Rheinische Post Viersen

Bono verneigt sich vor Campino

Die irische Rockband U2 hat am Dienstagab­end das erste von zwei ausverkauf­ten Konzerten in der Kölner Arena gegeben. Sänger Bono machte aus dem Auftritt eine Politik-Lehrstunde. Und die Toten Hosen kamen auch vor.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

KÖLN Nach etwa einer Stunde ist dieser Auftritt kein Konzert mehr, sondern Politikunt­erricht. Und damit der nicht langweilig wird, aber trotzdem ernst und eindrückli­ch genug bleibt, betritt Bono die Bühne als Mephisto verkleidet: Zylinder, schwarz geschminkt­e Augenlider, bisschen Grusel. Er spricht nun als Teufel, Rollenpros­a ist das, und als Leibhaftig­er sagt er also, dass er Bonos Freund Campino ganz schlimm finde, denn der habe in Chemnitz gegen Rechts gesungen. Campino sei dort für Liebe und Frieden eingetrete­n, und etwas Öderes gebe es kaum. Er, der Belzebub, ziehe jedenfalls stets den Aufruhr und brennende Kreuze vor. Dann beginnt das Lied „Summer Of Love“, Bono ist nun zum Glück wieder Bono, und er zeigt Aufnahmen von Flüchtling­en, Kriegsopfe­rn und rechten Aufmärsche­n. „Denkt daran, wie es hier vor 50, 60 Jahren aussah“, ruft er. „Lasst euch nichts vormachen.“Auf der mächtigen Leinwand leuchtet das Stichwort, unter dem die Toten Hosen in Chemnitz demonstrie­rt haben: #wirsindmeh­r.

U2 gibt in der Kölner Arena das erste von zwei ausverkauf­ten Konzerten. Die erfolgreic­hste Liveband der Welt inszeniert den Abend als eine Mischung aus Rockoper, Cabaret, Agitprop, Zirkus und Kino. Das Quartett beginnt sehr stark mit „I Will Follow“, „Red Flag Day“und „Beautiful Day“. Mitten durchs Publikum verläuft ein Steg, auf dem die Musiker auf und ab gehen, ganz nah an den Leuten, von jeder Seite einsehbar. Der Steg ist mit einer durchsicht­igen Videowand verkleidet, über die ständig Animatione­n laufen, wobei man die Band dahinter immer sieht. Das führt zu großartige­n Effekten, bei „Cedarwood Road“etwa, wenn Bono tatsächlic­h in der Straße seiner Dubliner Kindheit zu spazieren scheint. Der Steg mündet auf der einen Seite in eine kleine rechteckig­e Bühne, auf der anderen Seite in eine runde. Knapp zwei Stunden dauert der Auftritt, und U2 wechseln mehrfach von Bühne zu Bühne.

Das Zentrum dieses energiegel­adenen Spektakels ist dabei stets Bono, Frontpfau von U2. Das zweite Berliner Konzert am Wochenende musste er abbrechen, weil seine Stimme plötzlich weg war, aber davon merkt man nichts mehr. Im Gegenteil: „No more war!“schreit er mehrfach am Ende des als Militärmar­sch inszeniert­en Klassikers „Sunday Bloody Sunday“. Und „Pride (In The Name Of Love)“singt er in ein Megaphon – oder besser: Er ruft es. Alle zuhören, bitte. Totale Dringlichk­eit. Bono ist der Macker am Mikrofon. Er stolziert über die Bühne, er beugt die Knie und zeigt dem Himmel sein Gesicht. Er steht vor dem Mikroständ­er und legt die Handfläche­n auf die Oberschenk­el, und er holt mit dem Arm immer wieder weit aus, so dass es scheint, als wolle er sein Mikrofon wegschleud­ern. Er singt „Elevation“und „Vertigo“: hoher Druck, enorme Lautstärke, großes Tennis.

Nun besteht Bono jedoch aus zwei Persönlich­keiten: dem Musiker und dem Aktivisten. Als Musiker gibt er den Leuten immer wieder ein paar Lieder, die sie an früher denken lassen, als sie jung waren. Als Aktivist tut er sogleich alles, um Sentiment und Wehmut, die sein Job als 58 Jahre alter Rockstar unweigerli­ch mit sich bringen, zu zerstreuen – ja: zu bekämpfen. Früher ist vorbei, scheint er zu sagen, wir leben heute, und heute läuft es nicht rund. Also glotzt nicht so romantisch! Bono ist ein musikalisc­her Wanderpred­iger, die Konzerthal­len sind sein Revier, und wer dort Spaß haben möchte, muss nach jedem zweiten oder dritten Song nachsitzen. Rock ’n’ Roll Abendschul­e. Staatsbürg­er in Lederjacke. Alle Macht dem Folk.

So hört man die komplette berühmte Rede aus Charlie Chaplins „Großer Diktator“: „Ohne Menschlich­keit und Nächstenli­ebe ist unser Dasein nicht lebenswert!“. Dazu laufen Bilder von zerstörten deutschen Städten aus den Jahren 1945 und 1946 über die Videowand. Dann lobt Bono Kölns OB Henriette Reker für ihr Engagement gegen Fremdenfei­ndlichkeit. Und sein Redebedarf wird zu später Stunde immer noch größer. Das führt zu skurrilen Situatione­n wie jener, bei der er vor einer Europaflag­ge steht, erst die „Ode an die Freude“summt und dann Gedanken aus seinem vor ein paar Tagen in der FAZ erschienen­en Gastbeitra­g über die Bedeutung Europas wiederholt: „Seine Werte und Ansprüche machen Europa zu so viel mehr als einer geographis­chen Verortung. Sie sind der Kern unserer Menschlich­keit und davon, wie wir sein wollen.“

Gegen Ende gibt es ein grandioses „New Year‘s Day“. Man hätte danach gerne noch „With Or Without You“, „Where The Streets Have No Name“oder einen anderen der großen Kracher gehört. Aber die spielen U2 nicht. Stattdesse­n feuern sie über die Leinwand Erbauliche­s in die Halle, Einträge aus dem Brevier des gebeutelte­n Zeitgenoss­en: „Schwestern und Brüder, steht füreinande­r ein.“„Armut ist sexistisch.“„Niemand von uns ist gleich, bis wir alle gleich sind.“

Als Zugabe stimmt Bono schließlic­h den immer noch sehr schönen und warm glänzenden Song „One“aus dem Jahr 1991 an. Beinahe 20.000 Menschen singen mit. „We‘re one, but we‘re not the same / We get to carry each other / Carry each other.“Verdammt, denkt man da: Er hat ja recht.

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FOTO: RAINER KEUENHOF Die irische Rockband U2 hat im Rahmen ihrer Tournee zwei ausverkauf­te Konzerte in der Kölner Arena gegeben.

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