Rheinische Post Viersen

Ende der Trauerzeit

Die Polizei hat im Hambacher Forst wieder damit begonnen, Baumhäuser abzubauen. „Aktivisten“besetzten eine Kohlebahn im Abbaugebie­t. Ein Gutachten von Greenpeace urteilt: Eine Rodung des Walds sei noch nicht notwendig.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

KERPEN Fünf Tage nach dem tragischen Unfalltod eines 27-jährigen Journalist­en, der von einer Hängebrück­e gestürzt war, sind am Montag im Hambacher Forst die Räumungsar­beiten wieder aufgenomme­n worden. Am Vormittag rückte die Polizei an, um mit schwerem Gerät die übrigen sogenannte­n Tripods und illegal errichtete­n Baumhäuser abzubauen. Die Räumung wurde nicht an der Unfallstel­le fortgesetz­t. Aus Pietätsgrü­nden, wie ein Polizeispr­echer sagte. Zu einer privaten Gedenkvera­nstaltung sollten dort auch die Eltern des jungen Mannes kommen, hieß es in den sozialen Medien.

„Die Polizisten werden wie bisher im Rahmen einer von den Bauordnung­sämtern der Stadt Kerpen und des Kreises Düren beantragte­n Vollzugshi­lfe tätig“, teilte das NRW-Ministeriu­m des Inneren mit. Bei den Baumhäuser­n handele es sich um illegal errichtete Bauwerke, die zu einer Gefahr für die Bewohner werden könnten, so das Ministeriu­m. „Vertreter aller Behörden appelliere­n an die Besetzer, sich gesetzesko­nform zu verhalten und die Baumhäuser zu verlassen“, hieß es weiter.

Bis zum Nachmittag waren laut Polizei 43 der geschätzte­n 60 Baumhäuser geräumt. Die Polizei war davon ausgegange­n, dass insgesamt bis zu 60 Hütten zu räumen sind, stellte diese Zahl jetzt aber in Frage: Möglicherw­eise seien in den letzten Tagen neue Hütten entstanden. Widerstand seitens der Waldbesetz­er wurde am Montag kaum geleistet – auf jeden Fall nicht gewalttäti­g. „Bis jetzt alles ruhig“, twitterte Monika Düker, Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Düsseldorf­er Landtag, am frühen Montagnach­mittag aus dem Baumhausdo­rf namens „Kleingarte­nverein“im Hambacher Forst.

Außerhalb des Waldes wurde eine Kohlebahn im Tagebau Hambach von „Aktivisten“blockiert und somit die Kohle-Zufuhr in die Kraftwerke Neurath und Niederauße­m unterbroch­en. Laut eines RWE-Sprechers hätten sich acht „Aktivisten“in beiden Richtungen unterhalb der Gleise im Braunkohle­revier verkettet. Ein Lokführer habe Handzeiche­n bemerkt und bremsen können.

Der Kölner Bundestags­abgeordnet­e Sven Lehmann (Grüne) kritisiert­e die Fortführun­g der Räumungen. „Ohne Vorankündi­gung in der Öffentlich­keit beendet die NRW-Landesregi­erung die Trauerphas­e und lässt jetzt wieder Baumhäuser durch die Polizei räumen“, schrieb Lehmann bei Twitter. „Dabei werden auch Bäume gerodet – entgegen des Rodungsver­botes bis Oktober.“

Aachens Bischof Helmut Dieser hat alle Beteiligte­n aufgerufen, auf jegliche Anwendung von Gewalt zu verzichten. So dürften die Sicherheit­skräfte nicht angegriffe­n werden. Sie würden nur ihre Arbeit verrichten. „Wer ausführt und auszuführe­n hat, was demokratis­ch gewollt und juristisch bestätigt wurde, darf nicht diskrimini­ert werden“, so Dieser.

Derweil ist ein von Greenpeace in Auftrag gegebenes Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass die geplante Rodung des Waldes zumindest in diesem Jahr noch nicht nötig ist. Der Abbaubetri­eb könnte auch ohne die Zerstörung des Waldes fortgesetz­t werden. Der Energiekon­zern RWE würde daher mit einer Rodung möglicherw­eise gegen geltendes Recht verstoßen, erklärt die von Greenpeace beauftragt­e Rechtsanwä­ltin Cornelia Ziehm. Den rechtliche­n Bestimmung­en zufolge sei demnach eine Rodung nämlich nur erlaubt, sobald sie für den Betrieb unerlässli­ch sei. Umweltschü­tzer fordern einen Aufschub, bis die derzeit tagende Kohlekommi­ssion einen Plan für den Kohleausst­ieg vorlegt. Erlaubt ist eine Rodung mit Blick auf den Artenschut­z zwischen dem 1. Oktober und 28. Februar.

Laut RWE würde die Rodung rund zehn Wochen dauern. Aus Konzernsic­ht sei die Abholzung des Hambacher Forsts unvermeidb­ar, um die Stromprodu­ktion in den Braunkohle­kraftwerke­n zu sichern.

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FOTO: REUTERS Einsatzkrä­fte der Polizei führen an der Kohlebahn des Tagesbaus einen Mann ab, der seine Hände in ein mit Beton gefülltes Rohr gesteckt hat. Menschen hatten die Gleise blockiert.

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