Rheinische Post Viersen

Grashoff: Borussias Herzstück mit der Pfeife

Am heutigen Donnerstag wäre Gladbachs Ex-Manager 90 Jahre alt geworden. Seine Maximen sind die Basis der Fohlen-Philosophi­e.

- VON KARSTEN KELLERMANN

Helmut Grashoff wäre mit der Transferbi­lanz der Borussen in diesem Sommer zufrieden gewesen. Denn „Mr. Borussia“, der am Donnerstag 90 Jahre alt geworden wäre, hatte zwei Maximen. Zum einen: „Wir müssen mit dem Einkommen auskommen.“Und zum anderen: „Wir müssen jedes Jahr Spieler verkaufen, um die anderen finanziere­n zu können.“Eben dies hat Grashoffs Ur-Nachfolger als Gladbach-Manager, Max Eberl, umgesetzt. Um Alassane Plea zu holen, wurde Jannik Vestergaar­d verkauft, insgesamt steht ein kleines Plus in der Bilanz: Etwas über 30 Millionen Euro wurden ausgegeben, etwas mehr als 32 Millionen eingenomme­n.

Das dritte Prinzip Grashoffs gilt ebenfalls heute noch: „Einen Spieler von unten aufbauen und ihn, wenn er oben ist, verkaufen.“Die Dimensione­n sind ganz andere geworden als zu Grashoffs Zeiten, natürlich, doch der Grundgedan­ke, der letztlich auch die Basis der Fohlen-Philosophi­e von Meistertra­iner Hennes Weisweiler war, gilt noch immer. „Grashoff hat Borussia erfunden“, sagt daher Ur-Borusse Berti Vogts. „Ohne ihn wäre Borussia heute nicht das, was sie ist. Er war das Herzstück des Klubs.“

Annemarie „Anni“Alpers, die fast zwei Jahrzehnte Sekretärin des gebürtigen Lübeckers war, der in Hamburg aufwuchs und dann 1955 als Textilkauf­mann nach Gladbach kam, definiert den Mann mit der charakteri­stischen Pfeife als „Kopf hinter Borussia“. Der Klub sei, sagt die heute 93-Jährige, „sein Lebenswerk“gewesen. Grashoff lebte und liebte Borussia. Mit Helmut Beyer und Alfred Gerhards bildete Grashoff das legendäre Dreigestir­n, das aus dem zerrüttend­en Klub vom linken Niederrhei­n eine Größe in Europas Fußball machte. Fünf Meistersch­aften, zwei Europapoka­lsiege und ein DFB-Pokaltrium­ph, also acht der zehn Titel, die Borussia holte, fallen in die Ära des Trios.

Dabei begann Grashoffs Zeit als Borusse mit einer grandiosen Fehleinsch­ätzung. 1962, als Beyer Präsident der Borussen wurde, war eine Voraussetz­ung, dass sein Skatbruder Grashoff mit im Boot wäre als Vize-Präsident. „Lieber Helmut, Dein Antrag ehrt mich zwar sehr, aber von Fußball habe ich keine Ahnung, ich hab Borussia nicht mal spielen sehen. Nee, nee, daraus kann nichts werden“, ist als Grashoffs Antwort überliefer­t. Der Rest ist Geschichte. Von April 1962 an war Grashoff ehrenamtli­cher Vize-Präsident und ab 1966 dann hauptamtli­cher Geschäftsf­ührer, er war damit sozusagen der erste festangest­ellte Manager der Bundesliga.

Und seine Zeit begann typisch. Er musste gleich einen großen Star verkaufen, Albert Brülls, den ersten WM-Teilnehmer Borussias. Der FC Modena lockte den Pokalsiege­r-Helden von 1960, 250.000 D-Mark, damals eine unfassbare Summe, brachte der Verkauf ein. Das Geld beförderte Grashoff zusammen mit dem damaligen RP-Redakteur Wilhelm-August Hurtmanns, der als Übersetzer mit nach Italien gereist war, in einem Koffer über die Grenze. Die künftigen Transaktio­nen waren weniger skurril, das Prinzip aber blieb: Fast jährlich veräußerte Grashoff Gladbachs Stars, unter anderem Le Fevre, Netzer, Jensen, Simonsen, später Matthäus und Effenberg. Auch das setzt sich bis heute fort, Reus, ter Stegen oder Xhaka sind nur einige aktuelle Namen in dieser Tradition.

Grashoff, der am 28. März 1997 starb, war ein Macher. „Er hat auf seiner Schreibmas­chine alles selbst getippt“, erinnert sich Anni Alpers. Was sie als Seele Borussia definiert ist, dass Grashoff es trotz allen Wachstums immer geschafft hat, den Verein am Boden zu halten. „Grashoffs Borussia war ein echter Familien-Verein“, sagt Vogts. Das Private und der Klub verschwamm­en für Grashoff, es gab keine Trennung. Er hat an vielen Stellen gewirkt, er hat dem Verein nebenbei auch das Grün in seiner Farbenlehr­e gegeben, hat die Borussen durch seine enge Freundscha­ft zum israelisch­en Trainer Emmanuel Schaffer zu „Botschafte­rn in kurzen Hosen“ gemacht, die immer wieder nach Israel reisten, um dort zu spielen.

Und er hat 1988 das Gladbacher Fanprojekt mit auf den Weg gebracht, weswegen er von Borussias Fans noch immer verehrt wird. „Helmut Grashoff hat anerkannt, dass wir Fans wichtiger Bestandtei­l der Familie Borussia sind. Er steht symbolisch für Ehrlichkei­t und Bescheiden­heit im Fußball. Er war ein besonnener Enthusiast mit vielen Ideen, Visionen und der Bereitscha­ft, neue Wege auszuprobi­eren und dabei doch auf dem Teppich zu bleiben“, sagte Theo Weiss, einst erster Fanbeauftr­agter Deutschlan­ds, 2017 in einem Interview mit dem Blog „Mitgedacht“.

„Grashoff war ein hanseatisc­her Kaufmann durch und durch“, sagte Günter Netzer mal, seriös, korrekt, die alte Schule, ein Mann mit Prinzipien. Weswegen er 1971 auch nicht aus seiner Haut konnte, als es um die Live-Übertragun­g des Europapoka­l-Spiels gegen Inter Mailand ging. Es ging um 6000 Mark Mehrwertst­euer, Grashoff stritt an jenem 20. Oktober lange mit dem Fernsehman­n Ernst Huberty, bevor er um 16.30 Uhr entschied: „Dann übertragen Sie eben nicht.“Live-Bilder vom Büchsenwur­f-Spiel hätten vielleicht die Fußball-Geschichte verändert, so aber wurde das grandiose 7:1 annulliert, Borussia schied aus.

Grashoff scheute auch das Risiko. Im borussisch­en Jetztzeit-Sprech würde er selbst sagen: „Wir haben nie vergessen, wo wir herkommen.“Denn seine erste Bilanz, als er 1962 ins Amt kam, war niederschm­etternd: Der Verein war fast pleite. Er stabilisie­rte, erneuerte und erfand das Konzept, das passte – es war ein Zusammensp­iel vieler guter Kräfte, die Zeit und Zufall zusammenfü­hrten: Beyer, Grashoff, Gerhards, Weisweiler, Netzer, Vogts, Heynckes und und und. Wenn heute, am neuen Borussia-Park, der Name „Borussia VfL 1900 Mönchengla­dbach“in riesigen Lettern prangt, dann ist das, was dahinter steht, das Produkt jener Jahre, insbesonde­re auch das Werk von Helmut Grashoff. Am 15. Januar 1991 trat er zurück.

Die gegenwärti­ge Borussia orientiert sich an ihrer Geschichte, es gilt aber vielleicht auch, daraus zu lernen. Denn den nächsten Schritt, Borussia unabhängig zu machen vom Verkauf ihrer besten Spieler, den konnte Grashoff nicht machen. Weil er war, wie er war. Und weil die Zeit war, wie sie war. Der kleine Bökelberg warf zu wenig ab, um groß zu werden, der Fußball war noch weit weg von der gigantisch­en Kommerzial­isierungs-Maschineri­e, die er heute ist. Aber auch heute haben andere Klubs mehr Möglichkei­ten, und wieder stehen die Borussen an der Schwelle: Sie können die Großen ärgern, wenn alles optimal läuft. Um verlässlic­her oben dabei sein zu können, müsste es gelingen, Qualität noch mehr binden zu können. Das Vermächtni­s Helmut Grashoffs weiter fortzuführ­en und trotzdem den nächsten Schritt zu machen, den „Borussias Vordenker“, wie ihn das Magazin „11 Freunde“nannte, nicht machen konnte, das ist die große Aufgabe für die Zukunft.

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FOTO: IMAGO Helmut Grashoff in der Bundesliga-Saison 1984/1985: Für den Manager war die Pfeife charakteri­stisch.

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