Pfaffs Hof
Omma hatte sogar passende Stiefel dazu gestrickt.
Mutter freute sich rote Backen, als ich meine Puppensachen nach draußen holte.
Sie gab mir noch einen Teller mit Plätzchen mit, die Omma und ich schon für Ostern gebacken hatten: Häschen mit Schokoladenohren und Eier, die ich mit Liebesperlen verziert hatte.
Den Teller trug ich hinaus auf das Podest vor unserer Haustür, wo Walburga und Ina mit ihren Puppensachen auf mich warteten.
„Bitte schön!“
Ina, die Ältere, zuckte zurück. „Es ist Fastenzeit!“Vor Schreck wurde sie ganz blass.
Und Walburga warf ihre dicken blonden Zöpfe nach hinten. „Du kommst ins Fegefeuer!“
Schmoren würde ich in der Vorhölle, weil ich „genascht“hatte, zischelte Ina. Verdammt sein auf ewig – weil ich evangelisch war.
Ich hatte keine Spucke mehr im Mund und fing an zu weinen.
Walburga grinste mich an. „Und die Zigeuner sind auch wieder da. Pass bloß auf! Zigeuner klauen kleine Kinder. Wenn die dich in die Fänge kriegen, bist du verloren. Zigeuner sind gottlos, wie du.“
Solange die Zigeuner im Dorf waren, musste ich meine Puppe nicht mehr spazieren fahren.
Dann saßen wir beim Abendessen unten in der Wohnung, Mutter, Vater und ich.
Das machten wir nie, ich aß sonst immer bei Omma. Unten konnte ich nicht essen, weil Peter so schwierig war, Vater die Hand hob und Mutter „Wehe“sagte und mir immer der Magen zuging.
Aber Vater hatte Nachtdienst und brauchte vorher noch etwas Kräftiges, sagte Mutter. Und dass Omma sehr müde war, sagte sie auch.
Es gab Reibekuchen mit Rübenkraut und Apfelmus.
Mutter sagte immer „Apfelkompott“. „Die Leute hier kochen die Äpfel tot und drehen sie dann auch noch durch die ,Flotte Lotte’, bis sie nur noch Pampe haben, schrecklich!“
Dann fing Vater auf einmal an zu erzählen, was komisch war, denn normalerweise sprach er beim Essen kein Wort außer „Amen“, wenn ich fertig gebetet hatte.
Aber ich fand es schön, wie er von den Buden erzählte, die er als Kind mit seinen Geschwistern gebaut hatte, und wie sie dort im Sommer wochenlang gewohnt und oft sogar geschlafen hatten.
Mutter hörte zu und lächelte Vater an, was auch sehr seltsam war.
Am nächsten Tag rief Vater mich nach draußen. Bei sich hatte er Norbert Bertram und Helmut vom anderen Ende der Straße, der demnächst mit mir in die Schule kam, und er sagte, wir würden jetzt alle zusammen eine Bude bauen, im Wall gleich hinter unserem Haus. Und das taten wir.
Vater nahm seinen Spaten, hob das Unkraut ab, riss Schösslinge aus und stach Sitzbänke ab. Norbert und Helmut holten Bretter von zu Hause. Wir legten sie auf die Erdbänke, damit wir bequem sitzen konnten, und bauten aus Hohlblocksteinen und kürzeren Brettern, die von unserem Hausbau übrig waren, einen Tisch. Ich holte mir von Mutter ein altes Küchenhandtuch, das unsere Tischdecke wurde, und ein Weckglas mit Wasser. Dann rannte ich los und pflückte am Feldrand ein paar Blumen, die ich hineinstellte. Viel blühte noch nicht, aber das schlichte Grün sah auch schön aus.
Onkel Bertram brachte uns zwei alte Nachtschränkchen. Jetzt hatten wir einen Küchenschrank und einen Herd.
Ich ging mein Puppengeschirr holen – gutes Geschirr von „Melitta“in Rosa, Hellblau und Gelb, das Guste mir zu Weihnachten geschickt hatte. Vater lächelte die ganze Zeit. Dann ging er und ließ uns spielen. Wir taten so, als wären wir schon groß. Am nächsten Tag wollten wir uns Betten bauen und Wolldecken mit rausnehmen.
Wir lachten.
Bis der Krankenwagen kam.
Und Mutter „Annemarie!“, rief. „Omma muss ins Krankenhaus.“
Ich rannte aufs Klo, weil ich brechen musste.
Ich hatte Omma alleingelassen. Das hatte ich noch nie getan.
Und sie war dann ja auch gestorben.
„Ich bin deine Tante Käthe . . . Katharina . . .“, sagte die Zigeunerin auf dem Findling vor der Tenne, als ich mich wieder aufgerappelt hatte. „Du brauchst keine Angst haben.“
Ich hielt mein Fahrrad fest, meine Hände brannten wie Feuer, und alles, was mir einfiel, war, dass Herr Struwe immer sagte: „Wer ,brauchen’ ohne ,zu’ gebraucht, braucht ,brauchen’ gar nicht zu gebrauchen.“
Ich wusste, dass Vater elf Geschwister hatte, aber ich kannte sie alle nicht, weil Mutter mit denen nichts zu tun haben wollte.
Weil die nämlich dem Glücksspiel verfallen waren.
Einmal hatten Vaters Schwestern Mutter überredet, mit ihnen Karten zu spielen. Um Geld! Und Mutter hatte verloren. Sie kannte ja vorher kein Glücksspiel. Aber darauf hatten die keine Rücksicht genommen und den Gewinn von ihr haben wollen, sofort.
„Dabei war ich doch arm wie eine Kirchenmaus“, regte Mutter sich immer auf, wenn sie davon erzählte, und Vater zuckte jedes Mal die Achseln. „Ehrenschulden.“
Die dunkle Frau stand auf. „Ich muss mit deinem Papa sprechen.“
Ich nahm mich zusammen. „Mit Vati?“
Ihre schwarzen Augen wurden klein, als sie den Mund spöttisch schief zog. „,Mit Vati?’“Und dann sagte sie etwas auf Platt.
Sie machte sich über mich lustig. Ich lehnte mein Fahrrad an die Wand und holte Luft.
„Mein Vater ist noch im Dienst, aber meine Mutter kommt sofort wieder. Wollen Sie nicht hereinkommen?“
So machte man das doch.
Ich zog das Tennentor auf und musste furchtbar dringend aufs Klo.
Aber Tante Käthe-Katharina setzte sich wieder auf den Stein – „Ich warte lieber hier“– und nahm ihr Strickzeug wieder auf.
„Willst du stricken lernen?“Dabei guckte sie mich schräg von unten an und blinzelte.
„Das kann ich schon“, sagte ich. „Aber sicher doch!“Sie schlug sich gegen die Stirn. „Deine Mama . . . – Oh, Verzeihung, deine Mutti“, verbesserte sie sich, „ist ja eine ganz große Nummer im Handarbeiten. Und im Schneidern ja wohl auch, wie man hört.“ (Fortsetzung folgt)