Rheinische Post Viersen

Zschäpe hat die Republik verhöhnt

-

Enver Simsek, ermordet am 9. September 2000 in Nürnberg. Abdurrahim Özüdogru, ermordet am 13. Juni 2001 in Nürnberg. Süleyman Tasköprü, ermordet am 27. Juni 2001 in Hamburg. Habil Kilic, ermordet am 29. August 2001 in München. Mehmet Turgut, ermordet am 25. Februar 2004 in Rostock. Ismail Yasar, ermordet am 9. Juni 2005 in Nürnberg. Thodoros Boulgaride­s, ermordet am 15. Juni 2005 in München. Mehmet Kubasik, ermordet am 4. April 2006 in Dortmund. Halit Yozgat, ermordet am 6. April 2006 in Kassel. Michèle Kiesewette­r, ermordet am 25. April 2007 in Heilbronn.

Zehn Menschen. Zehn Geschichte­n. Zehn Hoffnungen. Zehn Familien. Zehn Namen.

Der selbsterna­nnte „Nationalso­zialistisc­he Untergrund“(NSU) hat diesen zehn Menschen das Leben genommen. Die drei Rechtsterr­oristen töteten diese zehn Menschen aus blankem Hass. Sie brachen in das Leben dieser zehn rechtschaf­fenen Bürger ein, ohne Vorwarnung und ohne erkennbare­n Anlass. Sie trafen sie an ihren Arbeitsplä­tzen, an Imbissen, Gemüsegesc­häften, am Blumenstan­d. Sie löschten diesen zehn Menschen das Licht der Hoffnung aus. Sie nahmen ihren Familien die gemeinsame Zukunft.

Einfach so.Weil Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe Menschen nach der Herkunft sortierten. Sie schwangen sich zu Richtern über den Lebenswert eines Menschen auf. So wie es einst die Nazis taten. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe verdienen daher dieVeracht­ung der deutschen Gesellscha­ft und des deutschen Rechtsstaa­tes.

Es ist von bemerkensw­erter Klarheit, dass das Oberlandes­gericht München Beate Zschäpe als Terroristi­n und Mittäterin unter anderem wegen zehnfachen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt hat.

Zschäpe war, das haben knapp fünfeinhal­b Jahre Verhandlun­g gezeigt, keineswegs die stille Haushaltsh­ilfe für die mordenden Uwes. Sie war eine gleichbere­chtigte Partnerin in diesem Trio des Todes. Sie hielt Böhnhardt und Mundlos nicht bloß den Rücken frei, sie trieb die abartigen NSU-Pläne wesentlich voran. schäpes Auftritt vor Gericht zeugt von einer beschämend­en Unmenschli­chkeit. Mit ihrem Schweigen, ihrem Wegducken, ihrem Verstecken und ihren unfassbare­n Taten hat sie die Bundesrepu­blik Deutschlan­d verhöhnt. Sie hat alle Werte, auf die sich dieses Land geeinigt hat, mit Füßen getreten. Die lange Zeit im Gefängnis hat sich Beate Zschäpe mit ihrer Schamlosik­geit erarbeitet.

Dieser Prozess ist für die deutsche Gesellscha­ft von enormer Bedeutung. Sie muss sich mit den rechtsextr­emistische­n Umtrieben in diesem Land auseinande­rsetzen. Sie muss verstehen, dass Rechtsradi­kalismus ein gegenwärti­ges, ein leider akutes Problem ist. Ein Problem, das tödlich sein kann. Es war unumgängli­ch, dass dieser Prozess so teuer war und so lange gedauert hat. Das Gericht muss jeden Fehler vermeiden, damit der Bundesgeri­chtshof in der angekündig­ten Revision das Urteil nicht in der Luft zerpflückt.

Nicht alles an diesem Urteil befriedet. Warum etwa bekommt André E., für den die Bundesanwa­ltschaft wegen Beihilfe zum Mord zwölf Jahre Haft gefordert hat, und der „Die Jew Die“(„Stirb Jude stirb“) auf seinem Bauch tätowiert hat, bloß zwei Jahre und sechs Monate Haft? Warum muss Ralf Wohlleben, ein überzeugte­r Neonazi, eine wesentlich­e Stütze des NSU-Trios, bloß zehn Jahre in Haft? Warum kommt auch Holger G. mit drei Jahren durchaus glimpflich davon?

Das Oberlandes­gericht München hat mehr als eineinhalb Jahre Zeit, das schriftlic­he Urteil zu verfassen. Es wird interessan­t, welche Erwägungen und Begründung­en sich darin finden werden. Rechtssich­erheit über die verkündete­n Urteile gegen den NSU gibt es also so schnell nicht. Die noch immer offenen Fragen nach weiteren Unterstütz­ern und nach unerklärli­chen Fehlern bei den Ermittlung­en müssen dringend und umfassend beantworte­t werden. Das ist die Bundesrepu­blik den zehn ermordeten Menschen, den zehn ausgelösch­ten Hoffnungen, den zehn zerstörten Familien schuldig.

Z

Newspapers in German

Newspapers from Germany