„Zeitarbeit macht Firmen flexibler“
Der Chef des Personaldienstleisters Adecco über die Vorzüge von Zeitarbeit – und Wandel durch die Digitalisierung.
Die Zahl der Leiharbeiter in Deutschland ist von 2007 bis 2017 um 43 Prozent gestiegen.Wie sehen Ihre Zahlen aus?
BLERSCH Vergleichbar. Diese Entwicklung geht zurück auf die Agenda 2010 von Gerhard Schröder und Wolfgang Clement. Damals wurde die Zeitarbeit dereguliert und es konnten viele zusätzliche Jobs geschaffen werden. Seither gibt es einen konstanten Anstieg bis auf gut eine Million Arbeitskräfte in Deutschland. Ich glaube sogar, dass der Bedarf darüber liegt.
Um wie viel mehr?
BLERSCH Zwischen zwei und drei Millionen. Die Politik hat 2013 einen Paradigmenwechsel vollzogen und reguliert seither die Branche. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass der Gesetzgeber die Zahl künstlich bei einer Million einfrieren will.
Überregulierung? Inwiefern? BLERSCH Zum Beispiel bei der Höchstüberlassungsdauer. Wir sind gerade in der irrsinnigen Situation, dass Einsätze von Projektingenieuren in der Arbeitnehmerüberlassung nach 18 Monaten zu beenden sind, wenn es im Einsatzbetrieb keine abweichende Regelung gibt. Das wollen weder die Kunden, noch wir oder die Ingenieure. Dementsprechend gibt es nur Verlierer. Die Höchstüberlassungsdauer sollte reformiert werden
Linken-Fraktionsvize Susanne Ferschl sagt, Leiharbeiter seien Beschäftigte zweiter Klasse.
BLERSCH Die Fakten sehen völlig anders aus. Die von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Daten zeigen: Fast 75 Prozent der Personen, die durch einen Job in der Zeitarbeit ihre Arbeitslosigkeit beenden konnten, waren auch sechs Monate später noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Jeder, der sich die Mühe macht, bei uns reinzuschnuppern, wirft viele Vorurteile über Bord.
Der mittlere Bruttolohn von Vollzeitleiharbeitern liegt bei 1868 Euro monatlich, der von allen anderen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei 3209 Euro.
BLERSCH Der Anteil der Akademiker ist im Vergleich zum Gesamtarbeitsmarkt in der Branche nur etwas mehr als halb so hoch. Daher ist es logisch, dass der Durchschnittslohn in der Zeitarbeit niedriger ausfallen muss als der des Gesamtarbeitsmarktes. Darauf weist auch die Bundesagentur für Arbeit hin. Zudem gleichen wir Dank der tarifvertraglich vereinbarten Branchenzuschläge den Lohn in vielen Branchen während des Einsatzes an den Lohn der Stammbelegschaft an, wobei die erste Angleichung bereits nach wenigen Wochen erfolgt.
Welche Beschäftigten entscheiden sich klassisch für Zeitarbeit? BLERSCH Hier gibt es keinen Standard. Wir helfen Menschen, die versuchen, wieder aktiv in den Arbeitsmarkt zu kommen. Wir helfen Müttern, die nach der Erziehungszeit wieder in den Job wechseln, und sind häufig Ansprechpartner der neuen Generation, wenn es um die ersten Jobs geht. Gerade die Millennials verdienen ihr Geld auf anderem Wege als es ihre Eltern und Großeltern taten. Flexibilität ist wichtig. Millennials wollen projektbezogen für viele Unternehmen arbeiten und nicht mehr lebenslang für ein einziges Unternehmen.
Warum setzen die Unternehmen vornehmlich auf Zeitarbeit? BLERSCH Ihnen geht es um Flexibilität. Etwa um das Abfedern von Auftragsspitzen. Man muss die Kritiker fragen: Was ist die Alternative? Wenn Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben wollen, dann benötigen sie diese Flexibilität. Und wenn sie am Ende Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, weil sie dort mehr Spielraum haben, wäre in Deutschland niemandem geholfen.
Laut Bundesregierung haben 40 Prozent derer, die im zweiten Halbjahr 2017 ein Beschäftigungsverhältnis in Leiharbeit beendeten, 90 Tage danach noch keinen neuen Job. Gibt es den Klebeeffekt nicht? BLERSCH Andersherum haben 60 Prozent einen Anschlussvertrag. Das bedeutet, dass wir Tausenden Menschen zurück in ein starkes Beschäftigungsverhältnis verholfen haben.
Der Mensch ist doch auf Sicherheit ausgerichtet. Wer zieht denn einen Job vor, bei dem man nur zeitliche Einsätze hat und zu Beginn weniger verdient als die Stammbelegschaft? BLERSCH Zeitarbeit kombiniert Sicherheit mit Flexibilität: Arbeitnehmer suchen heute dezentrale und flexible Arbeitsformen. Durch diese „Flexicurity“wird Zeitarbeit besonders für die junge Generation interessant, die sich nicht an einen einzigen Arbeitgeber binden will. Wenn Sie jahrelang bei einem Unternehmen arbeiten, fehlt Ihnen oft der Blick über den Tellerrand. Wir bieten bei unserer Tochter Modis Engineering
Ingenieuren zum Beispiel an, Erfahrungen bei allen großen Automobilherstellern und den namenhaften Zulieferern zu machen. Von Einsatz zu Einsatz häufen die Kolleginnen und Kollegen ein immer breiteres Expertenwissen an.
Die Digitalisierung wird viele Branchen verändern. Ihre auch? BLERSCH Künstliche Intelligenz spielt bei uns eine große Rolle. Zum Beispiel kontaktieren wir Kandidaten in unserer Datenbank schon über maßgeschneiderte Chat-Bots. Dies reduziert den Aufwand für sie und uns. Bislang musste das per Callcenter abgefragt werden. Der Kern unserer Arbeit, das Zusammenbringen von richtigen Arbeitskräften mit richtigen Kunden, ist weiter in Menschenhand. Zudem schafft künstliche Intelligenz neue Jobs. Davon werden wir direkt profitieren. 2025 werden sechs von zehn der jungen Menschen Jobs haben, die heute noch nicht existieren. Zweitausbildungen sind die Treiber des Erfolgs in Zeiten des technologischen Wandels. Wir suchen Menschen mit der richtigen Einstellung, die wir weiterbilden und vermitteln können.
Keine Sorge, dass auch diese menschliche Interaktion wegdigitalisiert werden könnte?
BLERSCH Nein. Menschliche Empathie bei einem so wichtigen Thema wie dem nächsten Job bleibt weiterhin wichtig.