Wer sich nur mit Gleichgesinnten umgibt, dem bleibt Fremdes fremd
ker“, „die Türken“und „die Asylanten“. Für uns Kinder waren es Kinder, über die wir auch viel gelacht haben – wenn Italien im Fußball verlor oder eine Pfütze unter Asjas Stuhl war. In den Pausen aber waren wir alle auf dem Bolzplatz. Der eine im Tor, die andere im Sturm. Jeder, wie er konnte, jeder, wie er wollte. Unterschiede vereinen uns. Am ehesten dann, wenn wir sie nicht als solche wahrnehmen. Wer mit Kindern türkischer, italienischer, polnischer, syrischer oder marokkanischer Eltern aufwächst, wächst auf mit: Kindern. Kinder kennen keine Vorurteile, und Kinder unterscheiden nicht nach Hautfarben. Und es liegt an den Eltern, ihnen beizubringen, dass es nebensächlich ist, welche Sprache die anderen Kinder als erstes gelernt haben oder am häufigsten zu Hause sprechen – solange sich alle auf eine verständigen: die des Respekts. Respekt ist mehr als Toleranz. Toleriere ich jemanden, dann erdulde ich ihn, ich ertrage ihn nur, schon vom lateinischen Wortursprung her. Respekt dagegen bedeutet Rücksicht, Achtung, Würdigung – wie es im Grundgesetz steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Es reicht nicht, bloß tolerant zu sein. Respekt ist das Fundament von echtem Zusammenhalt. Und ja, der bröckelt. Durch Anonymität in Großstädten und im Internet, durch Verrohung der Sprache im Netz und auf der Straße, durch Populisten im deutschen und in vielen anderen europäischen Parlamenten. Kürzlich in einem vollen ICE Richtung Berlin: Ein älteres Paar steigt ein, Ende 70, er deutsch, sie russisch, sie suchen nervös nach einem Sitzplatz, versperren den Weg, stören den Fluss der Zusteigenden. Sie finden Plätze, getrennt, ihr Gepäck steht noch halb im Gang. „Soll ich kurz helfen?“, frage ich, den Koffer schon in der Luft, „Nein, nein, der ist viel zu schwer“, sagt der Mann erleichtert wie beschämt. Minutenlang haben die Mitfahrenden die Situation beobachtet, stillschweigend, nur einer steht schließlich auf und sagt: „Ich hätte ja auch...“Zusammenhalt beginnt im Kleinen, und Respekt beginnt im Kopf. Wer sich immer nur mit Gleichgesinnten umgibt, für den wird Fremdes immer fremd bleiben. Das erfordert Mut und Überwindung, gerade bei der älteren Generation, die oft mit der Vielfalt fremdelt. Und vielleicht wächst der Zusammenhalt erst wieder mit der Generation nach der Wende. Einer Generation, die sich auch mithilfe sozialer Medien zu Großdemonstrationen verabredet, wie jüngst in Berlin, wo Tausende gegen die AfD auf die Straße gingen; oder wie jüngst in NRW, wo mehr als zehntausend teils tief verfeindete Fußballfans zusammen gegen das neue Polizeigesetz demonstrierten. Zusammenhalt bedeutet, sich zusammenzutun, sich gemeinsam gegen Spalter zu stellen, sich an die Seite von Menschen zu stellen, wann immer es nötig ist. Zusammenhalt ist generationsübergreifend, geschlechterübergreifend sowieso, und besonders stark, wenn Menschen Geschlossenheit zeigen, ohne verschlossen zu sein. Wenn sie eine Einheit sind, ohne einheitlich zu sein. Wenn es dem Trainer nicht wichtig ist, woher man kommt, sondern wohin man läuft. Julia Rathcke