Ende der Trauerzeit
Die Polizei hat im Hambacher Forst wieder damit begonnen, Baumhäuser abzubauen. „Aktivisten“besetzten eine Kohlebahn im Abbaugebiet. Ein Gutachten von Greenpeace urteilt: Eine Rodung des Walds sei noch nicht notwendig.
KERPEN Fünf Tage nach dem tragischen Unfalltod eines 27-jährigen Journalisten, der von einer Hängebrücke gestürzt war, sind am Montag im Hambacher Forst die Räumungsarbeiten wieder aufgenommen worden. Am Vormittag rückte die Polizei an, um mit schwerem Gerät die übrigen sogenannten Tripods und illegal errichteten Baumhäuser abzubauen. Die Räumung wurde nicht an der Unfallstelle fortgesetzt. Aus Pietätsgründen, wie ein Polizeisprecher sagte. Zu einer privaten Gedenkveranstaltung sollten dort auch die Eltern des jungen Mannes kommen, hieß es in den sozialen Medien.
„Die Polizisten werden wie bisher im Rahmen einer von den Bauordnungsämtern der Stadt Kerpen und des Kreises Düren beantragten Vollzugshilfe tätig“, teilte das NRW-Ministerium des Inneren mit. Bei den Baumhäusern handele es sich um illegal errichtete Bauwerke, die zu einer Gefahr für die Bewohner werden könnten, so das Ministerium. „Vertreter aller Behörden appellieren an die Besetzer, sich gesetzeskonform zu verhalten und die Baumhäuser zu verlassen“, hieß es weiter.
Bis zum Nachmittag waren laut Polizei 43 der geschätzten 60 Baumhäuser geräumt. Die Polizei war davon ausgegangen, dass insgesamt bis zu 60 Hütten zu räumen sind, stellte diese Zahl jetzt aber in Frage: Möglicherweise seien in den letzten Tagen neue Hütten entstanden. Widerstand seitens der Waldbesetzer wurde am Montag kaum geleistet – auf jeden Fall nicht gewalttätig. „Bis jetzt alles ruhig“, twitterte Monika Düker, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Düsseldorfer Landtag, am frühen Montagnachmittag aus dem Baumhausdorf namens „Kleingartenverein“im Hambacher Forst.
Außerhalb des Waldes wurde eine Kohlebahn im Tagebau Hambach von „Aktivisten“blockiert und somit die Kohle-Zufuhr in die Kraftwerke Neurath und Niederaußem unterbrochen. Laut eines RWE-Sprechers hätten sich acht „Aktivisten“in beiden Richtungen unterhalb der Gleise im Braunkohlerevier verkettet. Ein Lokführer habe Handzeichen bemerkt und bremsen können.
Der Kölner Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann (Grüne) kritisierte die Fortführung der Räumungen. „Ohne Vorankündigung in der Öffentlichkeit beendet die NRW-Landesregierung die Trauerphase und lässt jetzt wieder Baumhäuser durch die Polizei räumen“, schrieb Lehmann bei Twitter. „Dabei werden auch Bäume gerodet – entgegen des Rodungsverbotes bis Oktober.“
Aachens Bischof Helmut Dieser hat alle Beteiligten aufgerufen, auf jegliche Anwendung von Gewalt zu verzichten. So dürften die Sicherheitskräfte nicht angegriffen werden. Sie würden nur ihre Arbeit verrichten. „Wer ausführt und auszuführen hat, was demokratisch gewollt und juristisch bestätigt wurde, darf nicht diskriminiert werden“, so Dieser.
Derweil ist ein von Greenpeace in Auftrag gegebenes Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass die geplante Rodung des Waldes zumindest in diesem Jahr noch nicht nötig ist. Der Abbaubetrieb könnte auch ohne die Zerstörung des Waldes fortgesetzt werden. Der Energiekonzern RWE würde daher mit einer Rodung möglicherweise gegen geltendes Recht verstoßen, erklärt die von Greenpeace beauftragte Rechtsanwältin Cornelia Ziehm. Den rechtlichen Bestimmungen zufolge sei demnach eine Rodung nämlich nur erlaubt, sobald sie für den Betrieb unerlässlich sei. Umweltschützer fordern einen Aufschub, bis die derzeit tagende Kohlekommission einen Plan für den Kohleausstieg vorlegt. Erlaubt ist eine Rodung mit Blick auf den Artenschutz zwischen dem 1. Oktober und 28. Februar.
Laut RWE würde die Rodung rund zehn Wochen dauern. Aus Konzernsicht sei die Abholzung des Hambacher Forsts unvermeidbar, um die Stromproduktion in den Braunkohlekraftwerken zu sichern.