Die Schule der Nation
Deutschland ändert sich – das ist nicht zu bestreiten. Wer sehen will, wie sehr, der muss in die Schulstatistik schauen. Mitte August hat das Statistische Landesamt neue Zahlen für NRW vorgelegt. 35 Prozent der Schüler im Land haben mittlerweile eine „Zuwanderungsgeschichte“, was bedeutet: Sie selbst oder ein Elternteil wurden nicht in Deutschland geboren, oder zu Hause wird nicht Deutsch gesprochen. In Grundschulen sind es 43 Prozent, in Gelsenkirchen und Duisburg mehr als die Hälfte, Tendenz fast überall steigend.
Die Schule nimmt Entwicklungen vorweg – für ganz NRW bezifferte die Landesregierung 2017 den Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund
„nur“auf knapp 26 Prozent; die Definition war fast dieselbe wie bei der „Zuwanderungsgeschichte“. Und anders als bei den Schülerdaten gab es damals auch Auskunft darüber, wer die Zuwanderer sind. Ausschließlich Muslime jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Je etwa ein Sechstel der Menschen mit Migrationshintergrund stammte aus der Türkei, aus Polen, aus der ehemaligen Sowjetunion und aus weiteren „Anwerbeländern“, also etwa Italien, Spanien und dem früheren Jugoslawien.
Und ein Drittel der Schüler ist zwar selbst zugewandert oder hat zugewanderte Eltern – aber nur ein Sechstel war im vergangenen Schuljahr islamischen Glaubens. Anders gesagt: Wer glaubt, die große und wachsende Vielfalt an den Schulen des Landes sei die größte Herausforderung für das Bildungssystem, und im Bildungssystem wiederum entscheide sich maßgeblich Wohl und Wehe unserer Integrationsbemühungen – beide Thesen sind schon fast Binsenweisheiten –, der wird sich damit auseinandersetzen müssen, dass der Islam nur ein Teil des Problems ist.
Kein unwichtiger, das räumt auch Klaus Spenlen ein. Aber: „Religion ist nur ein Identitätsmerkmal“, sagt der Pädagoge und Sozialwissenschaftler von der Uni Düsseldorf, der auch als Lehrer gearbeitet hat. „Aufenthaltsstatus, ethnische Herkunft, Heimatregion, Sprache, Bildungsstand sind andere, die das Merkmal ,Muslim’ aufweichen.“Viele Wissenschaftler, sagt Spenlen, sprächen „lieber von einem orientalischen als einem muslimischen Hintergrund“. Das umfasse dann etwa auch Drusen, Jesiden und syrische Christen. Spenlen spitzt noch zu: „Im Hinblick auf traditionelle Rollenbilder ist es viel wichtiger, ob jemand vom Land oder aus einer Großstadt kommt, als ob er Muslim oder Christ ist.“
Das macht freilich die Debatte nicht eben einfacher, in der gern auf „den“Islam verwiesen wird, der die Wurzel aller Übel sei. So tut es etwa der frühere ARD-Journalist Joachim Wagner in seinem Buch „Die Macht der Moschee“, für das er unter anderem mit etwa 100 Lehrern und Schülern in fünf deutschen Städten gesprochen hat. Seine These: Politik und Gesellschaft hätten sich „in der kulturellen Integrationsbereitschaft und -fähigkeit der Muslime getäuscht“.
Was nun also: Sprechen wir eher von kulturellen oder von religiösen Differenzen? Wissenschaftlich klar belegen lässt sich beides nicht, weil entsprechende Erhebungen fehlen. Zwar ist der größte Teil der seit 2015 angekommenen Zuwanderer muslimischen Glaubens; aber Integrationsprobleme an den Schulen gibt es schon viel länger. Zwar zeigte sich 2016 in einer Erhebung von Wissenschaftlern der Berliner Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft, dass viele Flüchtlinge Positionen vertreten, die am ehesten der AfD nahestehen, also nicht hilfreich für die Integration in eine pluralistische, liberale Gesellschaft sind; allerdings ist überdurchschnittliche Zustimmung zur AfD auch etwa für Russlanddeutsche belegt. Zwar identifizierte eine Erhebung der Uni Münster 2016 etwa ein Achtel der Türkischstämmigen in