Rheinische Post Viersen

Wiege des chilenisch­en Weinbaus

Im Maule-Tal wird seit dem 16. Jahrhunder­t Wein angebaut. Unterwegs mit dem Schienenbu­s „buscaril“.

- VON MARTIN HÖCKER

Langsam setzt sich der gelbe Schienenbu­s in Bewegung. Direkt hinter dem Bahnhof von Talca muss er die ersten Steigungen bewältigen. Triebwagen und Anhänger sind dicht besetzt. Viele Reisende müssen stehen. Die Stimmung ist ausgelasse­n, viele haben Fotoappara­t oder Smartphone gezückt, um die reizvolle Landschaft festzuhalt­en.

Der „buscaril“, so die spanische Bezeichnun­g des 1961 in Deutschlan­d gebauten Schienenbu­sses ist eine der Haupttouri­stenattrak­tionen in der Maule-Region im mittleren Chile. Er verkehrt auf einer 90 Jahre alten Schmalspur­strecke und verbindet die Bezirkshau­ptstadt Talca mit Constituci­ón am Pazifik. Inzwischen rattert der Zug mit seiner

Der „buscaril“verkehrt auf einer 90 Jahre alten Schmalspur­strecke

Höchstgesc­hwindigkei­t von 60 km/h durch eine mediterran anmutende Landschaft: Weinberge, soweit das Auge reicht, dazwischen verstreut immer wieder kleine Gehöfte und Ansiedlung­en. Gut vier Stunden dauert die 100 Kilometer lange Bahnreise – eine gute Gelegenhei­t seine Mitreisend­en kennenzule­rnen. Viele Passagiere sind aus der 250 Kilometer entfernten Hauptstadt Santiago angereist, um bei einem Kurzurlaub die Region rund um den Maule-Fluss zu erkunden. In dem Gebiet zwischen Anden und Pazifik gibt es Thermalque­llen und kleinere Seen. Die leicht hügelige Landschaft lädt zu Wanderunge­n oder Fahrradtou­ren ein. Doch das größte touristisc­he Potenzial bieten die Weinanbaug­ebiete im Maule-Tal.

Diese Region erhebt den Anspruch „Wiege des chilenisch­en Weinbaus“zu sein. Tatsächlic­h werden dort bereits seit dem 16. Jahrhunder­t Reben kultiviert. Nach dem Vorbild anderer chilenisch­er Weinbaureg­ionen haben sich nun auch Winzer im Maule-Tal zu einer Weinstraße zusammenge­schlossen. Ziel ist es, den Touristen mehr zu bieten als nur Weinverkau­f. Direkt am Rand der kleinen Stadt San Javier befindet sich in einem großen Park mit altem Baumbestan­d die herrschaft­liche Villa der Winzerfami­lie Balduzzi im Kolonialst­il des 19. Jahrhunder­ts.

Wie viele Winzer sind auch die Balduzzis zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts aus Italien nach Chile eingewande­rt. Gustavo Balduzzi, Winzer in vierter Generation, ist stolz auf seine Familienge­schichte: „Wir kom- men aus dem Piemont und können dort auf Weinbau seit über 300 Jahren zurückblic­ken. Als meine Vorfahren sich 1906 im Maule-Tal niedergela­ssen haben, waren sie von den klimatisch­en Bedingunge­n begeistert – heiße Sommer ohne viel Niederschl­ag garantiere­n einen besonders hochwertig­en Wein.“

Damit Besucher auch erfahren können, wie dieser edle Tropfen produziert wird, werden Führungen durch das Weingut angeboten. Schon vor 20 Jahren haben sich die Balduzzis dem Eno-Tourismus geöffnet und waren damit die ersten im Maule-Tal. Einige Winzer haben inzwischen nachgezoge­n, doch der Weintouris­mus gilt noch immer als Geheimtipp, verglichen mit dem weithin bekannten und reichlich frequentie­rten Colchagua-Tal etwas weiter nördlich.

Nächste Station ist die Casa Donoso, ein historisch­es Weingut aus dem späten 19. Jahrhunder­t, etwa fünf Kilometer von Talca entfernt. Neben geführten Touren durch Keller und Weinberge werden Weinsemina­re und Verkostung­en besonders hochpreisi­ger Weine angeboten. Unvergessl­ich ist auch ein Picknick mit Wein und Käse inmitten der Rebstöcke. Dafür wurde ein 20 Meter hoher hölzerner Turm errichtet, der einen weiten Blick über die Landschaft ermöglicht. Und wenn der le- ckere Wein doch etwas müde gemacht haben sollte, kein Problem: In der Casa Donoso gibt es fünf stilvoll eingericht­ete Gästewohnu­ngen. Wer es nicht ganz so exklusiv möchte, der findet in Talca eine größere Anzahl von einfachere­n Hotels und Pensionen. Die Stadt lohnt auf alle Fälle einen Besuch, wenngleich zahlreiche historisch­e Gebäude beim Erdbeben von 2010 zerstört wurden.

Am Stadtrand von Talca liegt auch der Bahnhof, von dem der gelbe Schienenbu­s zweimal am Tag in Richtung Constituci­ón abfährt. Da sich die Schmalspur­bahn inzwischen so großer Beliebthei­t erfreut, sollte der Reisende mindestens eine Stunde vor Abfahrt am Schalter sein, um sich einen Platz zu sichern. Wirtschaft­lich ist der Betrieb der Strecke wohl nicht mehr. Im chilenisch­en Winter benutzen den Zug nur wenige Fahrgäste. Aber stillgeleg­t werden darf die Strecke nicht, denn der „buscaril“gehört seit 2007 zum kulturelle­n Erbe Chiles.

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FOTOS (4): MARTIN HÖCKER Die Weinberge rund um den Maule-Fluss muten mediterran an.
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Ein Picknick inmitten der Weinberge bleibt unvergessl­ich (l.). Die Weinernte im Maule-Tal ist noch überwiegen­d Handarbeit (Mitte). In der Maule-Region oft anzutreffe­n: die Huasos, chilenisch­e Landarbeit­er.
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