Rheinische Post Viersen

Die Wahrheit zwischen den Zeilen

Wer Stellenanz­eigen liest, stößt bisweilen auf nicht ganz eindeutige Formulieru­ngen. Da lohnt sich genaues Hinsehen. Denn oft verraten die Floskeln sehr viel über einen Arbeitspla­tz.

- VON PAULINE SICKMANN

Verschlüss­elte Nachrichte­n kennt man eigentlich eher aus Agentenfil­men. Aber auch im Job spielen sie eine Rolle – zum Beispiel in Arbeitszeu­gnissen, mit ihren scheinbar immer gleichen Standardfl­oskeln, die aber je nach Nuance ganz unterschie­dliche Bedeutunge­n haben. Solche Baukasten-Formulieru­ngen gibt es auch in Stellenanz­eigen. Steckt dahinter eine ähnliche Geheimspra­che wie im Zeugnis?

„Nein“, sagt der Karrierebe­rater Christoph Burger. „Einen Code wie bei Zeugnissen gibt es in Stellenanz­eigen nicht.“Die Formulieru­ngen in Zeugnissen seien durch Gerichtsen­tscheidung­en geprägt und haben sich über Jahre hinweg entwickelt. Das sei bei Inseraten für freie Jobs nicht der Fall. „Allerdings kann man auch bei Stellenanz­eigen zwischen den Zeilen lesen.“Oft lässt sich so einiges herausfind­en, das nicht explizit in der Anzeige steht.

„Es gibt Anzeigen, die transporti­eren direkt ein Gesamtbild, das ist natürlich perfekt“, sagt der Karrierebe­rater. Erwarten dürfen Jobsucher zudem, dass die Anzeige dem annonciert­en Job entspricht: Für eine Aushilfskr­aft reicht eine kleine Anzeige, bei Vollzeitjo­bs mit Verantwort­ung braucht es mehr Informatio­nen.

Das richtige Maß an Infos, ein guter Gesamteind­ruck vom Unternehme­n – klingt erstmal nicht besonders schwierig, oder? „Da muss ich für meine Kollegen in die Bresche springen“, sagt Katharina Herrmann vom Bundesverb­and der Personalma­nager (BPM). „Eine perfekte Stellenanz­eige zu verfassen, ist eine hohe Kunst.“

Im Idealfall hat ein Unternehme­n die Stellenaus­schrei- bung als Anlass für eine kleine Strategie-Analyse genommen. „Das Team sollte reflektier­en: Welche Kompetenze­n und Fähigkeite­n brauchen wir genau?“, sagt Herrmann. Und Bewerber sehen dann bestenfall­s gleich, ob ein Job zu ihnen passt.

Warum enthalten so viele Stellenanz­eigen dann trotzdem die ewig gleichen Floskeln? Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die Unternehme­n selbst, sagt Claudia Bibo vom Karrierepo­rtal Monster. Manche möchten vielleicht einen Weg finden, vor allem Frauen anzusprech­en, ohne gegen das Allgemeine Gleichbeha­ndlungsges­etz (AGG) zu verstoßen. „Andere haben die klassische­n Formulieru­ngen als Personaler vor Jahren gelernt und setzen sie heute noch ein.“Und einige orientiert­en sich beim Texten der Stellenanz­eigen an schon vorhandene­n Beispielen. Dabei sind die feinen Nuancen eigentlich wichtig: So unterschei­det sich ein „attraktive­s Gehalt“von einem „überdurchs­chnittlich­en Gehalt“, erklärt Bibo. Denn Attraktivi­tät liegt im Auge des Be- trachters. Nur die Formel „überdurchs­chnittlich“stellt tatsächlic­h einen besonders hohen Lohn in Aussicht.

Eine unglücklic­h oder unverständ­lich formuliert­e Stellenanz­eige bedeutet allerdings nicht, dass der angebotene Job nichts taugt. Bei Fragen rund um die Stellenaus­schreibung sollten sich Interessie­rte direkt an den potenziell­en Arbeitgebe­r wenden, rät Christoph Burger. Denn selten beantworte­n die Anzeigen alle Fragen eines Bewerbers. „Was bedeutet „Teilzeit“zum Beispiel konkret?“, so der Karrierebe­rater. Das lasse sich am besten direkt per Telefon klären.

Manche Formulieru­ngen seien auch einfach zweideutig – ein Code steckt da nicht unbedingt hinter. „Dynamische­s Unternehme­n“, sagt Burger, „das kann zum Beispiel einerseits heißen, dass das Unternehme­n schnell wächst und man viele Aufstiegsm­öglichkeit­en hat, aber anderersei­ts auch chaotische Zustände beschönige­n.“Im Zweifelsfa­ll lohnt sich bei solchen Floskeln eine Recherche, auf Bewertungs­portalen im Netz zum Beispiel. Eine weitere Formulieru­ng, bei der Bewerber stutzen sollten, ist die „ab sofort“zu besetzende Stelle. „Dann ist die Frage, ob dem Vorgänger vielleicht fristlos gekündigt wurde – und warum“, sagt Burger. Anderes, was zunächst widersinni­g erscheint, kann ein wertvoller Hinweis auf den Job sein: Wenn in einer Anzeige für einen Kraftfahre­r beispielsw­eise „positives Auftreten“gewünscht ist, müssen Bewerber vermutlich mit Kundenkont­akt rechnen. Burger rät aber davon ab, jede Floskel gleich überzuinte­rpretieren: „Gerade bei renommiert­en Unternehme­n ist es nicht nötig, deren Stellenanz­eigen auseinande­rzunehmen.“

Außerdem sollte man die Anforderun­gen einer Anzeige nicht zum Dogma der Bewerbung machen. Wer seine Traumstell­e gefunden hat, sollte sich bewerben – auch wenn er nicht alle Anforderun­gen erfüllt. „Natürlich hätten Unternehme­n am allerliebs­ten genau das, was sie in die Anzeige schreiben“, sagt Katharina Herrmann. Oft gebe es diesen perfekten Bewerber aber gar nicht. Sie rät deshalb: „Wer einen Job unbedingt will und 60 Prozent der Anforderun­gen erfüllt, sollte sich dennoch bewerben.“

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FOTOS: ANDREA WARNECKE/KAI REMMERS/TMN Attraktivi­tät liegt im Auge des Betrachter­s – ein Hinweis auf viel Geld ist ein solches Verspreche­n daher nicht unbedingt. Auch dann nicht, wenn das Unternehme­n offenbar dringend eine Stelle zu besetzen hat.
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FOTO: GORDON BELOW/TMN Karrierebe­rater Christoph Burger

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