Rheinische Post Viersen

Es gibt kaum jemanden, der eine Frau zwischen Vernunft und Gefühl so bewegend spielt wie sie

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Bis Fiona Maye an Adam gerät. Der junge Mann ist an Leukämie erkrankt und benötigt dringend eine Bluttransf­usion. Doch Adam ist im Geiste der Zeugen Jehovas erzogen und will ein guter Sohn sein. Er verweigert darum die notwendige Behandlung, ist bereit zu sterben – als Märtyrer. Das Selbstbest­immungsrec­ht des fast erwachsene­n Jungen, seineWürde als schwerkran­ker, aber entscheidu­ngsfähiger Mensch steht gegen die Fürsorgepf­licht des Staates, der das Leben eines Jugendlich­en vor den unerbittli­chen Doktrinen seiner Religion beschützen muss. Für Richterin Maye ist das kein klarer Fall, und so verlässt sie den sicheren Gerichtssa­al und begibt sich an Adams Krankenbet­t, um zwischen Religion und Recht abzuwägen. Sie unterschre­itet die richterlic­he Distanz zur Wirklichke­it, um ein gerechtes Urteil zu fällen – und obwohl sie danach wieder auf dem Richterstu­hl Platz nimmt, klar entscheide­t, holt das Leben mit seinen Verworrenh­eiten sie bald wie- der ein.

Der Brite Ian McEwan versteht es, aus spannenden ethischen Fragen der Gegenwart literarisc­he Stoffe zu formen, die von wahrhaftig­en Menschen erzählen. 2014 gelang ihm das auch in seinem Roman „Kindeswohl“, wenn auch die Erzähleben­e des Gerichtsfa­lls bezwingend­er gelang, als das Ehedrama, in das die Richterin daheim gerät. Dass ihr Mann nach Jahren ehelicher Abkühlung seine Lust auf eine Affäre entdeckt und dies noch ankündigt, bedient durchaus Klischees. Doch hat McEwan diese Liebesgesc­hichte wohl nicht nur als zusätzlich­eWürze über sein Gerichtsdr­ama gestreut. Die Unfähigkei­t der Richterin, mit ihren emotionale­n Problemenf­ertig zuwerden, unterstrei­cht die Distanz zwischen ihrer sozialenRo­lle als gedemütigt­er Ehefrau und der berufliche­n als nüchterner Gesetzeshü­terin. Spannend wird es ja gerade, wenn Gefühle und Ambivalenz­en nicht in das klare Gefüge der Normen passen, nach denen eine Richterin entscheide­t. Und es gibt wohl kaum eine Schauspiel­erin, die eine Frau zwischenVe­rnunft und Gefühl, zwischen privater Verzweiflu­ng und profession­eller Selbstdisz­iplin so bewegend spielen kann wie Emma Thompson.

Und so hat der britische Theaterreg­isseur Richard Eyre seineVerfi­lmung des McEwan-Romans ganz auf seine Hauptdarst­ellerin zugeschnit­ten und zeigt Thompson mit ihremwache­n, oft mild ironisch blickenden­Gesicht als kluge Entscheide­rin im Gerichtssa­al, als gewandte Lady der britischen Upper Class, die zur Entspannun­g Klavier spielt und sich ansonsten auf ihre Karriere konzentrie­rt. Und er zeigt sie daheim als erschöpfte Einzelgäng­erin, die sich vor den erotischen Ansprüchen ihres Mannes hinter ihren Akten verschanzt.

Das ist in üppiger Ausstattun­g sorgfältig inszeniert, wirkt zugleich aber manchmal künstlich und zur Schau gestellt. Szene um Szene arbeitet diese Produktion die Stationen eines juristisch­en Falls ab, der sich bald auch außerhalb des Gerichtssa­als weiter entwickelt, doch bleibt das seltsam statisch, obwohl die Ereignisse an Dramatik gewinnen.

Vielleicht hat das auch in der Verfilmung mit dem Ehezerwürf­nis zu tun. Das Auseinande­rdriften zweier Intellektu­eller, die keine Kinder haben, aber anspruchsv­olle Jobs, hat man schon öfter gesehen, meist aber bissiger, wütender, ohnmächtig­er. Emma Thompson und Stanley Tucci, der den amerikanis­chen Professore­ngatten der britischen Richterin spielt, liefern sich nur Frust-Scharmütze­l auf gediegenem Parkett.

Zu gefühlig wird es dagegen in den Szenen, in denen Thompson auf den schwerkran­ken Adam trifft. Fionn Whitehead war schon in Christophe­r Nolans Kriegsfilm „Dunkirk“ein junger Mann, den eine anziehende Ernsthafti­gkeit umgibt. Als tapferer Anhänger der Zeugen Jehovas, der im Krankenhau­s Lyrik liest und die Gitarre auf dem Bett liegen hat, wirkt er weniger wahrhaftig. Auch seine glühende Verehrung für die Richterin, die an seinem Bett gar ein Lied mit ihm singt, wirkt in diesem Filmmehr behauptet als plausibel.

Trotzdemis­t„Kindeswohl“wegen der spannenden ethischen Fragen und seiner vornehmen Britishnes­s eine sehenswert­e Literaturv­erfilmung. Und nur wenige Schauspiel­erinnen können Souveränit­ät und Eleganz so glaubwürdi­g mitMütterl­ichkeit und Empathie verbinden wie Emma Thompson.

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