Bürgerbegehren für Stolpersteine
Zum zweiten Mal in Viersens Stadtgeschichte soll ein Ratsbeschluss per Bürgerentscheid gekippt werden. Die Initiative „Stolpersteine für Viersen“will das Veto-Recht von Hausbesitzern streichen — und hat einen prominenten Mitstreiter
VIERSEN Dass in Viersen nicht allen Opfern der NS-Diktatur mit sogenannten Stolpersteinen des Künstlers Gunter Demnig gedacht werden kann, ist der Initiative „Stolpersteine für Viersen“ein Dorn im Auge. Grund: In Viersen haben Hauseigentümer ein Veto-Recht. Ihre Zustimmung ist laut Ratsbeschluss erforderlich, damit vor ihrem Haus, im öffentlichen Raum, der kleine Gedenkstein verlegt werden kann. Im vergangenen Monat erst hatte der Stadtrat nach heftiger und emotionaler Diskussion den alten Beschluss aus 2004 mit knapper Mehrheit bestätigt, wonach das Einverständnis vorliegen muss.
Jetzt wollen die Initiatoren um den Süchtelner Uwe Micha den Ratsbeschluss kippen – mithilfe eines Bürgerbegehrens. Am Mittwoch überreichten Micha und seine Mitstreiter Bürgermeisterin Sabine Anemüller (SPD) den entsprechenden Antrag. Dabei hat die Initiative einen prominenten Unterstützer: Alt-Bürgermeister Günter Thönessen (SPD). „Eigentlich wollte ich mich zu aktuellen politischen Fragen nicht äußern, aber hier geht es um eine moralische Frage“, sagte Thönessen. „Das Mindeste, was wir tun können und müssen, ist, die Erinnerung an unsere ermordeten jüdischen Mitbürger – darunter auch viele Kinder und Greise – wachzuhalten. Das ist ein humanitäres Gebot, das über allen Befindlichkeiten Dritter steht.“Vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Diskus- sion über Antisemitismus habe der Stadtrat im April „eine wirklich beschämende Entscheidung“getroffen. In vielen anderen Städten sei ein Einverständnis der Eigentümer nicht notwendig.
Gelingt es der Initiative in der gesetzten Frist – voraussichtlich dauert sie bis Ende Juli –, knapp 4000 Unterschriften von wahlberechtigten Viersenern (Mindestalter: 16 Jahre) zu sammeln, muss ein sogenannter Bürgerentscheid durchgeführt werden. Bei dem stimmen die Bürger über die Frage ab, ob die Verlegung von Stolpersteinen einer Zustimmung der Hauseigentümer bedarf. Damit könnte dann der Ratsbeschluss gekippt werden. Oder der Rat entscheidet sich zwischenzeitlich anders. So war es auch beim ersten Bürgerbegehren der Stadtgeschichte vor zehn Jahren. Der Stadtrat hat- te damals entschieden, dass die Stadt Viersen als „Kreisstadt“firmieren solle. Als damals bei einem Bürgerbegehren Tausende Unterschriften dagegen gesammelt wurden, revidierte der Stadtrat seine Entscheidung.
Für Uwe Micha, Sprecher der Initiative, war der Ratsbeschluss im April, der das Veto-Recht der Hauseigentümer bestätigte, eine große Enttäuschung: „Die Verlegung von Stolpersteinen ist von allgemeinem Interesse“, sagt er. Sinn und Zweck der europaweiten Stolpersteinverlegung sei das Gedenken an die jüdischen Opfer des nationalsozialistischen Regimes. „Durch den Ratsbeschluss kann in Viersen aber nur ein Teil der eigentlich erforderlichen Stolpersteine verlegt werden.“Für die Initiative, die laut Micha inzwischen eine große Unterstützung erfährt, ist diese Praxis falsch. Schließlich erfolge die Verlegung im öffentlichen Raum, der der Stadt und damit allen Bürgern gehöre.
Insgesamt 214 Menschen jüdischen Glaubens fielen im heutigen Viersener Stadtgebiet dem NS-Terror zum Opfer. Bisher gibt es 28 Steine in Alt-Viersen und Dülken, die auf Wohnorte der damals vom NSRegime verfolgten, vertriebenen und ermordeten Bürger hinweisen. 26 Stolpersteine sollten zwar in Süchteln im Dezember hinzukommen, doch nur etwas mehr als die Hälfte wird bislang mit Sicherheit verlegt. Micha: „Bei den zehn anderen haben Anwohner sich dagegen ausgesprochen, die Steine auf der Straße zu verlegen.“