geglaubt, das Thema „Hermann Hesse und der Osten“, über das viel geschrieben worden ist, könne nichts Neues mehr hervorbringen? „Siddhartha“und Hesses Buch „Aus Indien“sowie einige Erzählungen aus dem indischen Milieu sind uns vertraut. Karl-Josef Kuschel, emeritierter Professor in Tübingen, der in zahlreichen Büchern die Schnittmenge von Literatur und Religionen ausgelotet hat, zeigt nun, dass Hesse von seiner frühesten Zeit als Schriftsteller bis zum Lebensende im Osten nach Inspiration gesucht hat.
Eine Überfülle von Texten – Essays, Briefe, Erzählungen und Gedichte – belegen, wie der Dichter zunächst den Eltern und dem berühmten Großvater, sie alle IndienMissionare, nachfolgend sich für den Hinduismus begeistert, dann eine Wende zum Buddhismus vollzieht und schließlich im Taoismus, Konfuzianismus und Zen Heimat findet. Östlich-mystisches Gedankengut war ihm stets ein Korrektiv zum Christlichen und Europäischen. Hesse, der außer einer abgebrochenen Asien-Schiffsreise nie Mittel- und Südeuropa verlassen hat, las und verinnerlichte das ge- samte Schrifttum des Hinduismus, Buddhismus und Taoismus. So erleben wir einen Hesse, der sich nach den Kraftquellen des Ostens sehnte und bei ihnen Trost fand.
Im Vergleich dazu ist Bertolt Brechts Beziehung zum Osten karg. Buddhistische Themen verwandelte er in einigen bekannten Gedichten, einige seiner Theaterstücke atmen den Geist des japanischen NôTheaters. Brecht schätzte fernöstliche Kunst, ihre Strenge und Beschränkung auf Wesentliches. Doch eine Spiritualität wie Hesse entwickelte Brecht nicht daraus. Bei Brecht ging es um säkulare Weisheit, um die rechte Lebensweise und Haltung gegenüber den Problemen der Zeit. Und dennoch ist es erstaunlich, wie viele Verbindungen etwa zu Japan bei Brecht festzustellen sind. Neu und wichtig ist, das Karl-Josef Kuschel nicht nur Hesse und Brecht genau gelesen hat, sondern ebenso alles, was Hesse und Brecht vom Osten gelesen haben, um deren innere Entwicklung umso besser nachzuempfinden.
Der 700-Seiten-Band geht weit über den „Dialog mit Buddha, Laotse und Zen“hinaus. Die Chronologie dieses Dialogs ist eingebettet in die politische und Geistesgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts. Ein Bild von der Entwicklung der Indologie, Sinologie und Japanologie dieser Zeit entsteht ganz nebenbei. Pädagogisch geschickt aufbereitet, setzt der Autor diese Vielzahl von thematischen Mosaiksteinchen zu einem Gesamtbild zusammen. Die Leser fühlen sich vom Autor didaktisch und unterhaltsam an die Hand genommen, sie verlieren sich niemals in den vor Details nur so wimmelnden Zusammenhängen.