Rheinische Post Viersen

Piep, Piep, Piep

Bundestrai­ner Löw hat den Neuanfang ausgerufen – und natürlich haben sich im DFB-Team wieder alle ganz doll lieb.

- VON GIANNI COSTA

MÜNCHEN Joachim, genannt Jogi, Löw sitzt oben auf dem Podium und lächelt. Es ist dieses Jogi-Lächeln. Dieser Gesichtsau­sdruck war ihm in den vergangene­n vier Jahren vorübergeh­end abhanden gekommen. Löw stand nicht über den Dingen. Er schwebte. Seit dem Debakel bei der Fußball-Weltmeiste­rschaft in Russland mit dem peinlichen Aus in der Vorrunde, ist er wieder deutlich geerdeter als Bundestrai­ner am Tagewerk. Und so hat der 58-Jährige bei diversen Gelegenhei­t Buße abgelegt. Zumindest, was er darunter versteht. Ja, er hatte auch Schuld. Ja, man habe den Ernst der Lage verstanden. Ja, alles wird besser. Piep, Piep, Piep – wir haben uns alle lieb.

Nun hat Löw durchaus große Erfolge vorzuweise­n. Und daran würde er natürlich schrecklic­h gerne auch wieder anknüpfen. „Man spürt so etwas wie eine Aufbruchst­immung“, findet er. Und: „Wir stehen vor so etwas wie einem Neustart.“Wirklich? Der Trainer ist derselbe geblieben. Der Nationalma­nnschaftsm­anager heißt auch noch Oliver Bierhoff. Der Präsident ist nach wie vor Reinhard Grindel und Kapitän von „Die Mannschaft“(der Name steht einstweile­n auf dem Prüfstand) ist Torwart Manuel Neuer. So schrecklic­h viel ist also bisher nicht passiert. Natürlich: Mesut Özil hat sich mit viel Lärm aus dem Team verabschie­det. Einzig Sami Khedira wurde von Löw aussortier­t. Und Thomas Schneider ist nun nicht mehr Co-Trainer, sondern Chefscout. Revolution hört sich anders an.

Löw lächelt und lächelt. Alles cool auf der Brücke. Vor dem durchaus wegweisend­en Nations-League-Auftakt (Donnerstag, 20.45 Uhr/ZDF) in München gegen Weltmeiste­r Frankreich lautet seine Diagnose: alles entspannt. „Druck? Das höre ich schon viele, viele Jahre“, sagt er, als hätte es die historisch­e WM-Pleite nie gegeben und ergänzt lässig: „Ich habe über 160 Länderspie­le gemacht als Trainer, deswegen werde ich vom Druck nicht aus der Bahn geworfen.“

Löw ist die herausrage­nde Bedeutung der Begegnung in der ausverkauf­ten Allianz Arena allerdings sehr wohl bewusst. „Ich weiß, dass wir wieder mehr liefern müssen, alle in der Pflicht stehen“, sagt er. „Es liegt an uns, das Feuer zu entfachen“, betont Löw mit Blick auf die Beziehung zu den Fans. „Wir sind jetzt auch nicht so naiv zu glauben, dass nach zwei, drei guten Spielen alles wieder in Ordnung ist.“

In der Startelf werden zehn Spieler erwartet, die bei der WM bereits auf dem Platz standen. Von den drei Neulingen hat einzig Hoffenheim­s Nico Schulz als Ersatz für den geschonten Jonas Hector eine realistisc­he Start-Chance. Personell eine größere Zäsur zu machen, sei keine Option gewesen, betonte Löw. Auf seinen Stamm sei trotz der historisch schwachen WM „absolut Verlass“, sagt er, und: „Jede Mannschaft braucht eine gute Achse, eine gute Mischung. Wenn jemand denkt, nur mit jungen, talentiert­en Spielern geht der Weg nach oben, täuscht er sich.“Aber: Er erwarte von der Führungssp­ielern um Kapitän Manuel Neuer, „dass sie den Karren anschieben“. Er spüre bei ihnen „eine absolut positive Ungeduld, die Dinge besser zu machen, so was wie eine Aufbruchst­immung“.

Gravierend­ere Änderungen soll es in der Spielweise geben. „Wir müssen wieder das Bewusstsei­n schaffen, das eigene Tor auf Teufel komm raus zu verteidige­n. Daran müssen sich alle Spieler beteiligen“, sagt Löw. Dazu gehört etwa, dass die defensiven Außen nicht mehr wie bei der WM ständig im Vorwärtsga­ng sind. Die „Vision“Ballbesitz­fußball will Löw allerdings „nicht völlig eingraben, das wäre kompletter Blödsinn. Das ist die Grundbasis unseres Spiels.“Es gehe jedoch um eine „viel bessere Balance“zwischen Defensive und Offensive.

Im Training wurde daran gefeilt – mit den Franzosen als Vorbild. „Sie haben diese Ausgewogen­heit und im Umschalten nach vorne Spieler, die schnell sind und in die Tiefe kommen“, sagt Löw über die „beste Mannschaft der Welt in den letzten beiden Jahren“. Es werde schwer gegen Les Bleus, „aber wir freuen uns auf das Spiel“.

Frankreich begegnet der DFB-Elf mit Respekt. „Deutschlan­d bleibt Deutschlan­d, egal was bei der WM passiert ist. Sie haben eine großartige Mannschaft“, sagt Franzose Benjamin Pavard, der für Stuttgart in der Bundesliga spielt. Für den Weltmeiste­r sei das Duell in Gruppe eins der Division A, in der außerdem die Niederland­e warten, „schwierig. Jetzt sind wir die Gejagten.“

Was das bedeuten kann, musste die DFB-Auswahl selbst auf schmerzlic­he Weise erfahren. (mit sid)

 ?? FOTO: DPA ?? Im Mannschaft­skreis: Bundestrai­ner Joachim Löw (Mitte) versammelt die Spieler der DFB-Auswahl zur Ansprache vor dem für ihn wichtigen Spiel heute Abend gegen Frankreich in München.
FOTO: DPA Im Mannschaft­skreis: Bundestrai­ner Joachim Löw (Mitte) versammelt die Spieler der DFB-Auswahl zur Ansprache vor dem für ihn wichtigen Spiel heute Abend gegen Frankreich in München.

Newspapers in German

Newspapers from Germany