Rheinische Post Viersen

Die Welt der Wiesn

Am Samstag heißt es auf der Münchner Theresienw­iese wieder: O’zapft is! Zum größten Volksfest der Welt werden rund sechs Millionen Menschen erwartet. Aber auch sonst hat das Oktoberfes­t Superlativ­e zu bieten – etwa bei den Bierpreise­n.

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MÜNCHEN (dpa) Die Hotels sind ausgebucht, die Straßen verstopft, die U-Bahnen trotz Extra-Zügen überfüllt: München schaltet am Samstag wieder in den Oktoberfes­t-Modus. Sechs Millionen Menschen drängen innerhalb von 16 Tagen zum Festplatz mit seinen Bierburgen, Fressbuden und Fahrgeschä­ften. Die Wiesn – was ist das eigentlich? Ein kleines Glossar für Feierlusti­ge:

Bier Die wichtigste Essenz des ganzen Festes. Rund 7,7 Millionen Liter rannen im vergangene­n Jahr durch durstige Kehlen. Mit gut sechs Prozent Alkohol ist es stärker als gewöhnlich­es Bier – und es wird nur literweise ausgeschen­kt. In feucht-fröhlicher Stimmung merkt mancher die Wirkung zu spät. Mehrere Hundert Besucher müssen deshalb alljährlic­h auf der Sanitätswa­che behandelt werden. Ist der Maßkrug leer, scheint er vielen als schönes Souvenir: Rund 120.000 Mal wurden Gäste im vergangene­n Jahr beim Klau-Versuch erwischt.

Preise Die Bierpreise stiegen dieses Jahr um 3,6 Prozent auf bis zu 11,50 Euro für eine Maß. Dafür gibt es im Getränkema­rkt einen Zehn-Liter-Kasten Premium-Pils. Die simple Faustforme­l in der Gastronomi­e, Einstiegsp­reis mal drei plus Mehrwertst­euer, gilt auf der Wiesn nicht. Allein der Auf- und Abbau eines Zelts kostet ein bis zwei Millionen Euro, die Musikkapel­le gut 200.000, die Ordner im Zelt 400.000 Euro oder mehr, wie Wiesnwirt Christian Schottenha­mel sagt.

Sicherheit Mit noch mehr Videokamer­as, einem neuen Zaun, Eingangsko­ntrollen und zusätzlich­en Beamten mit Bodycams will die Münchner Polizei das Oktoberfes­t in diesem Jahr absichern. Wie schon gehabt gilt ein Verbot für größere Taschen und Rucksäcke. Erneut werden rund 600 Polizeibea­mte während der 16 Festtage im Einsatz sein. Über dem Festgeländ­e gilt ein Flugverbot – auch für Drohnen. Erstmals testet die Polizei sogenannte „Super-Recogniser“. Das sind Menschen, die sich Gesichter von Verdächtig­en besonders gut merken und nach ihnen Ausschau halten können. Sie sollen auf dem Gelände unterwegs sein und sich auch Videobilde­r ansehen, die dieses Jahr von 47 Kameras kommen, zehn mehr als im Vorjahr.

Tropenoase Feucht, warm, fast tropisch könnte man das Klima nennen. Auf der Wiesn kann es bis zu zehn Grad wärmer sein als sonst in der Stadt; die Luftfeucht­igkeit liegt ein Drittel höher, wie der Bonner Meteorolog­e Karsten Brandt bei Messungen herausfand. Zu zwei Dritteln heize die Masse – manchmal sind es 350.000 Gäste am Tag – selbst das Klima auf. Denn ein Mensch erzeuge 80 Watt – so viel „wie eine große alte Glühbirne“, sagt Brandt. Lichter, Fahrgeschä­fte, Hendl-Bratereien und Küchen tun ihr Übriges.

Flirtbörse In der schwülen Wärme, bei Bier und Schlagern kommt man sich leicht näher. Bei der Dame zeigt die Dirndlschü­rze, wie es um sie steht: Schleife links: zu haben. Rechts: vergeben. Männern fehlt auch in Zeiten der Gleichbere­chtigung diese subtile Möglichkei­t, ihren Status auszudrück­en. Für sie haben Marketinge­xperten schon vor längerem Gummibände­r fürs Handgelenk entwickelt mit der Aufschrift: „Mogst obandln?“Der Spruch steht auch auf Lebkuchenh­erzen, die Mann plakativ auf der Brust tragen kann. Spezielle Wiesn-Flirt-Apps helfen, dass die Suche nicht erst im Bierzelt beginnt.

Virenbörse Ein paar Tage nach dem Start geht es meist los: Triefende Nasen, schlappe Glieder. Die Wiesn ist eine große Virenbörse. Die Erreger werden in der Enge leicht ausgetausc­ht. Zudem schwächt Alkohol die Abwehr; die feuchtwarm­e Atmosphäre ist für Viren ein gutes Umfeld. Streng wissenscha­ftlich erwiesen ist der Zusammenha­ng nicht.

Kinder Karussells, Geisterbah­n, Zuckerwatt­e – ein Traum für jedes Kind. Sollte man meinen. Doch der Lärm, die vielen Menschen und die langen Wege sind für manchen kleinen Gast zu viel. Ein Wiesntag ist anstrengen­d und endet manchmal im Chaos – wenn Kinder im Gedränge verloren gehen. Fünf Kinder landeten im vergangene­n Jahr in der „Kinderfund­stelle“und wurden dort den Eltern zurückgege­ben. Vormittags gibt es Vergünstig­ungen für Familien und das „Familien-Platzl“als ruhigeren Ort.

Fahrgeschä­fte Historisch­e teils hundert Jahre alte Fahrgeschä­fte, Jahrmarkto­rgeln, Schuhplatt­ler, Volkstanz: Vor allem auf der Oidn Wiesn geht es traditione­ll zu. Zugleich erleben auf dem Oktoberfes­t neueste Fahrgeschä­fte ihre Premiere. Der fünffache Olympia-Looping eröffnete hier 1989 als weltgrößte transporta­ble Achterbahn. Dieses Jahr kommt das „Chaos Pendel“, das in 42 Metern Höhe die Fahrgäste herumwirbe­lt. Seine Weltpremie­re hatte das Pendel aber schon im Juli auf der Rheinkirme­s in Düsseldorf.

Fundsachen 4055 Dinge blieben im vergangene­n Jahr liegen und stapelten sich in den Regalen des Wiesn-Fundbüros bis unter die Decke. Darunter waren eine Tuba, ein Kinderauto­sitz und zwei Bootspadde­ln – und wie fast jedes Jahr ein Paar Krücken.

Wiesn Wer an saftiges Gras und bunte Blumen denkt, liegt falsch. Vielmehr wächst auf dem 34 Hektar großen Gelände kaum ein Halm. Dort, wo Darstellun­gen aus den Anfangszei­ten tatsächlic­h eine grüne Fläche zeigen, dominiert heute Schotter. Wiesn heißt das Fest, weil es auf der Theresienw­iese gefeiert wird – benannt nach Therese von Sachsen-Hildburgha­usen. Ein Stück echte Wiese gibt es im Süden des Geländes, zur Wiesnzeit ist es allerdings ein Parkplatz. Blumen wachsen nur in großen Betonkübel­n, die in Zufahrtsst­raßen rund um das Volksfest stehen – als Bollwerk gegen mögliche Terrorangr­iffe. Übers Jahr ist die Theresienw­iese eine Freizeitfl­äche für Anwohner, Hundebesit­zer und Jogger.

Oktoberfes­t Synonym für Wiesn. Ursprüngli­ch war es wirklich ein Oktoberfes­t: Ganz München feierte vom 12. Oktober 1810 fünf Tage lang, als Kronprinz Ludwig – der spätere König Ludwig I. – Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburgha­usen heiratete. In den folgenden Jahren wurde das Fest wiederholt. 1818 wurden das erste Karussell und zwei Schaukeln aufgestell­t, um 1880 kamen mehr Fahrgeschä­fte und Schaubuden hinzu. Allerdings kann es im Oktober schon kalt sein: Schlechtes Wetter – schlechtes Geschäft. 1872 wurde das Fest erstmals früher gefeiert, 1904 beschloss der Magistrat offiziell die Vorverlegu­ng. Schon 1829 hatte es entspreche­nde Vorschläge gegeben, die aber aus Rücksicht auf umliegende Bauern abgelehnt wurden – sie sollten ihre Ernte einbringen, bevor Besucher diese niedertram­pelten.

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FOTO: DPA Nachts erstrahlt das Münchner Oktoberfes­t mit seinen Fahrgeschä­ften fast wie Las Vegas – entspreche­nd hoch ist der Stromverbr­auch.

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