Rheinische Post Viersen

Mit Quanten zum Supercompu­ter

Quantentec­hnologie ermöglicht absolute Datensiche­rheit, neue Interaktio­n mit Maschinen und stellt heutige Rechner in den Schatten. Die Bundesregi­erung investiert mehr als eine halbe Milliarde Euro, um im Rennen zu bleiben.

- VON JAN DREBES

Was wäre, wenn Kommunikat­ion künftig nicht mehr abgehört werden könnte? Wenn kleinste Sensoren in unseren Körpern Veränderun­gen in den Zellen melden könnten, damit Ärzte Krebs bereits im Entwicklun­gsstadium bekämpfen könnten? Um solche Szenarien Wirklichke­it werden zu lassen, braucht es sogenannte Quantentec­hnologien. Und damit die in Deutschlan­d entwickelt und eingesetzt werden, hat die Bundesregi­erung ein neues Förderprog­ramm aufgelegt.

650 Millionen Euro sollen in dieser Legislatur in die Forschung und kooperiere­nde Unternehme­n fließen, damit die Bundesrepu­blik bei der Revolution nach der Digitalisi­erung nicht abhängig ist von Technologi­en aus anderen Staaten. Am Mittwoch will Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek (CDU) das Konzept ins Bundeskabi­nett einbringen und dort verabschie­den lassen. „Wo wir mit unserer heutigen auf Nullen und Einsen basierten Technik an Leistungsg­renzen stoßen, ermögliche­n Quanten völlig neue Entwicklun­gen und Vorstöße in bislang unbekannte Bereiche“, sagte Karliczek unserer Redaktion. „Wir stehen an der Schwelle zu einem entscheide­nden Fortschrit­t.“Es solle mehr gefördert werden, um bei der Quantentec­hnologie einen Vorsprung im internatio­nalen Wettbewerb zu erlangen. „Man kann diese Technologi­e ein wenig mit dem Sputniksch­ock vergleiche­n, als erstmals der Vorstoß mit einem Satelliten in den Weltraum gelang“, sagte Karliczek.

Was die Technik aus Sicht vieler Forscher so vielverspr­echend macht, ist die Abkehr von bisherigen Gesetzen der klassische­n Physik. Heutige Computer arbeiten digital, sie funktionie­ren auf Grundlage mathematis­cher Prozesse. Quanten hingegen existieren in der Realität, es sind Lichtteilc­hen mit besonderen Eigenschaf­ten. Schon heute sind Technologi­en im Einsatz, die sich Quanteneff­ekte zu Nutze machen. Elektronis­che Halbleiter nutzen Prinzipien der Quantenphy­sik. Das bekanntest­e Produkt der ersten Quantenrev­olution ist der Laser. Heute ist er in unzähligen Produkten verbaut, vom einfachen CD-Spieler bis zu Hochleistu­ngsinstrum­enten in der Medizin.

Jetzt, da sind sich Forscher einig, steht die zweite große Quantenrev­olution bevor. Aber während insbesonde­re deutsche Mittelstän­dler bei dieser ersten Entwicklun­gsstufe der Quantentec­hnologien führend waren, könnten sie jetzt ins Hintertref­fen geraten. Große Institute und Unternehme­n liefern sich ein Wettrennen darum, wer zuerst einen universell nutzbaren Quantencom­puter baut. Die chinesisch­e Regierung plant ein zehn Milliarden Dollar teures Forschungs­institut zur Entwicklun­g von Quantencom­putern, das 2020 seinen Betrieb aufnehmen soll. IBM hat bereits erste Maschinen zu Testzwecke­n an die größte US-Bank JP Morgan Chase gegeben, Google forscht ebenfalls unter Hochdruck.

Verstecken müssen sich die Deutschen aber nicht. Was es nur sehr selten woanders gibt, ist die hiesige Verschränk­ung von Forschung und Industrie. Auf dem Weg zum Quantencom­puter wurden bereits an anderen Stellen Durchbrüch­e erzielt, besonders vielverspr­echend sind Entwicklun­gen bei der Kommunikat­ionstechni­k, der Sensorik und der Bildgebung für die Medizin.

„Sprache oder die Eingabe über eine Tastatur könnten überflüssi­g werden, wenn kleinste Quantensen­soren im Gehirn formuliert­e Gedanken aufgreifen und umsetzen“, prognostiz­iert Andreas Tünnermann, Direktor am Fraunhofer-Institut für angewandte Optik und Feinmechan­ik in Jena. Menschen mit körperlich­er Beeinträch­tigung könnten so Assistenzs­ysteme präzise steuern und damit aktiver am Leben teilhaben, so der Forscher. Stefanie Barz, Professori­n an der Universitä­t Stuttgart, ist Spezialist­in für Quantenkom­munikation. Sie weist darauf hin, dass erstmals Kommunikat­ion völlig sicher sein könnte. Neu ist bei der Quantenkom­munikation, dass Botschafte­n nicht als Zahlen übertragen werden, sondern in Form von Lichtteilc­hen. Diese sind miteinande­r verschränk­t, sodass ein solches Photonenpa­ar auf Gedeih und Verderb mit der Informatio­n verbunden ist. Trennt man dieses Paar, ist es möglich, eines der beiden Lichtteilc­hen etwa per Satellit über weite Strecken zu versenden. Der damit transporti­erte Schlüssel kann aber nicht kopiert oder verändert oder abgefangen werden. All das würde bewirken, dass die Botschaft zerstört wird. Sie ist nur für Empfänger und Sender einsehbar. Und es geht noch weiter: Mit der Quantentec­hnologie wäre es sogar möglich, die bisher auf großen Zahlen basierende­n Verschlüss­elungen zu knacken. „Es ist daher wichtig, in der Forschung und Umsetzung vorne mit dabei zu sein“, sagte Barz. Tünnermann arbeitet mit seinen Kollegen an einem System, das ins Weltall geschickt werden soll, um dort erste Tests in der Quantenkom­munikation zu ermögliche­n. „Wenn sich das System bewährt, könnte es künftig ein Baustein für ein sichereres Kommunikat­ionsnetz zwischen allen europäisch­en Metropolen geben“, glaubt Tünnermann.

Und das, obwohl Deutschlan­d selbst beim Breitbanda­usbau massiv hinterherh­inkt? Forscher winken ab. Bis die Quantentec­hnik zum breiten Einsatz kommt, werden noch einige Jahre vergehen. Und dennoch: Das Rennen läuft längst. Gleichzeit­ig hat die Politik auch die Gesellscha­ft im Blick. In Regierungs­kreisen heißt es, die Möglichkei­ten dieser Technologi­en seien so groß, dass sie erhebliche Auswirkung­en auf Wirtschaft und Gesellscha­ft haben können und auch sicherheit­spolitisch von hoher Relevanz sind. „Deswegen ist es auch wichtig, dass wir die Menschen informiere­n, in Schulen, an Hochschule­n, im Beruf, dass sie verstehen und mitgehen können“, sagte Karliczek. Angesichts der Komplexitä­t der Technik dürfte das aber auf absehbare Zeit ein frommer Wunsch bleiben.

„Wir stehen an der Schwelle zu einem entscheide­nden Fortschrit­t“

Anja Karliczek Bundesfors­chungsmini­sterin

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