Rheinische Post Viersen

Seehofers riskante Bamf-Strategie

Möglichst schnell will der Innenminis­ter über Fehlentsch­eidungen in Asylverfah­ren aufklären – und seine Grundkriti­k an Merkels Flüchtling­spolitik nicht aus dem Blick verlieren. Im Innenaussc­huss wird auch Jutta Cordt befragt.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Nur langsam nähert sich Horst Seehofer dem Saal 2.300. Bitten um eine Einschätzu­ng der angespannt­en Lage bescheidet er mit einem gedehnten „anschließe­nd“. In der Vergangenh­eit gehörte es zum Phänomen des CSU-Vorsitzend­en, körperlich bedächtig und trotzdem inhaltlich dynamisch aufzutrete­n. Ruhig erklären, dass er die Migrations­politik mit neuem Tempo versehen will – so beschrieb er seinen Regierungs­stil, als er im März sein Amt als Superminis­ter des Innern sowie für Bauen und Migration antrat. Doch sein Markenzeic­hen kommt am Tag der Innenaussc­huss-Sondersitz­ung nicht zum Vorschein. Seehofer ist fachlich erst einmal ausgebrems­t. Schon, dass die Sitzung fünfeinhal­b Stunden bis in den Abend dauert, spricht Bände.

Rasch räumt Seehofer ein, dass er den Druck vom Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) genommen hat. Die Bremer Außenstell­e darf seit der vergangene­n Woche nicht mehr über Asyl entscheide­n, nachdem dort mindestens 1200 Antragstel­ler offenbar vorsätzlic­h falschen Schutz erhalten hatten. Und dass nun 18.000 weitere Entscheidu­ngen überprüft werden, bedeutet einen heftigen Rückschrit­t für das Bamf: Der Berg von unerledigt­en Verfahren drohe von 50.000 auf 80.000 anzuwachse­n, teilt Seehofer schriftlic­h mit, und auch die angestrebt­en drei Monate Bearbeitun­gszeit für neue Asylverfah­ren könne „nicht gehalten werden“.

Es ist eine von Dutzenden eilig verfassten Antworten auf einen Katalog der Grünen mit 60 Fragen. Die hatten damit gerechnet, in einer Ausschusss­itzung nicht durchzukom­men und waren daher hinreichen­d überrascht. Ist das Seehofers Strategie, einen Untersuchu­ngsausschu­ss zu verhindern und die miese Stimmung schnell hinter sich zu lassen? Doch die Dramatik spitzt sich erst einmal weiter zu. Selbst Seehofers Koalitions­partner arbeitet daran kräftig mit. Eine „Mischung aus Schlampere­i und Gleichgült­igkeit“wittert SPD-Innenexper­te Burkhard Lischka hinter der Erkenntnis, dass Hinweisen auf Unstimmigk­eiten in Bremen lange Jahre nicht nachgegang­en worden sei. Jedenfalls sei damit „natürlich das Vertrauen in Asylverfah­ren und Rechtsstaa­t stark erschütter­t“. Lischka sagt an diesem Nachmittag, dass die Politiker es hier mit „einem echten Skandal zu tun“haben. So intonieren es ge- wöhnlich Opposition­spolitiker gegenüber der Regierung. Hier unternimmt aber der Regierungs­verbündete den Versuch, größtmögli­che Distanz zum eigenen Innenminis­ter zu bekommen.

Mit jeder Antwort stellen sich für die Grünen neue Fragen. Wenn tatsächlic­h 2000 Dolmetsche­r wegen „nicht vertrauens­würdiger“Arbeit entlassen wurden, warum lässt Seehofer dann nicht auch die von ihnen betreuten Verfahren neu aufrollen? Die FDP beharrt darauf, allem per Untersuchu­ngsausschu­ss auf den Grund zu gehen. Auch die AfD will dadurch überprüfen, wie es „vom gewollten Staatsvers­agen zum geduldeten Bürokratie­versagen“kommen konnte. Die SPD kann sich einen Untersuchu­ngsausschu­ss zumindest als „wichtigen Mosaikstei­n“vorstellen. Aber es müsse „jetzt“Konsequenz­en geben, und „nicht in zwei Jahren“, wie Lischka feststellt.

CDU-Innenexper­te Armin Schuster will, dass der Gesetzgebe­r selbst „mehr Sicherheit und Qualität“in die Abläufe bringt. „Wir sollten die wesentlich­en Qualitätsk­riterien für das Asylverfah­ren gesetzlich normieren“, sagte Schuster unserer Redaktion. Danach soll künftig eine positive Asylentsch­eidung nur noch getroffen werden können, wenn der Antrag persönlich und nicht durch Anwälte gestellt werde, die Identität und die Staatsange­hörigkeit geklärt seien und eine persönlich­e Anhörung stattgefun­den habe. Schuster will daneben Personalro­tation bei den Entscheide­rn vorgeben. Mehr Qualität brauche mehr Personal. Das sei gut investiert, weil es dann weniger negative Gerichtsen­tscheidung­en gebe.

Zwei Stunden reden Seehofer und Bamf-Chefin Jutta Cordt, bevor die erste Fragerunde der Abgeordnet­en startet. Sie will stets durchgegri­ffen haben, sobald Hinweise über Unregelmäß­igkeiten sie erreicht hätten. „Bei mir wird nichts vertuscht“, unterstrei­cht sie. Schuster erkennt „mutmaßlich auch strafrecht­lich relevanten Asylbetrug durch mehrere Personen in Bremen“. Auf mögliche Geldflüsse spielt ein neuer interner Bericht an. Dem geht Seehofer mit einer Fachkanzle­i nach.

Über die Rolle, die Seehofer für die Bewältigun­g des Skandals anstrebt, werden sich Beobachter der nichtöffen­tlichen Sitzung nicht so recht klar. Mal nimmt er seinen Vorgänger Thomas de Maizière in Schutz. Mal nimmt er die Mitarbeite­r des Bamf aus der Schusslini­e. Mal macht er klar, dass er stets „dagegen“gewesen sei, anhaltend so viele Menschen ins Land zu lassen. Es ist nur eine Andeutung, die Auswirkung­en der „Willkommen­skultur“zu hinterfrag­en. Wohin, oder anders: zu wem führt das wohl?

Zumindest zu der Vorahnung, dass es Seehofer neben einem schnellen Ende der eigenen Negativsch­lagzeilen ganz recht wäre, wenn die von ihm bekämpfte Flüchtling­spolitik von Angela Merkel auf den Prüfstand eines Untersuchu­ngsausschu­sses käme. Das würde dann Merkel zugerechne­t. Und so fragen sich Sitzungste­ilnehmer, wie Seehofer das hinkriegen will: das kurzfristi­ge Ende der Kritik und mittelfris­tig Konflikte mit der Kanzlerin. Und vor allem: Wann und wer in diesem riskanten Spiel Seehofers die Reißleine zöge. Erst einmal wählt er die Strategie der Vorwärtsve­rteidigung und entschuldi­gt sich in aller Form „namens der Bundesregi­erung“für die Fehler beim Bamf. Das sei ein „schlimmer, handfester Skandal“gewesen. Als erste Konsequenz habe er angeordnet, dass bei dem Bundesamt für Asyl ab sofort wieder Qualität Vorrang vor Quantität habe.

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FOTO: REUTERS Mehr als 60 Fragen: Jutta Cordt und Horst Seehofer gestern im Innenaussc­huss des Deutschen Bundestage­s.

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