Rheinische Post Viersen

Norweger, die an den Fjorden wohnen, brauchen Seilbahnen. Unser Autor hat sich die älteste und die modernste angesehen.

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schaft. „Man darf sich aber nicht vollständi­g vom Tourismus abhängig machen“, sagt Anderson. So seien auch ohne Schiffe im Februar vergangene­n Jahres 80.000 Besucher gekommen. „Das sind meist Einwohner, die nach Feierabend oder den 19-Uhr-Nachrichte­n hochfahren, um Ski zu laufen.“

Denn während im Tal der Frühling beginnt, kann man auf dem Fløyen noch im Schnee wandern oder rodeln. „Hier hört man nichts, keinen Fluglärm, keine Autos. Das ist für viele Menschen wie ein Kurzurlaub“, sagt Anderson. Um 23 Uhr endet der Tag auf dem Berg. Das Licht an den Skiloipen wird ausgeschal­tet, die letzte Bahn fährt ins hell erleuchtet­e Tal.

Seit 100 Jahren gilt die Fløibahn damit in Norwegen als leuchtende­s Beispiel, wie eine Seilbahn in die Landschaft integriert werden kann – mit Vorteilen für alle Seiten. Öffentlich­es Transportm­ittel, Touristenm­agnet, Freizeitat­traktion für Einheimisc­he. Rund 180 Kilometer entfernt beschäftig­t man sich seit Jahren mit einem ähnlichen Projekt.

Die Geschichte des „Loen Skylifts“beginnt in der Einsamkeit des norwegisch­en Dorfs Loen. Dort leben nur wenige Hundert Einwohner. In der Kommune Stryn, zu der Loen gehört, wohnen statistisc­h nur fünf Menschen auf einem Quadratkil­ometer Fläche. Loen liegt am Fjord und ist umgeben von hohen Bergen. „Eine Seilbahn war 50 Jahre lang der Traum von Eivind Grov, dem früheren Besitzer des Hotels Alexandra in Loen“, erzählt AnnHelen Blakset, Marketing-Managerin des Loen Skylifts. „Er wollte die hohen Berge unserer Region für Menschen erreichbar machen.“

Im Mai vergangene­n Jahres wurde der Traum Realität – realisiert durch Grovs Sohn Alexander, der heute das Hotel leitet, nach weniger als einem Jahr Bauzeit. Seitdem wirbt Loen mit dem Slogan „From Fjord to Sky in 5“: Der Skylift bringt Besucher in nur fünf Minuten auf den 1000 Meter hohen Berg Hoven, dessen Gipfel im Tal kaum zu sehen ist. Die Pendelseil­bahn zählt mit einem Neigungswi­nkel von 52 Grad zu den steilsten der Welt. Sie fährt automatisc­h und transporti­ert in zwei Gondeln jeweils bis zu 45 Menschen. Auf dem Gipfel gibt es neben einer Aussichtsp­lattform ein Restaurant, das am Abgrund steht. Die Berg-Gaststätte verwendet zu 70 Prozent lokale Waren, serviert werden unter anderem Gletscherw­asser und selbst gebrautes Bier.

„Viele Menschen hielten das Projekt für verrückt“, erzählt Ann-Helen Blakset. Hotelmanag­er Richard Grov fand dennoch Partner für den Bau: unter anderem die Nachbarge- meinde Stryn, die Doppelmayr/Garaventa-Gruppe, den Weltmarktf­ührer im Seilbahnba­u, sowie mehrere kleine Unternehme­n. Insgesamt kostete der Skylift 300 Millionen Norwegisch­e Kronen (umgerechne­t etwa 31,3 Millionen Euro). „Eine solche Seilbahn ist schon etwas Besonderes“, sagt Blakset, „seit 50 Jahren wurde in Norwegen keine mehr gebaut.“Expertise bei der Planung bekam Loen auch aus Bergen. „Der Skylift ist keine Konkurrenz für uns – dafür sind sie zu weit entfernt“, sagt Ole Anderson von der Fløibahn. „Wir freuen uns, dass es ihn gibt, das stärkt die gesamte Region.“

Seilbahnen führen häufig zu einem Skigebiet, doch das gibt es in Loen nicht. Ebenso wenig wie die Vielzahl an Sehenswürd­igkeiten in Bergen. Auch mit der 100 Jahre langen Tradition der Fløibahn kann das Dorf nicht mithalten. Wieso also wurden 300 Millionen Kronen in das ländliche Gebiet investiert? „Unsere Hauptzielg­ruppe sind aktive Touristen und Abenteurer“, sagt Ann-Helen Blakset. „Lange Zeit über galt der Hoven als nicht erklimmbar. Viele ehemalige Wanderer weinten, als sie oben ankamen.“Heute werden Wanderer mit der Aussicht auf die Fjorde belohnt, die im Sonnenlich­t glitzern. Außerdem kann auf dem Gipfel auch im Frühling noch gerodelt werden. Eine Route führt Mountainbi­ker ins Tal, Kletterer können über die Bergwand „abkürzen“. 2011 wurde ein Kletterste­ig eröffnet, 2013 eine Hängebrück­e gebaut.

Der Loen Skylift steht heute für Action. Bei der Eröffnung war die norwegisch­e Königin Sonja zu Gast. Auf dem Weg nach oben stoppte die Seilbahn auf halber Strecke, und Basejumper flogen an ihr vorbei. „Sie suchen die Aufmerksam­keit – auf dem Berg haben sie ein großes Publikum durch die Touristen“, sagt Richard Grov. „Die Zuschauer lieben diesen Sport, das ist eine WinWin-Situation.“

Der Erfolg gibt ihm Recht: Von Mai bis Ende 2017 sei mit 55.000 Besuchern gerechnet worden – Ende Dezember waren es rund 92.000. „Im kommenden Jahr soll die 100.000er-Marke geknackt werden“, sagt Ann-Helen Blakset. Auch der benachbart­e Campingpla­tz und die Gemeinde Stryn verzeichne­ten gestiegene Umsätze durch den Tourismus. „Durch den Skylift wurden Jobs in der Region geschaffen“, sagt Richard Grov. Während des Bauprozess­es entstanden 100 neue Stellen, langfristi­g 50 Vollzeitjo­bs. „Die Leute hier müssen also zum Arbeiten nicht mehr nach Oslo oder Bergen gehen“, sagt Grov. „Unsere Region ist zahlenmäßi­g und politisch keine Macht, doch mit dem Skylift können wir wirtschaft­lich unsere Muskeln spielen lassen.“

N E G E W R O N

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FOTO: TROND J. HANSEN Die Fløibahn in Bergen ist öffentlich­es Verkehrsmi­ttel und Touristenm­agnet zugleich.

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