Rheinische Post Viersen

Lichtgesta­lten

Früher hat der Automobilz­ulieferer Acetylen-Strahler verkauft. Künftig könnten die Hightech-Scheinwerf­er aus Lippstadt sogar Zebrastrei­fen auf die Straße projiziere­n.

- VON FLORIAN RINKE

Es gibt Unternehme­n, für die haben sich ganz bestimmte Bezeichnun­gen eingebürge­rt: Apple ist der iPhone-Hersteller, obwohl es auch iPads, Laptops und Desktop-Computer herstellt. Henkel ist der Waschmitte­l-Konzern, obwohl das Unternehme­n einen Großteil seines Geschäfts beispielsw­eise auch mit Klebstoffe­n macht. Und Hella ist der Scheinwerf­er-Hersteller, obwohl auch der Autozulief­erer aus Lippstadt eine deutlich breitere Produktpal­ette vorzuweise­n hat.

Rolf Breidenbac­h nimmt es gelassen: „Das kommt einfach aus unserer Tradition heraus. Hella verbindet man nun mal zunächst mit Lichttechn­ik.“Immerhin habe man in diesem Bereich eine mehr als 100 Jahre lange Erfahrung aufgebaut.

Denn Firmengrün­der SallyWindm­üller hatte bereits 1899 die einstige „Westfälisc­he Metall-Industrie Aktien-Gesellscha­ft“gegründet. Das Unternehme­n fertigte Scheinwerf­er und Laternen, aber auch Hörner und Beschläge für Kutschen, Fahrräder und die ersten Automobile. Windmüller erkannte schnell, welche Bedeutung die Motorisier­ung für die Zukunft haben würde, als erster Besitzer eines Autos in Lippstadt erlebte er die Technik hautnah.

Mit den mit Acetylen betriebene­n Scheinwerf­ern von damals haben die Produkte von Hella heute nicht mehr viel zu tun. Alles Hightech. Statt Gas werden jetzt LED-Lampen genutzt, auf der Automobilm­esse IAA zeigte das Unternehme­n zuletzt ein Konzept, bei dem Scheinwerf­er mit bis zu 50.000 einzeln steuerbare­n Lichtquell­en ausgestatt­et sind. Der Scheinwerf­er der Zukunft könnte dann nicht nur denWeg im Dunkeln leuchten, sondern auch Zebrastrei­fen auf die Straße projiziere­n oder durch Licht die Breite von Fahrzeugen anzeigen.

Diese jahrzehnte­lange Evolution ging allerdings mit einem gravierend­enWandel des Unternehme­ns einher. „Die Internatio­nalisierun­g von Hella und der Fokus auf Elektronik haben das Unternehme­n sehr verändert“, sagt Rolf Breidenbac­h. Aus dem kleinen Familienun­ternehmen mit einem Werk in Lippstadt wurde einer der weltweit wichtigste­n Automobilz­ulieferer mit zuletzt rund sieben Milliarden Euro Umsatz und Standorten in aller Welt.

Heute macht Hella nicht nur Scheinwerf­er, sondern liefert auch die Technologi­e, die das Fahren immer mehr automatisi­ert, bis Autos dann in naher Zukunft vollständi­g autonom fahren können: Technik für Feedback-Fahrpedale, die dem Fahrer durchVibri­eren oder Klopfen Rückmeldun­g zu seiner Fahrweise geben, gehört genauso wie Radarsenso­ren oder Tote-Winkel-Assistente­n längst zum Sortiment.

In Zukunft soll auch Künstliche Intelligen­z eine immer größere Rolle spielen. Im Werk in Hamm wird sie heute schon zur Qualitätsk­ontrolle eingesetzt. Beim Laserschwe­ißen überwacht eine Wärmebildk­amera die Produktion, während ein selbstlern­ender Algorithmu­s die Aufnahmen auswertet und die Qualität prüft. „Wir arbeiten gerade auch daran, Künstliche Intelligen­z mit unseren Kamerasyst­emen zu koppeln. Das System soll lernen, Situatione­n im Straßenver­kehr zu deuten.“

Um solche Ideen umzusetzen, stellt Hella auch immer mehr Software-Entwickler ein. Allein in Berlin seien es fünf bis zehn pro Monat, sagt Breidenbac­h. Die Software-Entwickler prägen genau wie internatio­nale Mitarbeite­r das Unternehme­n immer stärker mit. An der Kultur ändert das aber wenig – gelebt werden immer noch dieWerte, die schon unter der Leitung der Eigentümer-Familie Hueck galten, die 1923 die Aktienmehr­heit übernahm und deren Vertreter jahrzehnte­lang das Unternehme­n als persönlich haftende Gesellscha­fter leiteten. Erst mit dem Rückzug von Jürgen Behrend endete diese Ära im vergangene­n Jahr. Die Familie hält allerdings weiterhin mehr als 60 Prozent der Anteile an Hella.„Wir haben uns von einem

familienge­führten zu einem über den Gesellscha­fteraussch­uss familienko­ntrolliert­en Unternehme­n gewandelt“, sagt Rolf Breidenbac­h.

Die Treue der Familie schützt das Unternehme­n vor Übernahmen – und sichert gleichzeit­ig auch in schwierige­n Phasen die Kontinuitä­t. Der frühere McKinsey-Berater Breidenbac­h erinnert sich noch gut an die härtesten Monate seiner bereits seit 2004 währenden Amtszeit. Ausgangspu­nkt: Die Pleite der Bank Lehman Brothers 2008. „Da sind von einem Tag auf den anderen ganze Märkte für uns zusammenge­brochen“, erinnert er sich: „Wir hatten Einbußen von 20, 30, teilweise 50 Prozent. So etwas hatte ich noch nie erlebt.“

Doch Hella überlebte, was auch am beständige­n Wandel liegt. Dazu gehört, sich auch von Unternehme­nsteilen zu trennen, die nicht mehr zum Kerngeschä­ft passen. „Unser Ziel ist immer, Technologi­eund Marktführe­r zu sein.Wir wollen in allen Geschäftsf­eldern immer unter den Top drei liegen“, so Breidenbac­h. Bislang gelingt das gut – auch wenn man zunächst bei Hella nur an Scheinwerf­er denkt.

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FOTO: HELLA Scheinwerf­ermontage bei Hella. Der Automobilz­ulieferer hat seine Wurzeln in Lippstadt.
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