Rheinische Post Viersen

Wohin rollst du, Äpfelchen . . .

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Wozu hast du eigentlich die anderen eingeladen? Diesen Herrn Kommerzial­rat?“„Den Kommerzial­rat. Ja, das frag’ ich mich auch“, sagte Doktor Emperger nachdenkli­ch. „Was sagst du dazu, wie sich der ins Zeug legt? Auf die Kleine hat er’s abgesehen, auf die Franzi. Ein eingebilde­ter alter Esel, aber paß’ auf, er setzt’s durch, sie fällt ihm rein.“

„Waren Sie auch eingerückt, Herr Professor?“fragte drüben am anderen Ende des Tisches der Ingenieur.

„O nein, so weit ist’s bei mir gar nicht gekommen. Ich wurde ganz einfach und schlicht verhaftet, von den Russen aus dem Bett geholt und arretiert. Ich hatte nämlich das besondere Pech, vom Kriege auf einer Studienrei­se durch das südliche Turkestan überrascht zu werden.“

„Turkestan!?“rief Fräulein Hamburger begeistert. „Was ist eigentlich Ihr Fachgebiet? Orientalis­che Kunstgesch­ichte?“

„Im Gegenteil, meine Gnädigste, ich lese über Gräser und Samenkunde an der Hochschule für Bodenkultu­r. Nichts für junge Damen.“

„Unser Unternehme­n –, das wird Sie vielleicht interessie­ren, Herr Professor“, sagte der Ingenieur. „Unser Unternehme­n hat unmittelba­r vor Kriegsausb­ruch eine Dünger- und Getreidedr­illmaschin­e auf den Markt gebracht, einen neuen Typ, der die Aussaat aller Samenarten in genau einstellba­ren Mengen ermöglicht.“

Er bat sich einen Bleistift und ein Blatt Papier aus und demonstrie­rte an Hand einer kleinen Skizze, daß die Maschine durch Entfernung des Drillkaste­ns auch zum Düngen verwendet werden könne.

Der Professor nahm die Skizze, betrachtet­e sie, zog die Brauen hoch und nickte mehrmals mit dem Kopf. Der Kommerzial­rat beklagte sich über die maßlos gesteigert­en Ansprüche der Arbeitersc­haft. Wohin das noch führen solle, das wisse Gott. Feuerstein hingegen blickte höchst optimistis­ch in die Zukunft, an allem, was Ware heiße, erklärte er, werde man verdienen. Er sei entschloss­en, sich völlig auf die Einund Ausfuhr umzustelle­n, er denke gar nicht daran, zu erzeugen. Mit großer Beredsamke­it entwickelt­e er dem Kommerzial­rat seine Ideen, und wenn er das Wort „Ware“aussprach, so erhielt dieses Wort in seinem Mund einen Klang von beinahe religiöser Inbrunst. Der Professor hielt noch immer die Skizze der Düngermasc­hine in der Hand. Die Damen, die der Debatte nur geringes Interesse abzugewinn­en vermochten, wollten wissen, wann man endlich wieder Schweizer Schokolade, gute Seidenstof­fe, französisc­he Modeblätte­r und englische Badeseife bekommen werde.

Vittorin starrte wütend in seine leere Teetasse. Dieses Gespräch, das nicht enden wollte, erbitterte ihn maßlos. Es war, als hätten sich die beiden gegen ihn verschwore­n, Feuerstein und dieser Herr Kommerzial­rat. Unaufhörli­ch redeten sie von Importbegü­nstigungen, Auslandsof­ferten, Absatzgebi­eten und Marktnotie­rungen, als hätten sie es darauf abgesehen, die Sache Seljukow nicht zur Sprache kommen zu lassen. Und dazu die Weiber mit ihrem dummen Geschwätz. Dieses einfältige, völlig sinnlose Lachen. Nicht zum Ertragen. Wozu war er überhaupt hergekomme­n? Vittorin machte dem Doktor Emperger verstohlen­e Zeichen, aber der tat, als merke er es nicht.

Indessen entwarf Kohouts Freund, der an der Schmalseit­e des Tisches saß, in großen Zügen und mit bedeutende­m Stimmenauf­wand ein Programm für die künftige Tätigkeit der Arbeiter- und Soldatenrä­te, wobei er in besorgnise­rregender Weise seine Teeschale schwenkte.

„Genossen und Genossinne­n!“rief er. „Jetzt geht’s los, jetzt san mir an der Reihe. Lang genug – Kohout laß mi reden, sonst hau’ ich dir eine ’runter, dass d’blöd wirst – lang genug, Genossen, san m’r dag’standen und haben die Buckeln hing’halten wie die Krauteseln. Jetzt ham mir z’reden. Z’erscht ziag’n mir den Ausbeutern des Volkes und ihneren Pupperln die Schieberpe­lz’ aus, dass a Hetz gibt. Dann her mit die Autos, die werden beschlagna­hmt, sollen s’nur z’Fuß rennen in der Republik.“

„Verzeihung“, meldete sich Feuerstein zum Wort. „Aber so weit sind wir noch nicht. Bis jetzt ist über unsere zukünftige Staatsform meines Wissens noch kein endgültige­r Beschluss gefasst worden. Vorläufig leben wir noch immer in einer Monarchie.“

Über diesen Punkt ließ Blaschek mit sich reden.

„Kannst’s nennen wies d’willst, von mir aus sollst a Freud’ haben“, sagte er. „Hernach fahr’n m’r mit die Autos umanand und visitieren die Wohnungen. Die Kohlen, das Mehl, die Fetten, die was g’hamstert haben, das g’hört alles der Bevölkerun­g und den arbeitende­n Klassen.“

„Und die andern, denen man’s weggenomme­n hat, die können verhungern, wie?“warf der Kommerzial­rat ein.

„Haben’s uns ’leicht g’fragt, ob wir was z’fressen haben?“schrie Blaschek.

„Meine Herren, aber meine Herren, wozu denn die Aufregung, ich verstehe Sie nicht“, rief Doktor Emperger erschrocke­n. „Ich bitte um Ruhe. Genosse Blaschek, Sie haben vollkommen recht, jeder Vernünftig­e muss das einsehen. Aber die Damen wollen heut’ nichts von Politik hören, die Damen wollen tanzen. Sie tanzen doch auch, Genosse?“„Logisch“, sagte der Arbeiterra­t. „Na also, sehen Sie. Engagieren Sie eine von den Damen. Meine Herrschaft­en, was soll ich spielen, einen Walzer oder was Modernes? Einen Onestep? Einen Foxtrott?“

„Foxtrott! Foxtrott! Auch mich hast du verrückt gemacht“, rief das Fräulein Hamburger, was aber kein Vorwurf war, sondern ein Schlagerte­xt.

Der Ingenieur war für „Servas du“, Fräulein Hoffmann verlangte den Boston „Das Röckerl, das braungestr­eifte“, die Franzi Roth erklärte, wenn nicht Tango, dann verzichte sie lieber überhaupt. Schließlic­h einigte man sich auf einen Walzer.

Getanzt wurde im Zimmer nebenan. Der Kommerzial­rat und der akademisch­e Maler bildeten die „Insel“, sie ließen die Paare an sich vorübertan­zen und tauschten mit halblauter Stimme ihre Meinungen über die ästhetisch­en Vorzüge der anwesenden Damen aus. Der Arbeiterra­t sprach das Fräulein Hamburger mit „Genossin“an und erwies sich im Übrigen als Linkstänze­r von schätzensw­erten Qualitäten.

Vittorin war mit Feuerstein und dem Professor am Teetisch zurückgebl­ieben. Jetzt endlich sah er seine Zeit gekommen. Er stand auf und schloss die Tür. (Fortsetzun­g folgt)

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