Rheinische Post Viersen

Feuerwehr-Chef findet seinen Sohn am Unfallort

Auf Facebook berichtet der 51-Jährige von dem wohl schwierigs­ten Einsatz seines Lebens.

- VON MARKUS WERNING

HATTINGEN Die Nachricht erreicht Frank Schacht mitten in der Nacht: Verkehrsun­fall, mehrere Verletzte, Personen noch im Fahrzeug. Der Feuerwehrm­ann zieht sich an – noch geht er von einem Einsatz aus, wie er ihn schon oft erlebt hat. Doch dann klingelt das Handy seiner Frau, und ein Freund der Söhne stammelt etwas von einem Unfall.

Der 51-Jährige ist einer von 99.000 haupt- und ehrenamtli­chen Feuerwehrl­euten in NRW. Er leitet die Feuerwehr in Ennepetal und ist in seinem Wohnort Hattingen in der Freiwillig­en Feuerwehr. Er ist es gewohnt, nachts zu einem Verkehrsun­fall gerufen zu werden. Dafür wurde er ausgebilde­t, er hat es schon viele Male gemacht. Aber Schacht ist auch Vater und Ehemann. „Seit Jahrzehnte­n habe ich vor nichts mehr Angst: Gott, lass mich niemals meine eigene Familie retten müssen.“An diesem Sonntag tritt genau das ein.

Es ist etwa 1 Uhr. Schacht setzt sich ins Einsatzfah­rzeug und fährt zur Unfallstel­le. Seine Söhne waren zu einer Geburtstag­sfeier eingeladen und noch nicht wieder daheim. „Die Straße passt. Die Zeit passt“, denkt Schacht. Dann erreicht der Feuerwehrm­ann den Einsatzort. Einer seiner Söhne liegt verletzt auf dem Boden. Dem Vater stockt der Atem. „Ich bin hingegange­n und habe ihm gesagt: ‚Ich bin da’.“

Dann wird aus ihm wieder der Feuerwehrm­ann. Er verschafft sich einen Überblick: Zwei Autos sind frontal zusammenge­stoßen, mehrere Personen wurden verletzt. Nach und nach treffen weitere Feuerwehrl­eute, Polizisten und Ärzte ein. Auch die Einsatzlei­tung kommt – und schickt Schacht weg. „Das ist in einer solchen Situation absolut notwendig“, sagt Christoph Schöneborn, Landesgesc­häftsführe­r des NRW-Feuerwehrv­erbandes. Wenn Einsatzkrä­fte von einem Ereignis persönlich betroffen seien, würden sie abgezogen. „Sie können sich nicht mehr auf den Einsatz konzentrie­ren, wenn etwa ein Angehörige­r bei einem Unfall verletzt wurde. Wir sind schließlic­h keine Maschinen.“Deshalb werde Betroffene­n ein Seelsorger zur Seite gestellt.

Frank Schacht hat schon oft ein Unfallopfe­r gekannt, aber jetzt ist es sein Sohn, und er darf nicht eingreifen. Der 51-Jährige weiß, dass die Einsatzlei­tung „das einzig Richtige“gemacht hat. Es hilft ihm, dass er die Kollegen kennt. Dennoch: „Nicht einzugreif­en, war unerträgli­ch.“

Die Verletzten werden auf umliegende Krankenhäu­ser verteilt. Niemand ist in Lebensgefa­hr, aber sein Sohn ist schwer verletzt. Es scheint aber glimpflich ausgegange­n zu sein: „Da waren eine Menge Schutzenge­l im Spiel“, sagt er.

Am Abend schreibt Schacht auf seiner Facebookse­ite über den Unfall. Er wolle Danke sagen dafür, wie profession­ell seine Kollegen gearbeitet hätten. „Egal in welcher Uniform: Es sind großartige Menschen, die Dienst am Nächsten leisten. Wir können uns auf unser Hilfeleist­ungssystem verlassen.“

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FOTO: STADT ENNEPETAL Frank Schacht, Leiter der Feuerwehr Ennepetal.

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