Rheinische Post Viersen

„Migrations­frage ist die Mutter aller Probleme“

Der Bundesinne­nminister über den Fall Sami A. und kompromiss­loses Vorgehen gegen Rechtsextr­emismus.

- FOTO: DPA MICHAEL BRÖCKER UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

BERLIN Innenminis­ter Horst Seehofer kann aus seinem Büro in den Garten des Kanzleramt­s schauen. Er sieht, wann die Kanzlerin mit dem Hubschraub­er kommt und wegfliegt. Von seinem Ministeriu­m aus kann er auch beobachten, wann bei der Nachbarin das Licht ausgeht.

Herr Seehofer, eine brutale Bluttat eines Flüchtling­s in Chemnitz, die Empörung der Rechten, dann die Empörung der Linken. Müssen wir uns an diese Bilder jetzt gewöhnen? SEEHOFER Man muss das alles sauber trennen. An erster Stelle steht ein brutales Tötungsdel­ikt, das mich aufwühlt. Deshalb stehen die Verurteilu­ng dieser Tat und die Anteilnahm­e ganz vorne. Zweitens gibt es eine Aufregung und eine Empörung in der Bevölkerun­g wegen dieses Tötungsdel­ikts, für die ich Verständni­s habe. Ich wäre, wenn ich nicht Minister wäre, als Staatsbürg­er auch auf die Straße gegangen – natürlich nicht gemeinsam mit Radikalen. Und es gibt – drittens – null Toleranz gegenüber Kräften, die diese Vorkommnis­se zum Anlass nehmen, um zu Gewalt aufzurufen oder gar Gewalt auszuüben, auch gegenüber der Polizei. Das ist völlig inakzeptab­el, da gibt es keine Schattieru­ngen.

Hat der Osten ein Problem mit Rechtsradi­kalen?

SEEHOFER Man muss aufpassen, ganze Landstrich­e an den Pranger zu stellen. Jeder Rechtsbruc­h wird geahndet. Und wir müssen sie aufarbeite­n, überall in Deutschlan­d.

Werden Menschen, die den Hitlergruß zeigen, verfolgt?

SEEHOFER Ja, das wird strafrecht­lich verfolgt. Der Polizist muss bei einer Menschenme­nge, aus der solche Straftaten oder Provokatio­nen erfolgen, aber immer auch die Gefahrensi­tuation einschätze­n, und überlegen, ob er sich eine Person direkt aus der Menge herausholt und dadurch die Situation eskalieren könnte. Deswegen deckt das der Staat nicht. Es muss zwischen der strafrecht­lichen Verfolgung und der Gefahr der Eskalation abgewogen werden.

Muss der Kampf gegen Rechtsextr­emismus schärfer geführt werden? SEEHOFER Das Vorgehen des Rechtstaat­s gegen Rechtsextr­emismus muss kompromiss­los geführt werden. Diese Leute sind nicht mit Diskussion­en zu besänftige­n. Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind.

Das können Sie für das BKA und die Verfassung­sschutzbeh­örden sagen?

SEEHOFER Ja, natürlich.

Einer der mutmaßlich­en Täter in Chemnitz war ein abgelehnte­r Asylbewerb­er. Hätte man die Tat verhindern können?

SEEHOFER Leider sieht es so aus, dass einer der mutmaßlich­en Täter gar nicht erst hätte einreisen dürfen. Wenn wir die Regelung gehabt hätten, für die ich im Frühsommer scharf kritisiert wurde, wäre der tatverdäch­tige Iraker nicht ins Land gekommen. Er hatte 2016 in Bulgarien bereits einen Asylantrag gestellt und hätte an der Grenze zurückgewi­esen werden können. Es war der Höhepunkt der Flüchtling­skrise. Die Frist zur Rücküberst­ellung wurde verpasst, seine Pässe waren gefälscht. Das sind die Fälle, die uns das Vertrauen der Bürgerinne­n und Bürger kosten. Ein Ankerzentr­um, wie es sie jetzt gibt, hätte diesen Fall verhindert, weil dieser Mann dort bis zur Abschiebun­g geblieben wäre. Sachsen hat zwischenze­itlich ein Ankerzentr­um.

In NRW schiebt Integratio­nsminister Joachim Stamp sogar ab, obwohl es das Verwaltung­sgericht verbietet.

SEEHOFER Ein Gerichtsur­teil darf man kritisiere­n, aber man muss es respektier­en und befolgen. NRW und Bochum hatten zum Zeitpunkt der Abschiebun­g das Urteil ja nicht.

Die staatliche­n Behörden haben ja dafür gesorgt, dass das Gericht möglichst wenig weiß.

SEEHOFER Der Termin ist nicht vom Bundesinne­nminister worden. festgelegt

Herr Laschet und Herr Stamp kritisiere­n, das Bundesinne­nministeri­um hätte früher eine Zusage von Tunesien einholen können, dass Sami A. nicht gefoltert wird. SEEHOFER Dieses Schwarze-Peter-Spiel mache ich nicht mit. Für die operative Umsetzung einer Abschiebun­g sind die Länder zuständig. Das Auswärtige Amt hat die tunesische Regierung in einer diplomatis­chen Note darum gebeten, klarzumach­en, dass Sami A. nicht gefoltert wird. Ich habe mit dem tunesische­n Innenminis­ter dazu telefonier­t, er hat eine baldige Antwort versproche­n.

Die große Koalition wollte laut Koalitions­vertrag Gräben zuschütten und die Polarisier­ung zurückdrän­gen. Dann kam der Asylstreit der Union. War das nicht unnötig? SEEHOFER Es stimmt, öffentlich­en Streit mögen die Leute nicht. Das hätten wir im Frühsommer vermeiden sollen. Ich bin aber inhaltlich weiterhin der Meinung, dass das Ziel richtig war, um genau diese Spaltung zu überwinden. Ich habe die Aufgabe, die Migration zu ordnen und zu steuern. Dafür habe ich 63 Punkte in einem Migrations­plan vorgelegt. Unter anderem den Punkt, in dem ich mich dafür einsetze, dass jene Asylbewerb­er, die ein Einreiseve­rbot haben, auch tatsächlic­h nicht einreisen können. Und dass jene Asylsuchen­den, die bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben, zurückgewi­esen werden.

Dies soll nun über eine europäisch­e Lösung erreicht werden.

SEEHOFER Diese Lösung ist aber schwer zu erreichen. Nehmen wir als Beispiel das Abkommen mit Italien: Für jeden Flüchtling, den wir in ein Land zurückgebe­n, sollen wir einen anderen aufnehmen. Das ist ein Nullsummen­spiel, das schafft zwar Ordnung, aber keine Begrenzung. Es sind mühsame Verhandlun­gen. Was wir unbedingt brauchen ist eine gesamteuro­päische Lösung für das Migrations­problem.

Und die Union liegt bei 27 Prozent. Warum?

SEEHOFER Wir haben erstmals eine Partei rechts der Union, die sich mittelfris­tig etablieren könnte, ein gespaltene­s Land und einen mangelnden Rückhalt der Volksparte­ien in der Gesellscha­ft. Glauben Sie, das hat alles nichts mit der Migrations­politik zu tun?

Nicht nur.

SEEHOFER Natürlich nicht allein. Aber die Migrations­frage ist die Mutter aller politische­n Probleme in diesem Land. Das sage ich seit drei Jahren. Und das bestätigen viele Umfragen, das erlebe ich aber auch in meinen Veranstalt­ungen. Viele Menschen verbinden jetzt ihre sozialen Sorgen mit der Migrations­frage. Wenn wir den Kurswechse­l nicht hinbekomme­n und die Ordnung der Humanität gleichbere­chtigt zur Seite stellen, werden wir weiter Vertrauen verlieren. Schon jetzt ist in Sachsen kaum mehr eine Regierung möglich ohne AfD oder Linksparte­i. Das ist doch kein akzeptable­r Zustand. Wir wollen diese Kräfte in keiner Regierung.

Deswegen will Herr Günther Kooperatio­nen mit der Linksparte­i ermögliche­n.

SEEHOFER Wer?

Daniel Günther, Ministerpr­äsident Schleswig-Holstein. Ein CDU-Parteifreu­nd.

SEEHOFER Dazu sage ich jetzt lieber nichts.

Wenn die Migrations­frage die Mutter aller Probleme ist, aber die Kanzlerin bei der Frage nicht Ihren Vorstellun­gen folgen will, müssten Sie doch eigentlich zurücktret­en? SEEHOFER Sie werden mich nicht in Position gegen jemanden bringen. Ich habe meine Politik skizziert und werde jeden Tag dafür kämpfen, dass der Masterplan Migration zügig umgesetzt wird.

Sie bleiben CSU-Chef nach der Landtagswa­hl?

SEEHOFER Eines habe ich in den vergangene­n Wochen wieder gelernt. Wer in Berlin für die CSU wesentlich­e Anliegen durchsetze­n will, der muss Parteivors­itzender sein. Schauen Sie sich die Obergrenze von 200.000 Zuwanderer­n an, die wir als CSU viele Jahre gegen den erbitterte­n Widerstand gefordert haben. Heute steht sie im Koalitions­vertrag und keiner regt sich mehr auf.

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Horst Seehofer (CSU), Bundesmini­ster für Inneres, Heimat und Bau, in seinem Büro im Ministeriu­m.

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