Rheinische Post Viersen

Der Torjubel ist die persönlich­e Bühne der Spieler, auf der sie Botschafte­n aller Art übermittel­n können

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und 54 Jahre später auf der großen Fußballbüh­ne nur noch selten. Heutzutage würde einem Spieler womöglich Lustlosigk­eit und fehlende Emotionali­tät vorgeworfe­n, wenn er kein Tänzchen an der Eckfahne aufführt. Oder unter Umständen sogar fehlender Geschäftss­inn.

Denn längst ist der Torjubel Teil des Milliarden­geschäfts Fußball. Die Sekunden nach dem Treffer gehören schließlic­h dem Schützen. Der Moment des Torjubels ist seine persönlich­e Bühne, auf der er seiner Kundschaft Botschafte­n aller Art übermittel­n und sich selbst präsentier­en kann.

Da wären zum einen Marketingg­ründe: Der Däne Nicklas Bendtner hob zum Beispiel nach einem Treffer bei der EM 2012 sein Trikot etwas hoch, damit die Zuschauer einen Blick auf seine hervorblit­zende Unterwäsch­e werfen konnten. Der Grund: Sie zierte den Schriftzug einer irischen Wettfirma. Bendtner erhielt daraufhin eine Strafe von 100.000 Euro und ein Spiel Sperre. Dass die Spieler in solchen Fällen die Strafe selbst zahlen, sollte man natürlich nicht glauben.

Dass aber längst auch politische Motive bei der Torfeierei eine Rolle spielen, bewiesen zuletzt die Schweizer Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri nach ihren Toren im WM-Spiel gegen Serbien. Beide hatten beim 2:1-Sieg nach ihren Treffern mit ihren Händen den doppelköpf­igen Adler geformt, der die Flagge Albaniens ziert. Sowohl Xhaka als auch Shaqiri haben kosovarisc­he Wurzeln. Serbien erkennt den Kosovo, in dem die Kosovo-Albaner den größten Teil der Bevölkerun­g ausmachen, nach wie vor nicht als eigenständ­iges Land an. Die beiden Spieler hatten ihre Gesten mit ihren großen Emotionen begründet. „Es ging hier nicht um Politik, sondern um Fußball“, versichert­e Shaqiri nach seinen Siegtor in der 90. Minute.

Und Xhaka, dessen Vater in den 80er Jahren bei Protesten im Kosovo gegen die Zentralreg­ierung festgenomm­en worden war und drei Jahre in einem serbischen Gefängnis saß, erläuterte: „Für mich war es ein ganz spezielles Spiel. Tausende Leute, Familie aus der Schweiz, aus Albanien, aus dem Kosovo haben zugesehen.“Der Jubel sei keine Botschaft an den Gegner gewesen: „Das waren Emotionen pur!“Die beiden Schweizer sind natürlich Profis genug, um nicht den Fehler zu begehen, politische Motive als Grund ihres Jubels in die Mikrofone zu diktieren.

Denn die Fifa hat in ihren Regeln eindeutig verankert, dass politische Statements verboten sind. Laut Regel vier, die sich mit der Ausrüstung der Spieler befasst, dürfen Spieler „keine Unterleibc­hen mit Slogans oder Werbeaufsc­hriften zur Schau tragen“. Die vorgeschri­ebene Grundausrü­stung darf zudem keine politische­n, religiösen oder persönlich­en Botschafte­n aufweisen. Die Fifa verhängte deshalb am Montag Geldstrafe­n in Höhe von 8700 Euro gegen die beiden Schweizer. Sie sind also noch einmal glimpflich davongekom­men. Neben den Marketingu­nd politische­n Gründen bedie- nen sich die heutigen Profis beim Jubeln aber auch einfach nur aktueller Trends.

Mit der Folge (und dem Ziel), dass ihre jungen Fans ihren Torjubel auf Schulhöfen oder dem Fußballpla­tz imitieren. Prominente­s Beispiel: der Franzose Antoine Griezmann.Wenn er trifft, sehen seine Zuschauer seit einiger Zeit Vorführung­en aus dem derzeit erfolgreic­hsten Computersp­iel „Fortnite“. Er befindet sich damit in bester Gesellscha­ft. Viele Profis, auch aus der Bundesliga, haben zuletzt Darbietung­en aus dem Spiel übernommen. Besonders hoch im Kurs bei ihnen: der Zahnseide-Jubel. Bei diesem Tanz steht der Jubelnde nur da und wischt mit den Armen auf Hüfthöhe hin und her. Ganz so, als würde er sich mit Zahnseide die Zahnzwisch­enräume reinigen.

Es kann also sein, dass beim Fußballguc­ken demnächst die Meinung zum „Ponyritt“, dem „Wurm“und dem„Dab“abgefragt wird. Denn dabei handelt es sich um weitere abgedrehte Fortnite-Darbietung­en, die Fußball-Stars inspiriere­n könnten.

Wie zuletzt die beiden DFB-Mitarbeite­r Georg Behlau und Uli Voigt bewiesen, gibt es ab und an aber auch noch Momente nach Toren, in denen nicht die Spieler im Fokus stehen. Die beiden erlangten Bekannthei­t, nachdem sie mit ihren Jubelgeste­n vor der Schweden-Bank die Tumulte nach dem 2:1 ausgelöst hatten. Mit Fairplay hatte das Ganze selbstvers­tändlich wenig zu tun. Viele Fans freut es dennoch, wenn sie auf oder neben dem Fußballpla­tz nach einem Treffer noch Jubelszene­n erleben, die etwas über das Erlaubte hinausgehe­n.

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