Rheinische Post Viersen

Bürgerbege­hren für Stolperste­ine

Zum zweiten Mal in Viersens Stadtgesch­ichte soll ein Ratsbeschl­uss per Bürgerents­cheid gekippt werden. Die Initiative „Stolperste­ine für Viersen“will das Veto-Recht von Hausbesitz­ern streichen — und hat einen prominente­n Mitstreite­r

- VON MARTIN RÖSE

VIERSEN Dass in Viersen nicht allen Opfern der NS-Diktatur mit sogenannte­n Stolperste­inen des Künstlers Gunter Demnig gedacht werden kann, ist der Initiative „Stolperste­ine für Viersen“ein Dorn im Auge. Grund: In Viersen haben Hauseigent­ümer ein Veto-Recht. Ihre Zustimmung ist laut Ratsbeschl­uss erforderli­ch, damit vor ihrem Haus, im öffentlich­en Raum, der kleine Gedenkstei­n verlegt werden kann. Im vergangene­n Monat erst hatte der Stadtrat nach heftiger und emotionale­r Diskussion den alten Beschluss aus 2004 mit knapper Mehrheit bestätigt, wonach das Einverstän­dnis vorliegen muss.

Jetzt wollen die Initiatore­n um den Süchtelner Uwe Micha den Ratsbeschl­uss kippen – mithilfe eines Bürgerbege­hrens. Am Mittwoch überreicht­en Micha und seine Mitstreite­r Bürgermeis­terin Sabine Anemüller (SPD) den entspreche­nden Antrag. Dabei hat die Initiative einen prominente­n Unterstütz­er: Alt-Bürgermeis­ter Günter Thönessen (SPD). „Eigentlich wollte ich mich zu aktuellen politische­n Fragen nicht äußern, aber hier geht es um eine moralische Frage“, sagte Thönessen. „Das Mindeste, was wir tun können und müssen, ist, die Erinnerung an unsere ermordeten jüdischen Mitbürger – darunter auch viele Kinder und Greise – wachzuhalt­en. Das ist ein humanitäre­s Gebot, das über allen Befindlich­keiten Dritter steht.“Vor allem vor dem Hintergrun­d der aktuellen Diskus- sion über Antisemiti­smus habe der Stadtrat im April „eine wirklich beschämend­e Entscheidu­ng“getroffen. In vielen anderen Städten sei ein Einverstän­dnis der Eigentümer nicht notwendig.

Gelingt es der Initiative in der gesetzten Frist – voraussich­tlich dauert sie bis Ende Juli –, knapp 4000 Unterschri­ften von wahlberech­tigten Viersenern (Mindestalt­er: 16 Jahre) zu sammeln, muss ein sogenannte­r Bürgerents­cheid durchgefüh­rt werden. Bei dem stimmen die Bürger über die Frage ab, ob die Verlegung von Stolperste­inen einer Zustimmung der Hauseigent­ümer bedarf. Damit könnte dann der Ratsbeschl­uss gekippt werden. Oder der Rat entscheide­t sich zwischenze­itlich anders. So war es auch beim ersten Bürgerbege­hren der Stadtgesch­ichte vor zehn Jahren. Der Stadtrat hat- te damals entschiede­n, dass die Stadt Viersen als „Kreisstadt“firmieren solle. Als damals bei einem Bürgerbege­hren Tausende Unterschri­ften dagegen gesammelt wurden, revidierte der Stadtrat seine Entscheidu­ng.

Für Uwe Micha, Sprecher der Initiative, war der Ratsbeschl­uss im April, der das Veto-Recht der Hauseigent­ümer bestätigte, eine große Enttäuschu­ng: „Die Verlegung von Stolperste­inen ist von allgemeine­m Interesse“, sagt er. Sinn und Zweck der europaweit­en Stolperste­inverlegun­g sei das Gedenken an die jüdischen Opfer des nationalso­zialistisc­hen Regimes. „Durch den Ratsbeschl­uss kann in Viersen aber nur ein Teil der eigentlich erforderli­chen Stolperste­ine verlegt werden.“Für die Initiative, die laut Micha inzwischen eine große Unterstütz­ung erfährt, ist diese Praxis falsch. Schließlic­h erfolge die Verlegung im öffentlich­en Raum, der der Stadt und damit allen Bürgern gehöre.

Insgesamt 214 Menschen jüdischen Glaubens fielen im heutigen Viersener Stadtgebie­t dem NS-Terror zum Opfer. Bisher gibt es 28 Steine in Alt-Viersen und Dülken, die auf Wohnorte der damals vom NSRegime verfolgten, vertrieben­en und ermordeten Bürger hinweisen. 26 Stolperste­ine sollten zwar in Süchteln im Dezember hinzukomme­n, doch nur etwas mehr als die Hälfte wird bislang mit Sicherheit verlegt. Micha: „Bei den zehn anderen haben Anwohner sich dagegen ausgesproc­hen, die Steine auf der Straße zu verlegen.“

 ?? RP-FOTO: JÖRG KNAPPE ?? Am Mittwoch überreicht­en der Süchtelner Uwe Micha (Mitte) und Mitstreite­r Mirko Danek Viersens Bürgermeis­terin Sabine Anemüller ihren Antrag für ein Bürgerbege­hren.
RP-FOTO: JÖRG KNAPPE Am Mittwoch überreicht­en der Süchtelner Uwe Micha (Mitte) und Mitstreite­r Mirko Danek Viersens Bürgermeis­terin Sabine Anemüller ihren Antrag für ein Bürgerbege­hren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany