Rheinische Post Viersen

Streit um Rechtschre­ibung

NRW-Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) will trotz negativer Studien-Ergebnisse die Methode „Schreiben nach Gehör“nicht komplett verbieten. Die Lehrerscha­ft ist gespalten.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Das NRW-Schulminis­terium will trotz negativer Studien-Ergebnisse an der Rechtschre­ibmethode „Schreiben nach Gehör“im ersten Schuljahr festhalten. Nach dem Masterplan Grundschul­e, der noch in diesem Jahr vorgelegt werden soll, wird es weiterhin kein komplettes Verbot der umstritten­en Methode geben, die auch „Lesen durch Schreiben“genannt wird. Zurzeit wird danach noch in den Klassen eins bis vier in NRW unterricht­et. Künftig sollen Lehrer aber „von Anfang an zum normgerech­ten Schreiben hinführen“. Es soll zudem ein Grundworts­chatz eingeführt werden, der eine Liste von Lernwörter­n enthält und eine verbindlic­he Zielmarke für die Vermittlun­g von Deutschken­ntnissen sein soll. Ansonsten aber können Schulen und Lehrer nach dem Willen des Schulminis­teriums über ihre Methoden in eigener pädagogisc­her Verantwort­ung entscheide­n.

NRW schlägt damit einen anderen Weg ein als Schleswig-Holstein, Baden-Württember­g oder Hamburg, wo Lehrer die umstritten­e Methode gar nicht mehr anwenden dürfen. Vergangene Woche waren erste Ergebnisse einer Studie der Universitä­t Bonn bekannt geworden. Danach machten Kinder, die mit „Lesen durch Schreiben“gelernt hatten, am Ende der vierten Klasse 55 Prozent mehr Rechtschre­ibfehler als jene, die mit der Fibel gelernt hatten. Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek (CDU) erklärte, die Ergebnisse der Studie müssten nun schnell in der Praxis Anwendung finden. Der Deutsche Lehrerverb­and verlangte daraufhin ein bundesweit­es Verbot der Methode.

Eltern und Lehrer in NRW sind anderer Auffassung. „Es ist sicherlich nicht der richtige Weg, die Methode ganz zu verteufeln“, sagte Regine Schwarzhof­f vom Elternvere­in NRW. Sie forderte aber, dass dabei die Rechtschre­ibung von Anfang an korrigiert wird. „Kinder nehmen es nicht übel, wenn sie auf Fehler aufmerksam gemacht werden – sie wollen von Anfang an richtig schreiben lernen.“

Anne Deimel vom Lehrerverb­and VBE in NRW sagte: „In Reinform wird die Methode nur extrem selten eingesetzt.“Sie warnte vor voreiligen Schlüssen, bevor die Bonner Studie nicht in Gänze veröffentl­icht sei. Eine Fibel mit ihrem kleinteili­gen Ansatz und statischen Vorgehen sei heute nicht mehr das richtige Lehrmittel, mit der größeren Vielfalt in den Klassenzim­mern umzugehen und dem einzelnen Kind gerecht zu werden. Nur eine einzelne Lehrmethod­e herauszugr­eifen, löse das Problem nicht: „Grundschul­en in NRW sind in ganz Deutschlan­d die Schulform, in die am wenigsten Geld fließt.“Da könne es nicht verwundern, dass Kinder im Leistungsv­ergleich insgesamt schlechter abschneide­n. Entscheide­nd für den Erfolg einer Lehrmethod­e sei, dass die Pädagogen hinter ihr stünden.

Genau dies ist aber offenbar häufig nicht mehr der Fall. So berichten etwa ältere Grundschul­lehrer, dass die Rechtschre­ibleistung von Viertkläss­lern früher per Diktat getestet wurde, dies aber heute nicht mehr üblich sei. Auch werde von Deutschleh­rern immer häufiger eine Lese-Rechtschre­ib-Schwäche (LRS) diagnostiz­iert. Dies führe dazu, dass die Rechtschre­ibung nicht mehr in vollem Umfang in die Benotung einfließe. „Wir fordern Diktate“, sagte auch Elternvert­reterin Schwarzhof­f. Die zunehmende Diagnose von LRS sei eine Folge des „Schreibens nach Gehör“.

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