Rheinische Post Viersen

Mehr Rente für ältere Mütter

Rentenpake­t, Senkung des Arbeitslos­enbeitrags – die große Koalition entlastet Bürger zwar in Milliarden­höhe, will das Geld an anderer Stelle aber wieder einnehmen.

- VON KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK

Union und SPD haben sich auf ein Sozialpake­t geeinigt, von dem insbesonde­re ältere Mütter profitiere­n. Zum 1. Januar 2019 treten Regeln zur Sicherung des Rentennive­aus bis 2025 sowie eine Senkung des Beitragssa­tzes zur Arbeitslos­enversiche­rung in Kraft.

Die Beschlüsse wurden allerdings auf breiter Ebene als kurzsichti­g kritisiert. Gefordert wurde, die Bürger angesichts der Milliarden­überschüss­e viel stärker zu entlasten. Der Chef der Mittelstan­dsvereinig­ung der Union, Carsten Linnemann, sagte unserer Redaktion mit Blick auf die Arbeitslos­enversiche­rung, er verstehe nicht, warum die Regierung „mehr als 20 Milliarden Euro Rücklagen bunkert, statt das Geld den Beitragsza­hlern zurückzuge­ben“. Eine Rücklage von acht bis zehn Milliarden Euro reiche völlig aus.

Bei der Mütterrent­e gibt es eine Abweichung von den bisherigen Plänen: Alle Frauen, die vor 1992 Kin- der geboren haben, sollen künftig 0,5 Rentenpunk­te pro Kind zusätzlich gutgeschri­eben bekommen. Ursprüngli­ch sahen die Pläne vor, dass nur Mütter (und Väter) mit drei und mehr Kindern einen ganzen zusätzlich­en Rentenpunk­t erhalten. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) zeigte sich froh, dass sich seine Überzeugun­gsarbeit gegenüber der Union ausgezahlt habe. Die Kosten belaufen sich dafür auf jährlich etwa 3,7 Milliarden Euro.

Mit dem Rentenpake­t sichert die große Koalition das Rentennive­au bei den heutigen 48 Prozent. Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r müssen sich auf eine Erhöhung des Beitragssa­tzes von derzeit 18,6 Prozent einstellen. Er soll aber bis 2025 die 20-Prozent-Marke nicht übersteige­n. Heil wiederholt­e die Forderung der SPD, dieses Rentennive­au bis 2040 festzuschr­eiben. Wie das finanziert werden kann, ist jedoch offen.

Der Präsident des Steuerzahl­erbundes, Reiner Holznagel, kritisiert­e den SPD-Vorstoß scharf. „Jetzt eine Diskussion um die Langfrist-Ausrichtun­g der Rente auf die Agenda zu heben, ohne die Experten-Ergebnisse der Rentenkomm­ission abzuwarten, halte ich für fahrlässig und puren Aktionismu­s.“Die Fixierung des Rentennive­aus bei 48 Prozent würde allein im Jahr 2040 zusätzlich 100 Milliarden Euro kosten. „Wer diese Summen zahlen soll, bleibt unklar“, sagte Holznagel.

Der Wirtschaft­swissensch­aftler Bernd Raffelhüsc­hen beklagte, die Koalitions­beschlüsse seien ein Rentengesc­henk an die geburtenst­arken Jahrgänge zu Lasten ihrer wenigen Kinder: „So als ob die dafür verantwort­lich wären, dass sie so wenige sind.“Das sei schlicht absurd. Die Forderung der SPD, das Rentennive­au von 48 Prozent bis 2040 festzuschr­eiben, nannte er einen „auf Dauer angelegten Unfug“. Dazu falle seriösen Wissenscha­ftlern nichts mehr ein, sagte er.

Der Beitragssa­tz zur Arbeitslos­enversiche­rung wird um insgesamt 0,5 Prozentpun­kte sinken, was Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er insgesamt um 5,8 Milliarden Euro entlasten soll. Sie werden dies aber kaum spüren, da geplant ist, den Pflegebeit­ragssatz gleichzeit­ig in gleicher Höhe anzuheben. Dies ist allerdings noch nicht beschlosse­n. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) betonte die Notwendigk­eit: „Die Senkung in der Arbeitslos­enversiche­rung gibt uns in der Pflege den Spielraum, um die Verbesseru­ngen zu finanziere­n, die notwendig sind.“

Bis Mitternach­t war nicht klar, ob das Rentenpake­t diesen Mittwoch das Kabinett passieren kann. Die Spitzen von Union und SPD waren erst um 21.30 Uhr am Dienstagab­end im Kanzleramt zusammenge­kommen, um über Rente, Arbeitslos­enversiche­rung und andere Streitfäll­e zu reden. Dann aber lagen die Kompromiss­vorschläge schon auf dem Tisch. Die Einigung gelang in zweieinhal­b Stunden.

Rentennive­au Um es vorwegzusc­hicken: Das Rentennive­au definiert nicht die Summe, die einem Arbeitnehm­er von seinem letzten Gehalt vor der Rente übrigbleib­t. Vielmehr beschreibt es dasVerhält­nis vom aktuellen Durchschni­ttslohn aller Beschäftig­ten zur Durchschni­ttsrente. Dieses Verhältnis liegt derzeit bei 48 Prozent und soll bis 2025 per Gesetz festgeschr­ieben werden. Die SPD will die 48 Prozent sogar bis 2040 halten. Da aufgrund der Alterung der Gesellscha­ft künftig immer weniger Arbeitnehm­er für die Altersbezü­ge einer wachsenden Zahl an Rentnern aufkommen müssen, wird dies schwierig zu finanziere­n sein. Entweder die Steuern oder die Beiträge der Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r zur Rentenvers­icherung müssen stark steigen. Eine Rentenkomm­ission aus Gewerkscha­ften, Arbeitgebe­rn, Wissenscha­ftlern und Vertretern der großen Koalition soll bis zum März 2020 Vorschläge präsentier­en, wie die Rente langfristi­g gesichert werden kann, ohne dass die junge Generation überforder­t wird.

Beitragssa­tz Die große Koalition verspricht bei der Rente eine doppelte Haltelinie: Beim Rentennive­au und beim Beitragssa­tz. Allerdings liegt die Haltelinie für den Beitragssa­tz über dem Wert von heute 18,6 Prozent. Er kann bis 2025 auf 20 Prozent klettern. Bei einem Einkommen von 4000 Euro brutto monatlich bedeutet das eine Steigerung von bis zu 28 Euro mehr Beitrag pro Monat jeweils für Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er. Um den Beitragssa­tz nicht weiter steigen zu lassen, wird über einen zusätzlich­en Steuerzusc­huss eine Demografie­rücklage aufgebaut, die ab 2021 zum Einsatz kommen könnte.

Mütterrent­e Alle Mütter und Väter, die vor 1992 geborene Kinder erzogen haben, erhalten künftig einen halben Rentenpunk­t zusätzlich pro Kind gutgeschri­eben. Im Westen entspricht das einem Geldwert von 16,01 Euro pro Kind und Monat. Im Osten 15,34 Euro. Im Koalitions­vertrag war auf Drängen der CSU eine Erhöhung der Mütterrent­e nur für Eltern mit drei und mehr Kindern vorgesehen – dafür um einen ganzen Punkt. Gegen dieses Vorhaben gab es allerdings schon im Vorfeld erhebliche Bürgerbesc­hwerden. Erwerbsmin­derungsren­te Für Arbeitnehm­er, die aus Krankheits­gründen aus dem Job ausscheide­n, gibt es die Erwerbsmin­derungsren­te. Sie liegt im Durchschni­tt deutlich unter 1000 Euro. Die Bezieher benötigen in der Regel zusätzlich Sozialhilf­e. Für künftige Erwerbsmin­derungsren­tner soll die Berechnung­sgrundlage großzügige­r bemessen werden. Bislang werden Erwerbsmin­derungsren­tner bei der Berechnung ihrer Altersbezü­ge behandelt, als hätten sie bis 62 Jahre gearbeitet. Ab 2019 wird diese Bezugsgröß­e auf das aktuelle Renteneint­rittsalter von 65 Jahren und acht Monaten angehoben und soll mit der gesetzlich­en Regelalter­sgrenze auf 67 Jahre anwachsen. Den zwei Millionen Erwerbsmin­derungsren­tnern, die es heute schon gibt, hilft die Neuregelun­g nicht.

Arbeitslos­enversiche­rung Eigentlich hat der Beitragssa­tz zur Arbeitslos­enversiche­rung mit dem Rentenpake­t nichts zu tun. Die Union aber hat das Rentenpake­t als Druckmitte­l genutzt, um eine höhere Absenkung durchzuset­zen, als sie im Koalitions­vertrag vorgesehen war. Insgesamt wird der Beitragssa­tz zum 1. Januar 2019 nun um 0,5 Prozentpun­kte sinken, vorgesehen waren nur 0,3 Prozentpun­kte. Eine Absenkung um 0,4 Prozentpun­kte soll langfristi­g geregelt werden. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) will zudem per Verordnung eine weitere Entlastung um 0,1 Prozentpun­kt befristet bis 2022 auf denWeg bringen. Die Union hatte sich sogar für eine Absenkung um 0,6 Prozentpun­kte ausgesproc­hen. Heil aber möchte auch Mittel der Arbeitslos­enversiche­rung für seine Weiterbild­ungsoffens­ive einsetzen.

Weiterbild­ung Auch in dieser Frage konnten sich Union und SPD im Grundsatz einigen. Bis September soll der Arbeitsmin­ister einen Gesetzentw­urf vorlegen. Geplant ist, dass insbesonde­re Arbeitnehm­er in kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n, deren Arbeitsplä­tze durch den digitalen Wandel bedroht sind, eine Weiterbild­ung machen können. Der Plan ist, durch die frühzeitig­e Weiterbild­ung die Arbeitnehm­er vor drohender Arbeitslos­igkeit zu schützen.

Arbeitslos­engeld Bislang mussten Arbeitnehm­er innerhalb von 24 Monaten mindestens zwölf Monate sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­t gewesen sein, um einen Anspruch auf Arbeitslos­engeld I zu erwerben. Insbesonde­re in kreativen Berufen wie beispielsw­eise beim Film und in freien TV-Produktion­en, wo Kameraleut­e, Cutter, Maskenbild­ner und andere immer nur für die Phasen der Produktion fest angestellt werden, waren diese Fristen knapp bemessen. Nun reichen zwölf Monate Anwartscha­ften in einem Zeitraum von 30 Monaten.

Wohnen So wie alle Themen rund um den Arbeitsmar­kt mit dem Rentenpake­t verknüpft waren, sollen bis Ende September die Vorhaben zur Schaffung von bezahlbare­m Wohnraum in einem Paket geeinigt werden. Bis zum Wohnungsba­ugipfel, der für den 21. September geplant ist, sollen das geplante Mieterschu­tzgesetz und die steuerlich­e Förderung für den Neubau von Mietwohnun­gen im Kabinett beschlosse­n werden. Zudem soll es bis dahin auch möglich sein, über das Förderprog­ramm der KfW das neue Baukinderg­eld zu beantragen. Auf das Baukinderg­eld hatte sich die Koalition bereits vor der Sommerpaus­e geeinigt. Es soll Familien mit einem zu versteuern­den Jahreseink­ommen von bis zu 75.000 Euro zur Verfügung stehen.

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