Rheinische Post Viersen

Landesregi­erung will Polizeiges­etz überprüfen

Polizisten in NRW sollen mehr Befugnisse bekommen, Verdächtig­e leichter festgesetz­t werden – viele Experten sehen das kritisch. VizeMinist­erpräsiden­t und Innenminis­ter schließen Anpassunge­n nicht aus.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Die weitreiche­nde Kritik von Experten am geplanten neuen NRW-Polizeiges­etz stößt in der Landesregi­erung auf Resonanz. „Wir werden die Anhörung in Ruhe auswerten. Das schließt auch Anpassunge­n an der einen oder anderen Stelle nicht aus“, sagte Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP) unserer Redaktion. Stamp, zugleich stellvertr­etender Ministerpr­äsident, fügte hinzu: „Wir werden ein gutes und selbstvers­tändlich verfassung­skonformes Gesetz auf den Weg bringen, das die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit bewahrt.“

Im Landtag hatte zuvor die Mehrheit der Rechtsexpe­rten verfassung­srechtlich­e Bedenken an Teilen des Gesetzes geäußert. Ein zentraler Kritikpunk­t ist, dass eine verdächtig­e Person künftig schon bei „drohender Gefahr“vorbeugend in Gewahrsam genommen werden kann. Bisher war dies nur im Falle einer konkreten Gefahr möglich.

Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) sagte nach der Anhörung, die Veranstalt­ung habe gezeigt, dass es „eine Menge Zustimmung zum Gesetzentw­urf“gebe, aber auch „grundsätzl­ichen politische­n Widerspruc­h“. Er kündigte an: „Die gut gemeinten Verbesseru­ngsvorschl­äge werden wir konkret prüfen.“

Die Opposition sieht sich durch die Kritik der Experten bestätigt. „Wenn CDU/FDP keine wesentlich­en Änderungen vornehmen, erwägen wir eine Normenkont­rollklage vor dem Landesverf­assungsger­icht“, sagte Verena Schäffer, innenpolit­ische Sprecherin der GrünenFrak­tion, unserer Redaktion. Ähnlich hatte sich zuvor SPD-Fraktionsc­hef Thomas Kutschaty geäußert.

Doch selbst innerhalb der FDP gibt es gravierend­e Bedenken, die Konfliktpo­tenzial für die schwarzgel­be Landesregi­erung bergen. „In der jetzigen Form ist das Gesetz verfassung­swidrig“, sagte der frühere NRW-Innenminis­ter und Ex-Bun- destagsviz­epräsident Burkhard Hirsch (FDP). Er kündigte eine Verfassung­sklage an, sollte der Entwurf nicht noch geändert werden. Auch in der Bevölkerun­g wächst inzwischen der Unmut. Am 7. Juli soll in Düsseldorf eine Großdemons­tration stattfinde­n. In Bayern hatte es massive Proteste gegen das dortige neue Polizeiges­etz gegeben.

Die im Landtag befragten Experten waren sich zwar darin einig, dass die geplante Novelle in Nordrhein-Westfalen moderater ist als in Bayern. Sie beinhalte aber dennoch Weiterunge­n, die verfassung­srechtlich sehr kritisch zu sehen seien, sagte etwa Markus Löffelmann, Richter am Landgerich­t München I. Angesichts der laut Polizeista­tistik eher günstigen Entwicklun­g der Kriminalit­ät sowohl in NRW als auch auf Bundeseben­e könne das Argument der Landesregi­erung nicht überzeugen, wonach die Alltagskri­minalität und die aktuelle Gefahrenla­ge eine Ausweitung der polizeilic­hen Befugnisse erforderte­n.

Auf Bedenken stieß insbesonde­re der Passus, demzufolge mögliche Gefährder künftig bis zu einen Monat lang in Unterbindu­ngsgewahrs­am festgehalt­en werden können. Bisher war dies nur für 48 Stunden möglich. Dieser Punkt ist aus Sicht vieler Rechtsexpe­rten ein unverhältn­ismäßiger Eingriff in Freiheitsr­echte. Zudem müsse klar sein, dass binnen der gesetzlich vorgeschri­ebenen Fristen ein Richter hinzugezog­en werden muss. Die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal forderte eine unabhängig­e Beschwerde­stelle für Betroffene von rechtswidr­igem Polizeiver­halten.

Auf richterlic­he Anordnung soll die Polizei künftig auch Telefone und Messengerd­ienste wie Whatsapp überprüfen dürfen. Die Landesdate­nschutzbea­uftragte Helga Block sieht hier die Gefahr, dass viele Unbeteilig­te in den Fokus geraten. Auch der Einsatz elektronis­cher Fußfesseln, etwa gegen häusliche Gewalt, sowie die Ausstattun­g der Polizei mit Tasern, also Elektrosch­ockwaffen, wären ein Novum in NRW. Zugleich soll die Videoüberw­achung ausgeweite­t werden.

Als weniger problemati­sch stuften einige Experten die Einführung einer gemäßigten Form der Schleierfa­hndung ein. Das Gesetz soll verdachtsu­nabhängige Polizeikon­trollen in bestimmten Gebieten zulassen. Unklar sei aber bisher, ob es nur Sichtkontr­ollen geben dürfe oder ob auch Kofferräum­e und Handtasche­n durchsucht werden dürften.

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