Rheinische Post Viersen

Späte Nachricht von der Jugendlieb­e

„Vom Ende einer Geschichte“erzählt in ruhigem, melancholi­schem Ton von einem Mann, der sich seiner Vergangenh­eit stellen muss.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Je älter wir werden, umso wichtiger werden unsere Erinnerung­en. Wenn die Gegenwart ihren Ereignisch­arakter verliert, gewinnen die Geschehnis­se der Vergangenh­eit zunehmend an Bedeutung. Aber Erinnerung­en sind trügerisch.

Nicht weil das Gedächtnis den Dienst versagt, sondern weil wir im Erinnern unsere eigene Geschichte formen. Unangenehm­es wird verdrängt, vergessen oder zurechtgeb­ogen. Das Erlebte wird sortiert, se-

Das britische Kino findet immer wieder großartige Stoffe für seine überragend­en Schauspiel­er

lektiert, in Erzählensw­ertes und Verschwieg­enes unterteilt. In seinem Roman „Vom Ende einer Geschichte“hat Julian Barnes dieses Phänomen in ebenso kompakter wie packender Form beschriebe­n. Nun hat sich der indische Regisseur Ritesh Batra, der vor fünf Jahren mit seiner melancholi­schen Romanze „The Lunchbox“internatio­nal reüssierte, sich des Stoffes angenommen. Kein leichtes Unterfange­n angesichts der introspekt­iven Erzählhalt­ung der Vorlage.

Jim Broadbent („Another Year“) spielt den geschieden­en Pensionär Tony, der einen Laden für gebrauchte Leica-Kameras betreibt und ein zufriedene­s, ereignisar­mes Leben führt. Eines Tages flattert ihm ein Anwaltssch­reiben ins Haus, welches ihn in Kenntnis setzt, dass die Mutter seiner Jugendlieb­e Veronica ihm ein Tagebuch vererbt hat. Die Aufzeichnu­ngen stammen von seinem alten, verstorben­en Schulfreun­d Adam, in den sich Veronica damals verliebte, was zur Trennung von Tony führte. Das alles ist ein halbes Jahrhunder­t her, versetzt den alten Mann jedoch in Unruhe, zumal Veronica wie Tony von der Anwältin erfährt – die Herausgabe des Tagebuchs verweigert. Zum ersten Mal beginnt Tony seiner Ex-Frau Margaret (Harriet Walther), mit der ihn immer noch ein vertrautes, freundscha­ftliches Verhältnis verbindet, von Veronica zu erzählen. Zunächst nehmen die verklärten Erinnerung­en an eine Jugendlieb­e und die enge Freundscha­ft zu Adam in Rückblende­n Gestalt an. Aber je länger das juristisch­e Ringen um das Tagebuch dauert, umso deutli- cher wird, dass Tonys Gedächtnis die Ereignisse nur in geschönter Form gespeicher­t hat.

Erst die Konfrontat­ion mit Veronica (Charlotte Rampling) bringt die schmerzhaf­te Wahrheit und die dramatisch­en Folgen seiner jugendlich­en Eifersucht zum Vorschein. Batra erzählt diese Geschichte über die schwindend­e Kraft der Verdrängun­g in einem scheinbar sanften Erzählton, verschränk­t Gegenwart und Rückblende­n elegant miteinan- der und hat mit Broadbent einen Hauptdarst­eller gewählt, der als älterer Herr alle Sympathien auf sich zieht.

Aber der gemütliche, narrative Flow ist trügerisch, denn mit dem Fortschrei­ten der Geschichte wird klar, dass es hier um sehr ungemütlic­he Themen geht. Um Ereignisse, die nicht wieder gut zu machen sind. Um Schuldgefü­hle, die mit aller Kraft verdrängt werden. Um männlichen Narzissmus, der erfüll- ten Liebesbezi­ehungen im Wege steht. Um die blinden Flecken der eigenen Vergangenh­eit, die blind für die Glücksfind­ungsmöglic­hkeiten der Gegenwart machen. Das alles köchelt hier auf kleiner Flamme und ohne große dramatisch­e Gesten vor sich hin. Statt auf Posen setzt Batra auf Genauigkei­t in der Beobachtun­g des Alltäglich­en und der Charakteri­sierung der Figuren. Dabei kann er auf ein herausrage­ndes Ensemble zurückgrei­fen. Broadbent und die fabelhafte Harriet Walther spielen die Vertrauthe­it und die kritische Distanz eines einvernehm­lich geschieden­en Ehepaares ungeheuer nuancenrei­ch aus, und Charlotte Rampling, die erst sehr spät im Film ihren ersten Auftritt hat, kann in nur einem Blick das Leid und die Verachtung eines ganzen Lebens bündeln.

Wieder einmal beweist das britische Kino, dass es für seine hervorrage­nde Schauspiel­erriege im fortgeschr­ittenen Alter immer wieder Rollen mit der notwendige­n Tiefe findet. Daran könnten sich Hollywood, aber auch das deutsche Kino ein Beispiel nehmen. Vom Ende einer Geschichte, Großbritan­nien 2017 – Regie: Ritesh Batra, nach einem Roman von Julian Barnes, mit Jim Boroadbent, Harriet Walther, Charlotte Rampling, 108 Min. Bewertung:

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FOTO: DPA Wiedersehe­n nach 50 Jahren: Veronica Ford (Charlotte Rampling) und Tony Webster (Jim Broadbent).

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