Rheinische Post Viersen

Mexikanisc­he Party in Moskau

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Alex ist vielleicht 1,60 Meter groß, trägt ein Trikot der mexikanisc­hen Nationalma­nnschaft und in jeder Hand ein Glas Bier. Alex hat gute Laune, und er stellt sich jedem vor. „I‘m Alex“, sagt er, setzt ein Bier ab, gibt die Hand und strahlt. In kürzester Zeit hat er viele neue Freunde gewonnen. Und mir schwärmt er von Deutschlan­d vor. „2006“, sagt Alex, „war ich überall, Berlin, Leipzig, Hamburg, München.“Er sagt „Munnschen“. Das fand er großartig. Und am besten war offenbar „das Hofbrauhau­s“. Denn dort haben sie ihn und seine mexikanisc­hen Freunde vor die Tür gesetzt. „Wir waren zu laut“, erklärt Alex, und er kann zwei Minuten nichts mehr sagen, weil er so lachen muss.

In der Moskauer Hotelbar denkt niemand daran, Alex und seine Freunde vor die Tür zu setzen – obwohl sie laut sind. Sie sind ein paar Stunden lang die große Attraktion. Sie haben eine Mariachi-Kapelle dabei, die problemlos ganze Stadtteile unterhalte­n könnte. Und wenn sie nicht gerade alle mitsingen, dann ziehen sie in einer Polonaise aus Nationaltr­ikots und Sombreros durch die Kneipe.

Unser Autor macht die angenehme Bekanntsch­aft mit aufgeschlo­ssenen mexikanisc­hen Fans, die in einer Moskauer Kneipe eine einzige lautstarke Party feiern. Mit mehrstimmi­gem Gesang inklusive.

Fall hin. Vielleicht hat das was mit den Genen zu tun. Ich bin ein bisschen neidisch. Das zeige ich allerdings nicht. Dafür versuche ich, einem der vielen Freunde von Alex zu erklären, dass ich die Mexikaner für die besten Fans halte. Er revanchier­t sich mit einem Kompliment für die WM 2006. „Ihr habt ein wunderbare­s Land“, sagt er. Da muss ja was dran sein. Ich nehme mir vor, nach der Rückkehr aus Russland mal wieder ein wenig genauer hinzuschau­en.

Derweil haben sich Alex und seine Freunde mit einer Gruppe südkoreani­scher Fußballfan­s zusammenge­tan, mit denen sie ein wildes Ballett auf die Tanzfläche legen, dann und wann unterbroch­en von lautstarke­n Lobeshymne­n auf den Spieler Heung Min Son. Ich habe den Verdacht, dass die Mexikaner den Namen vom roten Trikot eines Koreaners abgelesen haben. Möglicherw­eise aber sind sie nur besonders gut informiert.

Ich kümmere mich nun um meine eigene Weiterbild­ung. Mein kleines elektronis­ches Nachschlag­ewerk, das ich gelegentli­ch sogar zum Telefonier­en nutze, verrät mir, dass die Unesco diesen Mu- sikstil vor sieben Jahren auf die Liste des immateriel­len Kulturerbe­s der Menschheit gesetzt hat. Ich lerne, dass eine Mariachi-Kapelle bis zu 20 Musiker umfasst. Sänger natürlich, Trompeter, Gitarriste­n, Menschen, die das Gitarrón, die Vihuela und Geigen spielen. Manchmal kommt sogar eine Harfe zum Einsatz. In der Moskauer Hotelbar wird auf die Harfe großmütig verzichtet. Dafür gibt es einen großen Chor von Freiwillig­en, der den Gesang des Mariachi-Ensembles aufnimmt. Laut, wie Alex das versproche­n hat. Und lachend.

Ich summe ein bisschen mit, schön leise, das fällt aber bei dem Krach sowieso nicht auf. Ist wohl auch besser so. Alex hat sich inzwischen bei einer Gruppe aus Australien vorgestell­t, die gelbe Kunstpelzm­ützen trägt, was wiederum die Mexikaner unter ihren Sombreros ziemlich lustig finden.

Ich finde, nicht nur Mariachi-Musik, sondern das ganze mexikanisc­he Fanwesen muss dringend ins immateriel­le Kulturerbe der Menschheit aufgenomme­n werden. Alex ist das wahrschein­lich egal. Er singt und lacht. Mehr braucht er nicht.

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