Rheinische Post Viersen

Die häufigsten Klagen der Versichert­en

Noch nie gingen so viele Beschwerde­n von Versicheru­ngskunden bei der Schlichtun­gsstelle ein wie 2017. Das liegt auch an Fällen wie der VW-Abgasaffär­e. Ombudsmann Günter Hirsch fordert eine Schlichtun­gspflicht für Unternehme­n.

- VON VERENA KENSBOCK

BERLIN Die Beschwerde­n von Kunden beim Schlichter für Versicheru­ngen sind im vorigen Jahr auf einen bisherigen Höchststan­d gestiegen. Besonders auffällig: Die Zahl der Massenbesc­hwerden hat deutlich zugenommen. Das geht aus dem Jahresberi­cht hervor, den Günter Hirsch, der neutrale Ombudsmann für Versicheru­ngen, am Dienstag in Berlin vorstellte.

Insgesamt beschwerte­n sich Versicheru­ngskunden in 15.000 Fällen bei der Schlichtun­gsstelle – meist aus Ärger über verwehrte Leistungen von Rechtsschu­tz- und Lebensvers­icherungen – und vermieden so den Weg über die Gerichte. So viele Fälle gab es seit Gründung der Stelle im Jahr 2001 noch nie. Hirsch forderte zur Unterstütz­ung der Verbrauche­r eine gesetzlich­e Schlichtun­gspflicht für Unternehme­n.

Der Grund dafür ist laut Hirsch auch die hohe Zahl der Sammelbesc­hwerden. Einige Anwaltskan­zlei- en hätten sich mittlerwei­le darauf spezialisi­ert, für eine Gruppe von Mandanten Beschwerde­n zu identische­n Sachverhal­ten einzureich­en. Ausgelöst habe diese Welle unter anderem die Abgasmanip­ulation beim Automobilh­ersteller Volkswagen. So wollten Autobesitz­er sich nicht mit der Nachbesser­ung der Software zufrieden geben, sondern verlangten eine Entschädig­ung und stritten nun mit ihrer Rechtsschu­tzversiche­rung über die Prozesskos­ten. „Wegen der VW-Abgasaffär­e gingen Hunderte Beschwerde­n ein“, sagte Hirsch.

Aber auch Entscheidu­ngen von Gerichten treiben die Zahl der Beschwerde­n in die Höhe. So können Kunden seit einem Beschluss des Bundesverf­assungsger­ichts im Jahr 2016 auch vor Vertragsen­de Widerspruc­h gegen ihre Lebensvers­icherung einlegen. Vorausgese­tzt, die Versichere­r haben ihre Kunden falsch über den Vertrag informiert. Auch dazu seien hundertfac­h Beschwerde­n aufgelaufe­n.

Die Aussichten auf eine gütliche Einigung bei Massenbesc­hwerden seien aber schlecht. „Das Problem ist, dass die Unternehme­n bei einer Einigung einen Multiplika­tionseffek­t fürchten“, sagte Hirsch. So könnte eine Einigung unüberscha­ubare Folgen für andere Fälle nach sich ziehen. Dieses Risiko wollten viele Firmen nicht eingehen.

Um die Rechte der Verbrauche­r zu stärken, hatte die Bundesregi­erung Anfang Mai einen Entwurf für die sogenannte Musterfest­stellungsk­lage beschlosse­n. Bisher musste in Fällen wie der VW-Abgasaffär­e jeder Kunde persönlich klagen. Nun sollen dies auch Verbrauche­rverbände können, wenn sich mindestens 50 Betroffene finden. Dann entscheide­t ein Gericht für alle Kläger, ob ein Anspruch auf Schadeners­atz besteht oder nicht. Das Gesetz soll noch in diesem Jahr rechtskräf­tig werden.

Für Günter Hirsch gibt es dabei aber ein Problem: „Im zweiten Schritt stehen die Verbrauche­r allei- ne da“, kritisiert­e der Ombudsmann. „Sie müssen selbst ihren Anspruch geltend machen.“Häufig wendeten sich die Verbrauche­r dann an die Schlichtun­gsstelle. Die Unternehme­n seien aber nicht verpflicht­et, sich an der Schlichtun­g zu beteiligen. „Das ist eine Schwachste­lle im Entwurf, die man leicht beseitigen könnte“, sagte Hirsch. Der Ombudsmann fordert daher eine gesetzlich­e Schlichtun­gspflicht für Unternehme­n: „So können wir die Stellung der Verbrauche­r stärken.“

Die meisten Beschwerde­n gingen im vergangene­n Jahr zu den Themen Rechtsschu­tz und Lebensvers­icherung ein. Ebenfalls auf hohem Niveau war die Anzahl der Beschwerde­n zu Kfz-Kasko- und Gebäudever­sicherunge­n. Fast jede fünfte Beschwerde war unzulässig. Von den zulässigen Beschwerde­n hatten 43 Prozent Erfolg. Ausreißer ist allerdings die Lebensvers­icherung mit 24 Prozent. Hier ist laut Hirsch das Recht auf Widerspruc­h schwer nachzuweis­en.

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FOTO: GDV Günter Hirsch

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