Rheinische Post Viersen

Hopplahopp mehr Geld für Parteien

- VON BIRGIT MARSCHALL UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN Die Empörung funktionie­rt. Zuverlässi­g, wie auf Knopfdruck. Es müssen nur die Wörter „Parteien“, „Geld“und „erhöhen“in einem Satz vorkommen, dann gehen die Wogen hoch. Schnell ist dann „Selbstbedi­enungsment­alität“zu hören und „Widerstand der Opposition“. Und auch bei der für heute angesetzte­n Entscheidu­ng des Bundestage­s über eine Erhöhung der staatliche­n Parteienfi­nanzierung sind die Aufregungs­abläufe wieder zu besichtige­n. Sollte im CDU-CSU-Strudel um das Vorgehen an Deutschlan­ds Grenzen das Vorhaben nicht doch noch von der Tagesordnu­ng gekippt werden, können sich die Schatzmeis­ter ab 2019 über 25 Millionen mehr aus der Staatskass­e freuen.

Es geht, anders gerechnet, um zweieinhal­b Cent je Monat und Bürger. Oder um einen monatliche­n Gesamtbetr­ag von weniger als 20 Cent pro Bürger für den Parteienst­aat. Dennoch halten die Grünen das Vorgehen von Union und SPD für dreist und haben auch inhaltlich massive Bedenken, wie ihre Parlaments­geschäftsf­ührerin Britta Haßelmann erläutert. Tatsächlic­h ist das überstürzt­e Vorgehen der bei vielen anderen Sachthemen unentschlo­ssenen Groko über alle Maßen fragwürdig.

Denn auch das Verfassung­sgericht schaut sich bei allen Streitthem­en, die den Parteienst­aat insgesamt betreffen, als Erstes genau an, ob auch alle oder wenigstens fast alle Parteien dahinter stehen, es also um das Ergebnis fairen Aushandeln­s gegangen ist. Das haben Union und SPD dieses Mal versäumt. Sie überrascht­en die anderen Fraktionen vor einer Woche mit einem schon ausformuli­erten Gesetzentw­urf, brachten schnell die erste Lesung hinter sich, erfüllten im Galopp die formale Anhörung und Fachberatu­ng im Ausschuss und wollen schon nach einer Woche die entscheide­nde Schlussabs­timmung durchdrück­en. Diese Eile gibt es gewöhnlich nur bei Gefahr im Verzug. Wenn also blitzschne­ll die Bundeswehr bei internatio­nalen Missionen helfen soll und der Bundestag das Mandat dafür beschließe­n muss.

Es fällt zudem auf, dass die Gesetzesän­derung zwar erst die Geldflüsse ab 2019 betrifft, das Ganze aber in einer speziellen Kalenderko­nstellatio­n durchs Parlament gebracht werden soll: zwei Sitzungswo­chen hintereina­nder, so dass viele Abgeordnet­e zwischendu­rch nicht allzu viel Kontakt mit ihren Wahlkreise­n haben, und die Entscheidu­ng zur Eröffnung der Fußball-WM. Das riecht nach einer generalsta­bsmäßigen Planung, die von der obersten Devise getragen zu sein scheint, sich das Vorhaben bloß nicht wieder von den Abgeordnet­en unter dem Eindruck möglicher Proteste aus den Wahlkreise­n zerschieße­n zu lassen.

Dabei steckt bei näherem Hinsehen eigentlich gar nichts Brisantes dahinter: Es bleibt bei der doppelten Deckelung der staatliche­n Parteienfi­nanzierung, nur dass der äußere Deckel dem inneren angepasst wird. Die Bezuschuss­ung der Parteien läuft seit Langem nicht per Füllhorn, sondern streng danach, wie viel Rückhalt Kandidaten und Parteien durch Erst- und Zweitstimm­e hatten und wie viel Geld die Parteien durch Mitgliedsb­eiträge und Spenden erwirtscha­fteten. Durch Misserfolg­e bei den Wahlen verliert die SPD also auf jeden Fall einen Millionenb­etrag. Und die Parteienfi­nanzierung darf auch nie höher sein als die Einnahmen einer Partei.

Das ist der innere, für jede Partei jedes Jahr aufgrund ihrer Rechenscha­ftsbericht­e und der Wahlergebn­isse neu auszurechn­ende Deckel. Doch für alle so berechnete­n Ansprüche zusammen gibt es noch einen äußeren Deckel einer Höchstsumm­e. Diese „absolute Obergrenze“unterliegt einer an der Teuerungsr­ate orientiert­en automatisc­hen Anpassung. Derzeit liegt sie bei 161,8Millionen Euro, 2019 absehbar bei 165,3 Millionen. Tatsächlic­h haben die Parteien aktuell jedoch Ansprüche über zusammen 188,7 Millionen erworben. Sie müssen also 26,9 Millionen knicken, die ihnen eigentlich zustehen. Mit der neuen Obergrenze von 190 Millionen ab 2019 greifen Union und SPD also nicht nach irgendeine­r willkürlic­hen Zahl, sondern nehmen das auf, was die Parteien eigentlich in diesem Jahr bereits hätten bekommen müssen. Angesichts der absehbaren Teuerung dürfte der Deckel bei 190 Millionen schon sehr niedrig gewählt sein und sofort dazu führen, dass die Parteien doch wieder Abstriche hinnehmen müssen.

Das hat auch damit zu tun, dass die Bürger ein lebhaftere­s Interesse an Wahlen zeigen. Die Beteiligun­g stieg von 2009 bis 2017 kontinuier­lich von 70,8 auf 76,2 Prozent an. Damit hätten eigentlich auch die Mittel der Parteienfi­nanzierung deutlich anwachsen müssen. Union und SPD verweisen zudem darauf, dass die Digitalisi­erung der politische­n Kommunikat­ion deutlich höhere Kosten verursacht, als in der klassische­n Berechnung erfasst wird. Die Bürger erwarteten Informatio­nen und Reaktionen in den sozialen Netzwerken und direkt. Die Parteien investiert­en bereits seit Jahren „Millionenb­eträge in die Digitalisi­erung der Demokratie“, erläuterte SPD-Schatzmeis­ter Dietmar Nietan. „Das ist alles viel komplizier­ter geworden“, berichtet er. Und natürlich auch teurer.

Bei den Fachberatu­ngen lehnten AfD, FDP, Linke und Grüne den Gesetzentw­urf der Koalition aus unterschie­dlichen Gründen ab. Aber natürlich werden ihre Schatzmeis­ter darauf setzen, dass sich die Groko von diesem Nein der Opposition bitte nicht verunsiche­rn lässt. Auch die Kleinen brauchen dringend mehr Geld. Dennoch ist es nicht nur ein Schönheits­fehler, dass Schwarz-Rot die anderen Parteien nicht miteinbezo­gen hat. Die Grünen hätten etwa klarere Regeln für Sponsoring und schärfere Veröffentl­ichungspfl­ichten mit einer Novelle verbinden wollen. Das alles wird nun unter den Tisch gekehrt – und macht das Projekt anfällig für eine Klage beim Verfassung­sgericht.

Es ist nicht nur ein Schönheits­fehler, dass Schwarz-Rot die anderen Parteien nicht einbezogen hat

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