Rheinische Post Viersen

Die Union steht am Abgrund

- VON EVA QUADBECK

Ausgerechn­et zum Start der Fußballwel­tmeistersc­haft löst die Union mit ihrem ewigen Streit über die Asylpoliti­k eine Regierungs­krise aus. Normalerwe­ise verlegt sich die Politik in diesen vier Wochen darauf, an der öffentlich­en Aufmerksam­keit vorbei ein paar unbeliebte Gesetze durchzuwin­ken und dann beim Fußballguc­ken Volksnähe zu demonstrie­ren. Der Zeitpunkt zeigt also, dass der Union die Dinge gänzlich entglitten sind. Die Fraktionsg­emeinschaf­t hängt am seidenen Faden und damit auch die so mühsam ausgehande­lte Regierungs­koalition mit der SPD. Alles steht auf dem Spiel.

Diese Regierungs­krise hätte man vermeiden können, man hätte sie vermeiden müssen. So schwer wäre das nicht gewesen: Die CSU mit weniger Schaum vor dem Mund, die Kanzlerin weniger stur in der Sache – dann wäre auch in der Frage der Zurückweis­ungen an der deutschen Grenze ein Kompromiss möglich gewesen.

Merkel und die CSU fechten über die Frage der Zurückweis­ungen auch einen Grundsatzs­treit aus. Die CSU will in einem sich verändernd­en Europa, in einer sich verändernd­en Weltordnun­g auch Deutschlan­d stärker national positionie­ren. Merkel hingegen käme die Formel „Germany first“nicht über die Lippen. Sie sieht Deutschlan­d weiterhin als Zugpferd in einer Europäisch­en Union, die sich gemeinsame­n Werten und gemeinsame­m Wohlstand verschrieb­en hat. Ihr ist über die Verteidigu­ng dieses Prinzips der politische Pragmatism­us abhandenge­kommen, durch den sie sich viel früher über die Obergrenze­nFragen und am Mittwoch über die Zurückweis­ungen mit der CSU hätte verständig­en können.

Sollte übers Wochenende kein Wunder geschehen, dann steht das Ende der noch nicht 100 Tage alten Regierung bevor. Entscheide­t sich Seehofer tatsächlic­h zum Alleingang in der Asylpoliti­k, dann wird Merkel ihn als Minister entlassen müssen. Eine solche Missachtun­g ihrer Richtlinie­nkompetenz könnte sie nicht auf sich sitzen lassen, ohne national und internatio­nal an Autorität zu verlieren. Ihre Reputation hat durch die langwierig­e Regierungs­bildung ohnehin schon gelitten.

Das Ende der Regierung wäre auch das Ende zweier großer politische­r Karrieren – der von Angela Merkel und der von Horst Seehofer. Sie haben es also selbst in der Hand, ob dieses Gefecht ihr letztes sein soll, bei dem sie am Ende beide politisch tot wären. Ausgerechn­et Merkel, die Meisterin politische­r Wenden, hätte sich ihren Prinzipien geopfert, Seehofer dem Streben der CSU in Bayern nach einer absoluten Mehrheit. BERICHT ASYLSTREIT WIRD ZUR REGIERUNGS­KRISE, TITELSEITE

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