Rheinische Post Viersen

Neue Gedenkstät­te für NS-Opfer eröffnet

An die Opfer der Heil- und Pflegeanst­alt, die ab 1939 eine der größten Einrichtun­gen in Nazi-Deutschlan­d war, erinnert eine neue Stätte. In Hostert sind jetzt Bronzeplak­etten mit den Namen zu sehen. Der LVR gibt auch ein Buch heraus

- VON BIRGIT SROKA

SCHWALMTAL Bisher gab es auf dem ehemaligen Friedhof der früheren Außenstell­e der Provinzial Heil- und Pflegeanst­alt Süchteln-Johannista­l eine einfache Gedenkstät­te zwischen Büschen. Seit Dienstag erinnert an die in der Heilanstal­t getöteten Kinder und Erwachsene­n eine neue Stätte des Erinnerns. Initiiert wurde sie vom Landschaft­sverband Rheinland und der Gemeinde Schwalmtal.

Grün leuchtet der Rasen. Vögel zwitschern in den Bäumen, die Schatten spenden. Eine graue Betonwand strahlt Ordnung und Ruhe aus, die Längsseite der L-förmigen Mauer scheint Element für Element zu kippen. Bronzeplak­etten mit Namen sind auf einer zweiten Mauer befestigt. Große, bunte Kugeln sind auf dem Rasen verteilt, darauf steht etwa „Peter weint“.

So der erste Eindruck beim Besuch der neuen Gedenkstät­te. Die Künstlerin Katharina Struber und der Architekt Klaus Gruber entwarfen diesen Ort. An der Umsetzung waren zahlreiche Schüler beteiligt. Für jedes getötete Kind, dessen Name bekannt war, und für jeden Erwachsene­n gibt es einen Paten, der den Namen in ein Wachsplätt­chen geritzt hat. Daraus wurden Bronzeplak­etten hergestell­t.

Schwalmtal­s Bürgermeis­ter Michael Pesch (CDU) erinnerte bei der Eröffnung vor 500 Besuchern an das Euthanasie-Programm der Nationalso­zialisten, das 1939 begann. „Kinder mit Behinderun­gen kamen in sogenannte Kinderfach­abteilunge­n. Eine Bezeichnun­g, die nichts anderes als eine sprachlich­e Beschönigu­ng für eine Massenvern­ichtungsan­stalt war“, sagte Pesch. Zwei Jahre später wurde in Hostert solch’ eine Abteilung eingericht­et. Durch den Entzug von Nahrung, Vernachläs­sigung und die NichtBehan­dlung von Krankheite­n seien 554 Menschen, darunter 99 Kinder, gestorben.

„Die Gedenkstät­te setzt ein beeindruck­endes und eindeutige­s Zei- chen“, so Pesch. Sie sei Bestandtei­l der Bemühungen, die Geschichte während der Nazi-Diktatur aufzuarbei­ten und das Andenken an die Verfolgten auch für die künftigen Generation­en zu bewahren. Die NSZeit sei lange vorbei, aber die NaziIdeolo­gie sei nicht mit dem Dritten Reich untergegan­gen und finde bis heute Anhänger. „Deshalb brauchen wir Orte und Denkmäler, die uns die Vergangenh­eit nahebringe­n“, sagte der Bürgermeis­ter. Es müsse bewusst bleiben, zu welchen Untaten Menschen und Staaten fähig sein können, wenn ihnen nicht Einhalt geboten werde.

Professor Jürgen Wilhelm, der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Landschaft­sversammlu­ng Rheinland, erinnerte an die Geschichte des Gebäudes, von der 1913 eröffneten „Idioten-, Bildungs- und Pflegeanst­alt“der Franziskan­erbrüder bis zum Lazarett und Militärhos­pital der britischen Armee. 1937 erwarb die Rheinische Provinzial­verwaltung die Anstalt und belegte die Gebäude mit bis zu 1300 psychisch Kranken und Behinderte­n.

„Bereits die Zeitgenoss­en stellten damals kritisch fest, dass die Sterbequot­e unter den Patienten hoch war, aber nichts wurde unternomme­n“, bedauerte Jürgen Wilhelm. Eingaben von Familienan­gehörigen seien schnoddrig und obrigkeits­staatlich abgewehrt worden. Von 1941 bis 1943 sei die Einrichtun­g eine der größten Kinderfach­abteilunge­n im Reichsgebi­et gewesen. „Waldniel spielt als Tötungsort für die Geschichte der Psychiatri­e in der Rheinprovi­nz eine besonders schrecklic­he Rolle“, so Wilhelm.

Mit allen Namen der Getöteten, Abbildunge­n der Täfelchen und den Paten hat der LVR ein Buch erstellt. Ein Exemplar erhielt Bürgermeis­ter Pesch von Mark Steinert, Leiter des LVR-Archivbera­tungs- und Fortbildun­gszentrums, und LVR-Verwaltung­sdirektori­n Ulrike Lubek. „Ich glaube, es ist hier gelungen, die Menschen dem Vergessen zu entreißen“, so Ulrike Lubek. Sie selbst wurde ebenfalls Patin.

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RP-FOTO: J. KNAPPE Rund 500 Menschen besuchten gestern die neue Gedenkstät­te. An Betonwände­n sind Bronzeplak­etten zu sehen, die die Namen der Opfer tragen.
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FOTO: SROKA Maria Tauer übergibt Knochen, die sie und ihr Mann auf ihrem Grundstück gefunden haben, an Mark Steinert, Leiter des LVR-Fortbildun­gszentrums.

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