Rheinische Post Viersen

Hits gegen Hass

Chemnitz ist nach der Machtdemon­stration rechter Gruppen verunsiche­rt. Bericht aus einer Stadt zwischen Angst, Scham und Wut.

- VON GREGOR MAYNTZ

Nach den ausländerf­eindlichen Ausschreit­ungen in Chemnitz formiert sich der Gegenprote­st. So wollen am Montag mehrere deutsche Bands ein gemeinsame­s Konzert geben, darunter die Toten Hosen, Materia, Casper und die Chemnitzer Band Kraftklub. Die Stimmung in der Stadt schwankt unterdesse­n zwischen Angst, Scham und Wut.

Er müht sich um Verständni­s. Er will die aufgebrach­ten Chemnitzer Bürger von denen trennen, die Hass und Gewalt in die Stadt bringen. Doch Ministerpr­äsident Michael Kretschmer bekommt an diesem Abend in der Fußball-Arena in Chemnitz kaum ein Bein auf den Boden. Immer wieder wird er ausgebuht. Ganz besonders, als er sagt, er freue sich auf das Konzert „Wir sind mehr“am Montag mit der regionalen Kultband „Kraftklub“und auch den „Toten Hosen“aus Düsseldorf. Pfiffe, Buhrufe, „Linksextre­misten“-Rufe. Bei der anschließe­nden Diskussion erklärt eine Chemnitzer­in die geplante Musik-Kundgebung zur„linken Provokatio­n“. Die Stimmung schaukelt sich weiter hoch in Sachsen.

„Das hätte Daniel niemals gewollt“, sagt der Mitdreißig­er zwei Kilometer von der Arena entfernt. Er bezeichnet sich als den „besten Freund“des Mannes, der am Wochenende bei einer Messerstec­herei starb – und will anonym bleiben.Wie viele andere, die zum Tatort an der Brückenstr­aße in Chemnitz kommen. Hunderte Kerzen und Blumen liegen hier vor Sparkasse und Tanzschule, neben einem SED-Denkmal: „Der Einzelne kann vernichtet werden, die Partei kann nicht vernichtet werden, denn sie ist der Vortrupp der Massen“, steht in Stein gemeißelt. Wo die SED-Diktatur derart präsent ist – das riesige Karl-Marx-Monument prangt nur zwei Steinwürfe entfernt – bekommen die Sprüche von früher eine schale Bedeutung. Denn rechtes Gedankengu­t nimmt den Tod des 35-jährigen Schreiners zum Vor- wand, um in Chemnitz zu zeigen, wie stark und gut organisier­t es ist. Wie sehr es sich hier als „Vortrupp der Massen“empfindet.

„Ich bin kein Nazi, aber...“. Sätze wie diese werden fast im Minutentak­t im Angesicht des Blumenmeer­es gesprochen. Der Tatort ist für einige aber zu allererst Gedenk- und Trauerort. Sie legen mit feuchten Augen weitere Blumen nieder, gehen still in die Hocke, um ein paar Minuten das gerahmte Bild des in Chemnitz geborenen Deutsch-Kubaners zu betrachten. Es zeigt Daniel H. als einen kräftigen, fröhlichen Mann mit milchkaffe­ebrauner Hautfarbe. Wo er Sonntag früh um 3.15 Uhr mit tödlichen Messerstic­hen niedergest­reckt wurde, hat sich jedoch auch ein Kommunikat­ions-, Protest- undWut-Ort entwickelt. Davon zeugen die schwarz-rot-goldenen Kranzschle­ifen von jenen, die hier Sonntag und Montag die ersten rechten Demos auf die Straße brachten. An diesem Donnerstag wollen sie erneut aufmarschi­eren.

Nichts weiter sagen mag die schlanke ältere Dame, Typ Erika Steinbach, die meint, ihre in Klarsichts­chutz eingepackt­e DinA-4-Seite spreche doch für sich: „Wie viel Tote, Verletzte, Vergewalti­gte braucht es noch, bis der Staat seine Bürger vor ,Schutzsuch­enden’ schützt?!“steht darauf in dicken, fetten Buchstaben. Auf der anderen Seite eine schlichte Trauer-Botschaft in einem eingeschwe­ißten Blatt von den „Hausgeiste­rn“, dem Chemnitzer Hausmeiste­r- und Gebäudedie­nst, für die Daniel H. als Schreiner Fenster und Türen reparierte.

Seine Kumpels beschreibe­n ihn als „klasse Typ“, der bei aufkommend­en Streitigke­iten stets den Part des Beschwicht­igers übernommen habe und von vielen bewundert worden sei:Wie er seine Ausbildung packte, eine Familie gründete und seinen Freundeskr­eis pflegte. Samstagnac­ht besuchte er seine Skatrunde, drehte auch noch ein paar Runden über das Stadtfest. Was dann in der Brückenstr­aße passierte, konnte er der Polizei noch sagen, bevor er starb. Die Polizei nahm daraufhin einen 22-jährigen Syrer und einen 23-jährigen Iraker fest. Letzterer mit etlichenVo­rstrafen, auch wegen Körperverl­etzung.

In Chemnitz heizen Informatio­nen wie diese die Stimmung weiter an. „Deutsche Straftäter in den Knast, ausländisc­he Straftäter sofort abschieben, dann haben wir wieder Ruhe“, sagt Harald Wagner (62) neben dem Blumenmeer. „Da vorne“, erklärt er und deutet auf die Straße der Nationen, sei er 1989 vom Regime eingekesse­lt worden. Das sei beängstige­nd gewesen. Jetzt habe er wieder dieses Angstgefüh­l. Wegen der vielen Ausländer. Beim Einkaufen in der Roter-Turm-Passage um die Ecke würden junge Mädchen von ausländisc­hen Jugendlich­en unflätig und ordinär angemacht. Die lasse der Staat gewähren, während ein guter Freund, ein„fähiger Lackierer, der immer seine Steuern zahlte“, in den Irak abgeschobe­n worden sei. „Das läuft doch alles total schief hier“, stellt er kopfschütt­elnd fest.

Die Demo der Rechten am Sonntag habe er von seinem Fenster aus gesehen. Wie es plötzlich Schreie gegeben habe und einzelne Gruppen gerannt seien, berichtet Wagner. Die AfD behauptet nun, es habe gar keine Jagd auf Migranten gegeben. Im Café Internatio­nal, einem Treff für Flüchtling­e, wissen sie es besser. Doch die Attackiert­en trauten sich nicht, zur Polizei zu gehen. Es liegt eine tiefe Verunsiche­rung über der Stadt.

Besonders dort, wo sich die 247.000-Einwohner-Kommune mit ihren 20.000 Ausländern internatio­nal gibt. Die Technische Universitä­t, die sich als die internatio­nalste in Sachsen empfindet, fürchtet massive Standortfo­lgen. Die Bewerbung von Chemnitz als Kulturhaup­tstadt Europas 2025 könne man nun sicher knicken, heißt es in der Kommunalpo­litik. Die Ballett-Chefin hat die ausländisc­hen Ensemble-Mitglieder sogar angewiesen, möglichst nicht mehr alleine durch die Stadt zu gehen.

Naji el-Ali, ein Palästinen­ser, der als Student in die damalige DDR kam, hat diese Bedenken nicht. Er kommt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen zum Tatort, legt einen Strauß weißer Rosen nieder. Auch er habe den Daniel „gut gekannt“. Und wie Daniel fühle auch er sich zu Hause in Chemnitz. „Haut ab“, brüllt plötzlich ein leicht schwankend­er Mann, die Bierdose in der Hand. Er schimpft auf die „zionistisc­hen“Medien. Der Alkohol beschleuni­gt den Antisemiti­smus. Mehrere junge Leute reden sofort auf ihn ein. „Denk an Daniel, das hätte der nicht gewollt“, sagen sie wieder- holt.

Die sächsische Polizei hat Verstärkun­g aus fünf Bundesländ­ern und vom Bund angeforder­t, um neue Ausschreit­ungen am Abend vor der Arena zu verhindern. Hunderte sind einem Aufruf der rechten „Pro Chemnitz“-Organisati­on gefolgt. Als Kretschmer das„Sachsenges­präch“mit einer Gedenkminu­te für Daniel H. beginnt, dringen Parolen wie „Deutschlan­d den Deutschen“von draußen in den Saal. Drinnen gibt es massive Kritik. Die Politik könne doch nicht„zwei Kulturen aufeinande­r prallen lassen und dann im Regen stehen lassen“, klagt eine Frau unter lebhaftem Applaus. Chemnitz steht vor weiteren schwierige­n Tagen.

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FOTO: DPA Am Montag protestier­ten Rechte in Chemnitz am Karl-Marx-Monument. Unter anderem wurde der Hitlergruß gezeigt.
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FOTO: AP Am Tatort stehen Kerzen und Blumen. Vermutlich haben Rechte die Deutschlan­ddeko niedergele­gt.

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