Rheinische Post Viersen

In Venedig geht es dieses Jahr um Stars wie Ryan Gosling – aber das ist nicht alles.

Das Filmfestiv­al in Venedig hat seinen sehr gut besetzen Wettbewerb begonnen. Streit gibt es über die Frauenquot­e und Netflix.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Das Filmfest in Venedig hat gestern begonnen, Ryan Gosling spielte im Eröffnungs­film „First Man“den Weltraum-Pionier Neil Armstrong, aber am Lido reden sie sich über zwei ganz andere Themen die Köpfe heiß: zum einen über die Welle der von Netflix produziert­en Kinofilme und zum anderen über die auffallend und elend schlechte Quote von Wettbewerb­sfilmen, die eine Regisseuri­n haben.

In Cannes hatten die Verantwort­lichen den Streamingd­ienst noch ausgeschlo­ssen, der Venedig-Chef Alberto Barbera sieht das nun aber gar nicht ein. Der Kritik italienisc­her Kinobetrei­ber setzt er selbstbewu­sst sein cineastisc­hes Credo entgegen: Ihm gehe es allein um die Qualität. Und die, das muss man zugeben, verspreche­n die sechs Netflix-Filme durchaus.

Dazu gehört unter anderem „The Ballad Of Buster Scruggs“, der neue Western der beiden Coen-Brüder, die bereits vier Mal den Oscar gewonnen haben. Und außerdem – mit reichlich Spannung erwartet – „22 July“, Paul Greengrass’ Film über den Attentäter Anders Breivik und das Massaker auf der norwegisch­en Insel Utoya.

Weniger überzeugen­d klingen die Argumente in Bezug auf diese Zahl: 21 Produktion­en konkurrier­en um den Goldenen Löwen, der am 8. September verliehen wird, und nur eine davon stammt von einer Frau;„The Nightingal­e“von Jennifer Kent. Im Vorfeld adressiert­en verschiede­ne Verbände deshalb einen Offenen Brief an Alberto Barbera und fragten, ob er womöglich Vorurteile hege. Der„Hollywood Reporter“unterstell­te gar „Machismo am Lido“.

Immerhin 21 Prozent der Einreichun­gen, so hat es das Festival aufgeschlü­sselt, stammten von Frauen. Ob alle diese Produktion­en wirklich nichts taugen?Warum blieb nur eine Arbeit übrig? Jurypräsid­ent Guillermo del Toro („Shape Of Water“) sprach sich gestern schuldbewu­sst für eine absolute Chancengle­ichheit von Männern und Frauen im Filmgeschä­ft aus: „Das Ziel muss klar sein: Bis zum Jahr 2020 muss das Verhältnis bei 50 zu 50 liegen“, forderte der Mexikaner. Allein Barbera blieb stur. Er ließ verlauten, er werde zurücktret­en, sobald er einen Film in die Auswahl aufnehme, nur weil er von einer Frau gedreht worden sei.

An weiblichen Stars mangelt es in Venedig indes nicht, sie alle arbeiten jedoch vor der Kamera. Lady Gaga etwa ist in dem Musical „A Star Is Born“zu sehen, dem Regie-Debüt des Schauspiel­ers Bradley Cooper, für das die Pop-Sängerin auch einige Songs schrieb. Natalie Portman wird zu erleben sein, Dakota John- son, ebenso Emma Stone und Rachel Weisz.

Das Star-Aufgebot dürfte das des finanziell weitaus besser ausgestatt­eten Konkurrenz-Festivals in Cannes in diesem Jahr übertreffe­n. Hollywood hat wegen der günstigen zeitlichen Nähe zu den Oscars nämlich damit begonnen, aussichtsr­eiche Produktion­en hier zu präsentier­en.

Der gut aufgenomme­ne Eröffnungs­film gehört dazu: In „First Man“geht es um den ersten Schritt, den je ein Mensch auf den Mond setzte. Das ist kein patriotisc­her Kracher, wie man befürchten könnte. Der 33-jährige Regisseur Damien Chazelle arbeitete dafür erneut mit Ryan Gosling zusammen, und beide gehen die Sache leise und subtil an. Wie die Astronaute­n beim Start wild hin- und hergeschle­udert werden, wie jede Schraube durch den Druck fast herauszufl­iegen droht. Auch politische und gesellscha­ftliche Kritik klingt an: Warum muss so viel Geld für den Wettlauf zum Mond ausgegeben werden, wenn es doch in den Vereinigte­n Staaten Armut und soziale Missstände gibt, gerade für Afroamerik­aner? Chazelle und Gosling eröffneten übrigens schon vor zwei Jahren die Festspiele auf dem Lido: Das Musical „La La Land“wurde später mit sechs Oscars ausgezeich­net.

Einer der glamouröse­n Schauplätz­e des Festivals ist sicherlich das noble Grand Hotel des Bains, das Thomas Mann mit seiner Novelle „Tod in Venedig“weltberühm­t gemacht hat. Acht Jahre ist es geschlosse­n gewesen, nun wurde es für die 75. Filmfest-Ausgabe wiedereröf­fnet. Vor dieser Kulisse wird in den nächsten Tagen auch ein deutscher Oscar-Preisträge­r einen Film zeigen, dem man am Lido bereits gute Chancen einräumt.„Werk ohne Autor“heißt die neue Produktion von Florian Henckel von Donnersmar­ck („Das Leben der Anderen“). Er erzählt darin drei Stunden lang von einem Maler, von der Nazizeit und der frühen DDR; und wie man hört, soll die Geschichte unausgespr­ochen an die Biografie Gerhard Richters angelehnt sein.

Weitere Höhepunkte folgen Schlag auf Schlag: Auch der Brite Mike Leigh geht zurück in die Vergangenh­eit. Sein „Peterloo“thema-

tisiert das Massaker 1819 in Manchester, bei dem eine friedliche Protestkun­dgebung tödlich niedergesc­hlagen wurde. Julian Schnabel schaut in „At Eternity’s Gate“mit Willem Dafoe und Mads Mikkelsen auf Vincent van Goghs Zeit in Arles. Und Luca Guadagnino („Call Me by Your Name“) zeigt „Suspiria“, seine Zusammenar­beit mit Tilda Swinton.

Ein Clou ist auch die Premiere von „The Other Side of the Wind“. Regielegen­de Orson Welles (1915 bis 1985) drehte dasWerk in den 1970er Jahren, konnte es aber nie beenden. 2017 kaufte dann der Streamingd­ienst Netflix die Rechte und vollendete den Film. Er sollte eigentlich bereits bei den Filmfestsp­ielen in Cannes aufgeführt werden, aber da wollte man ihn nicht.

Wonach die Jury denn den Sieger aussuchen werde, wurde ihr Präsident Guillermo del Toro kurz vor Festivalbe­ginn auch gefragt. Die Antwort: „Ich finde, die Filme müssen mit dem beurteilt werden, was sie auf der Leinwand zeigen.“Seine Aufgabe sei auf jeden Fall eine sehr ernste: „Ich hoffe wirklich, dass ich überrascht werde und etwas entdecke.“

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FOTO: AP Claire Foy
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FOTO: AP Naomi Watts
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FOTO: AP Ryan Gosling
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FOTO: AP Christoph Waltz
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FOTO: AP Trine Dyrholm

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