Wie krank ist Polens graue Eminenz?
Jaroslaw Kaczynski scheint angeschlagen. Ohne ihn könnte die Regierungspartei PiS zerfallen.
WARSCHAU (dpa) Nur noch selten und meist auf Krücken gestützt bekamen die Polen den mächtigsten Mann ihres Landes in den letzten Monaten zu sehen. Jaroslaw Kaczynski, Chef der Regierungspartei PiS, zog sich im Mai weitgehend aus der Politik zurück. Angeblich wegen einer Knieerkrankung.
Die PiS versichert, Kaczynski werde bald zur alten Form zurückfinden, doch in Polen ranken sich Spekulationen darum, ob Kaczynskis mysteriöse Krankheit seiner starken Partei schon bald zusetzen kann. Wie krank ist der politische Strippenzieher wirklich?
Boulevardmedien heizten sogar Gerüchte über einen Politik-Ausstieg Kaczynskis nach der Parlamentswahl 2019 an. Publizisten bewerteten einen kürzlichen Auftritt des 69-Jährigen als kurz und energielos. Zudem warf ein mehr als einmonatiger Krankenhausaufenthalt Kaczynskis im Sommer mit anschließender Reha Fragen zu seiner Verfassung auf. Obwohl der PiS-Chef abstreitet, schwer krank zu sein, malen Experten die Zukunft der Partei nach ihm aus. „Ohne Kaczynski bricht die PiS auseinander“, meint der frühere Ministerpräsident Jan Olszewski.
Kaczynski hat keinen Regierungsposten und gilt dennoch als Anführer im Land. Unter seinem Einfluss läutete die PiS nach ihrem Wahlsieg 2015 einen Rechtsruck ein und ordnete sich Kritikern zufolge Medien und Justiz unter. Nun fragen sich Experten, wie lange die mit absoluter Mehrheit regierende Partei ohne einen starken Kaczynski effizient handeln kann. Er gilt als zentrale Entscheidungsinstanz, die rivalisierende Lager der polnischen Rechten zusammenhält.
Ziehe sich Kaczynski weiter zurück, könne die Einigkeit der Rechten bröckeln und das könne die PiS bei der nächsten Wahl ihre absolute Mehrheit und folglich Durchsetzungskraft kosten, sagt der Politikexperte Jacek Kucharczyk. „Polens Rechte hat eine lange Tradition, sich selbst zu bekämpfen und zu zerspalten“, sagt Kucharczyk. Die Nationalkonservativen regierten unter anderem 2007 in einer Koalition, die nach internen Streitigkeiten zerbrach.
Publizisten meinen, Folgen der mehrmonatigen Abwesenheit Kaczynskis bereits zu bemerken. Die Partei habe bisher als Einheit eine Melodie gespielt, nun pfeife jeder sein eigenes Lied, sagt Pawel Lisicki, der für das mit der PiS sympathisierende Blatt „Do Rzeczy“schreibt. Der Warschauer Politologin Jadwiga Staniszkis zufolge würde die PiS ohne Kaczynski gemäßigter und kompromissbereiter werden – auch bei Konflikten mit der EU.