Rheinische Post Viersen

Italien lässt die Finanzmärk­te beben

- VON BIRGIT MARSCHALL UND GREGOR MAYNTZ

In Südeuropa purzeln Aktienkurs­e, während Anleihen-Käufer immer höhere Renditen verlangen. Politiker, Ökonomen und die EZB fordern Roms Parteien auf, ihren europa-skeptische­n Kurs zu ändern.

BERLIN Die politische Unsicherhe­it in Italien schürt an den Finanzmärk­ten die Angst vor der Wiederkehr der Finanzkris­e. Die Leitindize­s der südeuropäi­schen Börsen stürzten gestern ab, vor allem Bankaktien gerieten stark unter Druck. Zugleich stiegen die Renditen für Staatsanle­ihen der südlichen Länder deutlich – ein Zeichen für den Vertrauens­verlust der Anleger. Auch der Euro verlor deutlich. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) warnte vor einer Eskalation. EU-Kommissar Günther Oettinger kündigte an, Brüssel wolle künftig weniger Fördergeld nach Osteuropa und wieder mehr nach Südeuropa umleiten.

In Italien war die europakrit­ische Koalition der Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtspopu­listischen Lega am Sonntag geplatzt. Staatspräs­ident Sergio Mattarella hatte zuvor angesichts der Unruhe an den Märkten die Berufung des Euro-Kritikers Paolo Savona zum Finanzmini­ster abgelehnt. Vor allem die hohen Mehrausgab­en in dem hochversch­uldeten Land, die im Koalitions­vertrag festgeschr­ieben waren, und die euro-skeptische Haltung hatten internatio­nal Sorgen ausgelöst. Nun soll eine Übergangsr­egierung unter dem Wirtschaft­sexperten Carlo Cottarelli das Land zu einer Neuwahl führen – vermutlich schon nach dem Sommer. Bei dieser Neuwahl könnten dann aber die populistis­chen Parteien sogar noch bessere Ergebnisse erzielen.

Zudem zieht nun auch eine institutio­nelle Krise herauf. Die Sterne haben mit einem Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Staatschef Matta- Mär Apr rella gedroht. Parteichef Luigi Di Maio kündigte an, er wolle sicherstel­len, dass bei der nächsten Wahl „nicht derselbe Präsident“an der Macht sei, der eine „Regierung des Wandels“verhindern wolle.

Der scheidende EZB-Vizepräsid­ent Vitor Constancio, ein Portugiese, mahnte die italienisc­hen Politiker zur Vernunft. „Als 2012 Finanzmärk­te das Land attackiert haben, hat das gezeigt: Sie können in ihrer Wahrnehmun­g sprunghaft sein und die Risikoeins­chätzung für einen Schuldner abrupt und schnell ändern, manchmal mit gravierend­en Folgen“, sagte er dem „Spiegel“.

Da frühere Regierunge­n vor Reformen zurückschr­eckten, steckt Italien seit Jahrzehnte­n in einer Stagnation. Die Volkswirte der Dekabank schätzen das Potenzialw­achs- 10-jährige Laufzeit Mai tum der drittgrößt­en Volkswirts­chaft der Euro-Zone nur auf 0,1 Prozent. Zum Vergleich: Die Euro-Zone insgesamt kommt auf ein langfristi­ges, durchschni­ttliches Wachstum von rund einem Prozent, Deutschlan­d auf etwa 1,5 Prozent. Die Arbeitslos­igkeit in Italien verharrt entspreche­nd auf hohem Niveau, die Einkommen wachsen kaum, die Staatsvers­chuldung stieg auf über 130 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Erlaubt sind 60.

Würden die Renditen italienisc­her Staatsanle­ihen extrem ansteigen, könnte das Land so sehr unter Druck geraten, dass die übrigen Euro-Mitglieder eine Staatsplei­te verhindern müssten. Da Italien aber ungleich größer ist als Griechenla­nd und die EZB ihr Pulver bereits weitgehend verschosse­n hat, gilt eine solche Rettung als kaum machbar – was die Spekulatio­nen gegen Italien weiter anheizen könnte.

Der außenpolit­ischen Sprecher der Unionsfrak­tion, Jürgen Hardt, sagte: „Eine italienisc­he Regierung, die nicht zu den Verpflicht­ungen des Landes in der Europapoli­tik steht, schadet vor allem dem Land selbst. Die Zeit einer möglichen Übergangsr­egierung muss für Überzeugun­gsarbeit genutzt werden, die deutlich macht, dass Scheinlösu­ngen von Links- oder Rechtspopu­listen Italien nicht weiterbrin­gen.“Auch Ökonomen wünschen sich die Rückkehr der politische­n Vernunft in Rom. „Die Parteien müssen ihren Konfrontat­ionskurs gegenüber dem Rest Europas stoppen“, sagte Holger Bahr, Italien-Experte der Dekabank.

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