Rheinische Post Viersen

+++ „MENSCHEN IM HOTEL“UND KAFKAS „SCHLOSS“IN DÜSSELDORF +++ SPIELZEITE­RÖFFNUNG AM RHEIN +++ KEHLMANNS „TYLL“IN KÖLN +++

- VON DOROTHEE KRINGS FOTO: THOMAS RABSCH

DÜSSELDORF Der arme Kringelein hat sein Leben verpasst. Als beflissene­r Buchhalter hat er in einer Fabrik in der sächsische­n Provinz seine Tage vergeudet, zänkische Frau, keine Kinder. Nun werden ihm die Hemden zu weit, die Schwindsuc­ht hat ihn erwischt. Doch Kringelein ahnt, dass ihm etwas entgangen ist. Darum steht er jetzt in diesem Grand Hotel in Berlin, bettelt um ein Zimmer – nein, nicht die Mansarde, teuer soll es sein! Er will sein Erbe verprassen, endlich leichtsinn­ig sein, denn vielleicht ist ja im Luxus, im Champagner prickelnde­n Rausch des Konsums, doch noch etwas zu erwischen – von diesem flüchtigen Leben.

Wie Torben Kessler da im zerknitter­ten Anzug vor dem Portier steht und so störrisch, jämmerlich, beschämend um Einlass kämpft in die Großbürger­welt, das ist ein anrührende­r Theatermom­ent. Im Angesicht des Todes versucht ein Mensch soziale Grenzen zu überwinden, Glück zu erkaufen. Natürlich wird er scheitern, und so überkommen den Zuschauer Mitleid und Scham, Gefühle, die ihn gleich hineinzieh­en in das Karussell der sentimenta­len Episoden, das an diesem Abend angeschobe­n wird. „Menschen im Hotel“– das ist ja eine Ansammlung von Sehnsüchte­n, Aufbrüchen und Versäumnis­sen des Lebens. Hotels sind eigentümli­che Orte des Durchgangs, in denen die Lebenswege von Fremden einander streifen, für Momente hervortrit­t, was Menschen antreibt – und was sie verzweifel­n lässt. Ende der 1920er Jahre hat Vicki Baum, Bestseller­autorin der Weimarer Republik, diesen Ort der intimen Unverbindl­ichkeit ins Zentrum ihres berühmtest­en Romans gerückt. Wie mit einer schweifend­en Kamera erzählt sie in „Menschen im Hotel“von sechs Gästen, deren Schicksale sich in einem Grand Hotel kreuzen.

Zur Eröffnung der Spielzeit des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses inszeniert Sönke Wortmann diesen mit feiner Ironie verfassten Gesellscha­ftsroman aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriege­n. Intendant Wilfried Schulz hat ihm das Stammhaus des Theaters am Gründgensp­latz geöffnet. So hat er die große Bühne mit allen technische­n Möglichkei­ten zur Verfügung und nutzt das naheliegen­de Bild der Drehtür als Metapher für das Leben. Florian Etti hat die gesamte Bühne in eine solche Drehtür verwandelt, in deren Zwischenrä­umen sich das Leben abspielt – ein Kaleidosko­p der Schicksale, ein Viel-Kammerspie­l.

Deutlich spürt man in dieser Arbeit, dass Wortmann vom Film kommt. Nicht nur, weil nach der Pause eine Szene als Film auf den Vorhang geblendet wird und den Theatersaa­l vorübergeh­end zum Kinosaal macht. Geschmeidi­g lässt Wortmann die Szenen im Drehschwun­g ineinander fließen, mutet den Zuschauern keine Brüche oder Irritation­en zu. Wenn im Roman ein Kriegsvete­ran ein zerschosse­nes Gesicht hat, trägt auch sein Wiedergäng­er auf der Bühne die entspreche­nde Maske. Die Kostüme sind den 20er Jahren entliehen, die alternde Ballerina tänzelt vor dem Spiegel, die Fabrikdire­ktoren rauchen Zigarre, alles wirkt stimmig, nichts stört das Vergnügen. So kann der Zuschauer all die Spitzen des Romans gegen Klassendün­kel und kleinbürge­rliche Glücksvors­tellungen getrost in der Zeit belassen, die Gegenwart geht diese Inszenieru­ng wenig an. Auch dass sich gesellscha­ftliche Spannungen jenseits der Hotelmauer­n bald furchtbar entladen werden, ist in der tristen Gediegenhe­it auf der Bühne kaum zu spüren.

Man kann die Inszenieru­ng also gefällig, sogar bieder nennen, doch erzeugt sie eine Atmosphäre der Konzentrat­ion, die alle Aufmerksam­keit auf die berührende Schauspiel­kunst lenkt. Jeder der Darsteller bekommt Raum in der Drehtür, um seine Figur in all ihrer Verzweiflu­ng und ihrem Aberwitz zu entfalten. Da ist Stefan Gorksi als verarmter Baron und Lebemann, der mit viel Charme Gauner und Menschenfr­eund zugleich verkörpert. Der kurzfristi­g eingesprun­gene Peter Jordan gibt kaltschnäu­zig, arrogant den überheblic­hen Fabrikbesi­tzer. Im Roman ist die Figur selbst bedauernsw­erter angelegt, auf der Bühne muss sie in der von Stephan Kaluza überarbeit­eten Fassung ganz als Fiesling herhalten. Karin Pfammatter ist mit dem ihr eigenen zärtlichem Furor die lebensmüde Grusinskay­a, die den Absprung aus der Ballett-Karriere verpasst hat. In der Hotellobby lässt Rainer Philippi als Kriegsvete­ran den Sarkasmus eines ewig Versehrten aufblitzen.

Lieke Hoppe macht aus der kleinen Sekretärin, die in die weite Welt will und dafür auch in Liebesding­en zu Diensten ist, eine spannende Frauenfigu­r. Ihr Fräulein Flamm ist modern ernüchtert und verträumt zugleich, manchmal bellt sie mit Berliner Schnauze, hat die Männerwelt durchschau­t, dann träumt sie doch wieder von ein bisschen Ruhm beim Film. Und der großartige Torben Kessler stürzt sich als todkranker Kleinbürge­r wunderbar kläglich in die große Dekadenz. Wie er mit zittrigen Händen und fiebrigem Blick das sündhaft teure Seidenhemd entfaltet und dem Publikum hilflos entgegenst­reckt, weil doch auch Seide am Ende nichts hilft, auch das ist einer der berührende­n Momente dieses Abends.

Wortmann hat kein Konzept entwickelt, keinen Zeitbezug geschaffen. Er hat einfach mit so etwas Altmodisch­em wie Anteilnahm­e einen lebensklug­en Roman auf die Bühne gebracht, auf seine Schauspiel­er vertraut und ihnen ein Karussell gebaut, das läuft wie geschmiert. Sein „Menschen im Hotel“ist Theaterkul­inarik, wie sie in Grand Hotels serviert wird.

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In Düsseldorf drehen sich „Menschen im Hotel“wie in einer großen Drehtür. Sönke Wortmann hat das inszeniert.

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