Mehr Anarchie bei Borussia mit Traoré
Der Dribbler war in den vergangenen beiden Spielzeiten meist verletzt. Damit fehlte seine Unberechenbarkeit im Offensivspiel.
MÖNCHENGLADBACH Wenn Borussias Manager Max Eberl und Trainer Dieter Hecking beisammensitzen, um zu analysieren, was in der abgelaufenen Spielzeit gefehlt hat, werden sie auch zurückspulen zum Anfang des saisonalen Films und sich zwei Szenen anschauen aus den ersten beiden Pflichtspielen: dem Pokalspiel bei Rot-Weiss Essen und dem Derby gegen den 1. FC Köln. In beiden Szenen ist Ibrahima Traoré der Hauptdarsteller. Der Flügelmann leitete mit seinen Hereingaben jeweils die Siegtore ein.
Im Stadion an der Essener Hafenstraße drehte Traoré an der Grundlinie seinen Gegenspieler derart ein, dass diesem womöglich noch heute schwindelig ist. Seine Flanke legte Thorgan Hazard Raffael vor, der das 2:1 erzielte. Gegen Köln schickte Lars Stindl Traoré auf die Reise, der schaute kurz und passte quer in den Lauf von Nico Elvedi, der mit einem Flachschuss zum 1:0 der DerbyHeld wurde.
Es schien, als könne es Traorés Saison werden. Er hatte sich besonders vorbereitet, hatte einen Privattrainer engagiert, nachdem er in der Spielzeit zuvor lange verletzt gewesen und auf nur 22 Pflichtspieleinsätze gekommen war. In der Vorbereitung hatte er schon angedeutet, dass er gut drauf ist, nun kam er perfekt in die Saison. Tatendurstig, spielfreudig, effektiv – genau diesen Traoré hatte Hecking in seiner ersten Halbserie als Gladbacher Trainer vermisst. Spricht man mit Hecking über die Borussen, die den Unterschied machen können, fällt Traorés Name immer. Kicker wie der mit 1,72 Metern kleinste Borusse sind selten geworden, echte Außenstürmer, die nicht mehr als einen Bierdeckel Platz brauchen, um eine Abwehr aufzureißen. Nicht umsonst haben die Bayern erneut mit den Altherren Franck Ribéry und Arjen Robben verlängert – und nicht umsonst ist Traoré ein Hoffnungsträger der Gladbacher für die neue Saison. Trotz seiner nunmehr 30 Jahre und der wenig erbaulichen Verletzungshistorie der letzten beiden Spielzeiten.
Denn das Versprechen der ersten beiden Spiele löste sich in der ver- gangenen Saison schnell in Luft auf. „Es war eine verlorene Saison: Ich habe kaum gespielt“, gesteht Traoré. Er machte nur neun Pflichtspiele. „Für mich war die Saison wie für das gesamte Team. Wir haben mehr erwartet. Aber wir können es nicht mehr ändern“, sagt Traoré. Er will die Sommerpause nutzen, um rich- tig fit zu werden. Er verbringt viel Zeit bei seiner Familie in Paris und macht als gläubiger Moslem den Fastenmonat Ramadan mit. Abschalten, Kraft tanken, den Kopf frei kriegen, um dann ab dem 1. Juli, wenn die Vorbereitung auf die neue Saison beginnt, „voll da“zu sein.
Dass er dem Team helfen wird, wenn er durchgehend fit ist, davon geht er aus: „Ich glaube an meine Qualität.“Traoré ist auf dem Rasen ein Anarchist und darum kaum berechenbar für die Gegner, wenn er hakenschlagend über das Spielfeld saust, mal die Außenlinie entlang, mal nach innen ziehend im Robben-Style. Nebenbei ist er einer, der es auch mal aus der Ferne versucht. Er versprüht Spielfreude, damit kann er die anderen mitreißen. Beim schwachen letzten Spiel in Hamburg leitete er kurz nach seiner Einwechslung die Chance von Oscar Wendt zum 2:1 ein, die der Schwede nicht nutzte. Ein Traoré mit Ball ist immer für eine Szene gut und kann Lethargie beiseiteschieben.
Traoré, der gerade Vater geworden ist, kann der sein, der das manchmal zu bürokratische und zu zaudernde Borussen-Spiel um die nötige Brise Verrücktheit erweitert, zudem hat er viel Speed auf dem Platz, das soll künftig ein Merkmal von Borussias Offensive sein. Der soeben verpflichtete junge Engländer Keanan Bennetts hat auch solche Anlagen – man kann sich Traoré und ihn als eine geschwinde Vari– ante einer Flügelzange in einem 43-3-System vorstellen, die dann dem vielleicht neuen Abnehmer im Strafraum (oder auch dem Josip Drmic der letzten Saisonwochen) zuarbeitet. Dass Traoré nur zum Hoffnungsträger taugt, wenn er fit ist, weiß er. „Ich hoffe, dass ich jetzt gesund bleibe“, sagt er. Was die Reha der vergangenen Saison angeht, wurde er schon vom neuen medizinischen Partner „Medical Park“betreut. Die Reise zum Tegernsee trug dazu bei, dass Traoré schneller als erwartet zum Comeback kam nach einer für einen Muskelfaserriss rätselhaft langen Ausfallzeit von fünf Monaten. Am Tegernsee ist auch wieder das Gladbacher Trainingslager. Vor einem Jahr war dort noch alles gut bei „Ibo“. Dieses Mal soll es während der gesamten Saison so bleiben. „Ich will wieder angreifen“, sagt Traoré. Für sich selbst und für Borussia.