Globale Kunst
Im Hamburger Bahnhof sortiert die Berliner Nationalgalerie ihre lange Zeit nur im Depot schlummernde Sammlung neu und zeigt diese in einer bemerkenswerten Ausstellung.
Seit fast drei Jahren ist eine der Ikonen der Kunst-Moderne wegen Renovierung geschlossen: David Chipperfield saniert die einst von Ludwig Mies van der Rohe aus Stahl und Glas gebaute Neue Nationalgalerie. Hunderte Werke der klassischen Moderne, vom Kubismus und Dadaismus bis zu Abstraktion, Pop-Art und Video-Performance – wie das Island-Video von Tita Salina – lagern seitdem in den Depots. Wäre es nicht wunderschön, einige dieser versunkenen Schätze kurzfristig zu heben und sie an einem anderen Ort zu zeigen, sie in einen überraschenden Diskurs zu verwickeln mit Kunstwerken aus anderen Zeiten und Kontinenten und die Berliner Kunstsammlungen aus globaler Sicht neu zu definieren?
Wenn es um Sehnsuchtsorte und Paradiese geht, streiten Paul Gauguin und Tita Salina miteinander
„Hello World“heißt die Ausstellung, die im Hamburger Bahnhof der Frage nachgeht, wie eine vorrangig der Kunst Westeuropas und Nordamerikas verpflichtete Sammlung heute aussehen würde, wenn man ihre Ausrichtung um nicht-westliche Kunstströmungen und transkulturelle Ansätze erweitern würde:Wie sähe also die Sammlung heute aus, hätte ein weltoffeneresVerständnis ihre Entstehung und ihren Kunstbegriff geprägt?
Um solche Fragen näher einzukreisen, wurden hunderte Exponate aus der Alten und Neuen Nationalgalerie, dem Ethnologischen und Asiatischen Museum und vielen anderen Abteilungen der Berliner Kunstlandschaft entliehen, zueinander gebracht und neu geordnet.
Auf über 10.000 Quadratmetern kann man einen Eindruck gewinnen, wie die Kunst des 20. Jahrhunderts aus globaler Sicht aussehen könnte. Wer diesen Weg mitgehen will, sollte allerdings sehr viel Zeit und nicht weniger Geduld mitbringen. Denn neben unzähligen Kunstwerken gibt es hunderte Text-Tafeln und Erklärungen, Internet-Exkurse und performative Denk-Anregungen und Mit-Spiel-Möglichkeiten.
Die Halle des ehemaligen Bahnhofs ist zu einer Art Agora geworden. Dort nämlich scheinen Werke von Duane Hanson und Bruce Nauman, Nam June Paik und Maden Stilinonic miteinander über Identität, Ausbeutung und Unterdrückung in der globalisierten Welt zu diskutieren. Wenn es um Sehnsuchtsorte und Paradiese geht, streiten Paul Gauguin und Tita Salina miteinander. Mal schauen wir auf die indische, mal auf die indonesische Moderne, mal auf einen postmodernen Bilderatlas, in dem Joseph Beuys und Rainer Fetting, Keith Haring und Cy Twombly um neue Formen und Sichtweisen ringen.
In einem Abschnitt wird beispielsweise die koloniale Gewalt und die künstlerische Befreiung thematisiert; in einem anderen die Kommunikation als globales Happening. Aktions-, Konzept- und Medienkunst von Wolf Vostell und Allan Kaprow sprechen mit skulpturalen Formen der Aneignung, wie wir sie von Alexander Archipenko oder Louise Bour- geois, Alberto Giacometti oder Pablo Picasso kennen. Ausflüge in die Architektur werden unternommen, nach den Bildkulturen Nordamerikas wird gefragt, künstlerische und politische Manifeste ausgedeutet, über Heimat und über Nachhaltig- keit, Avantgarde und Zukunft nachgedacht.
Und dann ist da natürlich auch dieses eine großformatige, grell-bunte Bild, das immer wieder für Schlagzeilen sorgte und einen Besucher zu einem Kunst-Attentat trieb: „Who is Afraid of Red, Yellow and Blue IV“des US-amerikanischen Malers Barnett Newman, eine Reverenz an die geometrische Kunst-Rebellion von Malewitsch und Piet Mondrian, ein Spiel mit Edward Albees Theaterstück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Von der Boulevardpresse als„Werk eines Anstreicherlehrlings“diffamiert, von einem verwirrten Studenten stark beschädigt. Nun kann man das restaurierte Werk wieder in seiner ganzen irritierenden Schönheit bewundern und darüber nachdenken, was uns die dazu gehängten Bilder des Chinesen Liu Ye eigentlich sagen und fragen wollen.
Auch das scheint uns die Ausstellung darum mit auf den Weg zu geben: Dann grübelt mal schön!