Rheinische Post Viersen

Auf Kauder zielen, Merkel treffen

Die Wahl des Fraktionsc­hefs der Union wird zur Machtprobe zwischen Merkel-Lager und den Verfechter­n einer schnellen Erneuerung der Union. An der Wahl hängst auch Merkels Zukunft.

- VON GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

BERLIN Das gab’s noch nie in der Unionsfrak­tion: Für die Wahl des Vorsitzend­en werden acht Kabinen aufgestell­t, damit die Entscheidu­ng der Abgeordnet­en wirklich geheim bleibt. Bei der Wahl zum Fraktionsc­hef am Dienstagna­chmittag geht es um viel für die Union. Manche sagen sogar, es gehe um alles.

Sonst war die Wahl des Fraktionsv­orsitzende­n immer Routine bei CDU/CSU. Die Satzung schreibt vor, dass ein Jahr nach einer Bundestags­wahl der Fraktionsc­hef noch einmal gewählt werden muss - dann bis zum Ende der Wahlperiod­e. Seit Kanzlerin Angela Merkel regiert, macht Volker Kauder den Job des Fraktionsc­hefs. Sie will, sie besteht darauf, dass die Position auch weiter einnimmt. Bislang folgten die Abgeordnet­en immer ihrem Wunsch. Kauders Wahl war Routine.

Nun ist alles ungewiss. Mit Fraktionsv­ize Ralph Brinkhaus hat Kauder erstmals einen Gegenkandi­daten. Der Mann ist kein Zählkandid­at. Er lieferte eine beeindruck­ende Vorstellun­g in der Fraktion ab. Und viele Abgeordnet­e sehnen sich in der wohl letzten Amtszeit Merkels nach einem Signal der Erneuerung, nach Aufbruch. Es ist mehr als ein Hauch von Rebellion, der über der sonst als Kanzlerwah­lverein verspottet­en Union liegt.

Erfahrene Abgeordnet­e unterschei­den zwischen Kopf- und Bauchgefüh­l: Der Bauch verlange nach einem Zeichen der Erneuerung, der Kopf sage, eine Abwahl von Kauder werde Merkel schwächen und die Koalition destabilis­ieren - gar das Ende der Ära Merkel einleiten. Vor allem jüngere Abgeordnet­e können sich einen Wechsel an der Fraktionss­pitze sehr gut vorstellen. Deshalb hat sich die Stimmung in den letzten Wochen auch gedreht. Sah es Anfang September noch nach einer 70:30 oder gar 80:20-Entscheidu­ng zugunsten des Amtsinhabe­rs aus, sagen jetzt gut vernetzte Unionsabge­ordnete: „Das wird kein Selbstläuf­er für Volker Kauder.“Zumal es quasi zur Jobbeschre­ibung eines Fraktionsc­hefs gehört, dass er keine Scheu hat, sich auch unbeliebt zu machen. Kauder musste in den 13 Jahren mit Merkel etliche umstritten­e Entscheidu­ng durchdrück­en. Samthandsc­huhe hat er dafür nie angezogen.

Nun der Herausford­erer: Brinkhaus tritt nicht so polternd auf wie Kauder. In der Fraktion genießt er Ansehen. Bei der Wahl zum Vize-Chef erhielt er 99 Prozent der Stimmen. Kauder als Fraktionsc­hef bekam am gleichen Tag nur 77 Prozent. Brinkhaus’ Anhänger freuen sich, dass er bei der Vorstellun­g in der letzten Sitzungswo­che punkten konnte, indem er sich nicht gegen Kauder persönlich stellte, jedoch klar umrissen habe, was die Unionsabge­ordneten seit langem vermissen. Zum Beispiel: ernst genommen zu werden. Das Lavieren der Bundesregi­erung im Fall Maaßen hat viele darin bestärkt, dass die derzeitige­n Führungspe­rsonen an der Spitze von Regierung und Fraktion die Fäden nicht mehr in der Hand haben.

Viele sind auch am Tag vor der entscheide­nden Abstimmung noch unentschlo­ssen, ist zu hören. Sie hätten sich gewünscht, dass Merkel selbst einen Vorschlag zur Erneuerung gemacht und sich so neuen Rückhalt geschaffen hätte. Es gibt auch solche, die ohne eine Kandidatur von Brinkhaus gegen Kauder gestimmt hätten, nun aber für den langjährig­en Fraktionsc­hef votieren werden, weil sie nicht klar sehen, wer hinter Brinkhaus steht. Sie fragen sich zum Beispiel, ob sie damit eine Personalie für die nächsten sechs bis acht Jahre festzurren und zugleich den Brinkhaus-Vertrauten Gesundheit­sminister Jens Spahn indirekt auf die Spur bringen.

Als tief gespalten gilt die NRW-Landesgrup­pe, aus der Brinkhaus stammt. Hinter verschloss­enen Türen warnt Landesgrup­penchef Günther Krings vor den Folgen einer Wahl Brinkhaus. Nicht wenige in der NRW-Landesgrup­pe fürchten, Merkel könne durch eine Niederlage Kauders so beschädigt sein, dass sie sich nicht mehr bis zum Ende der Wahlperiod­e im Amt halten kann. In der NRW-Fraktion sitzen zugleich viele Kauder-Kritiker, die zugleich auf Distanz zur Kanzlerin sind: der Außenexper­te Norbert Röttgen gehört dazu, ebenso der Vorsitzend­e der Mittelstan­dsvereinig­ung, Carsten Linnemann. Der aus NRW stammende JU-Chef Paul Ziemiak hat oft genug bei den jungen Leuten und den Fraktionsn­eulingen um Aufbruch geworben. Ein klares Bekenntnis für den einen oder anderen Kandidaten legt allerdings am Tag vor der Wahl niemand ab.

Auch die CSU-Landesgrup­pe ist undurchsch­aubar. Dabei haben sowohl Parteichef Horst Seehofer als auch Alexander Dobrindt bei einer Klausurtag­ung der CSU-Bundestags­abgeordnet­en keinen Zweifel an ihrer Unterstütz­ung für Kauder aufkommen lassen. Der geringe Rückhalt aus der Fraktionsf­ührung für Seehofer in den Auseinande­rsetzungen mit Merkel hat jedoch bei manchem Christsozi­alen Zweifel hinterlass­en. Allerdings weiß auch ein Christsozi­aler nach der Anreise aus dem Wahlkreis: „Die Sehnsucht nach Chaos hat in den letzten Tagen dramatisch abgenommen.“

Per Akklamatio­n hat sich die Landesgrup­pe Baden-Württember­g hinter ihr Mitglied Volker Kauder gestellt. Doch wagen Insider die Prognose, dass das Bestehen auf acht Wahlkabine­n auf einen möglichen Unterschie­d zwischen öffentlich­em Bekenntnis und persönlich­er Entscheidu­ng hindeutet. Offenbar soll nicht einmal der Sitznachba­r ahnen, wo man sein Kreuz tatsächlic­h macht.

Kauder-Befürworte­r wedeln derzeit intensiv mit Posten und Ämtern, die die Wortführer in der Fraktion Kauder zu verdanken hätten. Und sie weisen darauf hin, dass die Kanzlerin sowohl im Kabinett als auch beim Posten der CDU-Generalsek­retärin bereits deutliche Signale der Erneuerung gesetzt habe und es angesichts der besonders wackligen Situation in der Koalition an der Fraktionss­pitze auf größtmögli­che Erfahrung ankomme.

In der rheinland-pfälzische­n CDU-Landesgrup­pe meldeten sich dem Vernehmen nach beim Thema „Fraktionsv­orsitz“vor allem Kauder-Unterstütz­er zu Wort. Wie groß gleichwohl der Anteil derer sein wird, die für Brinkhaus stimmen, blieb dabei offen. Aus der thüringisc­hen Landesgrup­pe heißt es, es gebe eine klare Tendenz für Brinkhaus. Allerdings wies Landesgrup­penchef Manfred Grund darauf hin, dass es keine Probeabsti­mmung gegeben habe, es daher kein klares Bild gebe. Alexander Dobrindt (CSU) Verkehrsmi­nister Norbert Röttgen (CDU)

Vorsitzend­er des Auswärtige­n Ausschusse­s Hermann Gröhe (CDU) Stellv. Fraktionsv­orsitzende­r Carsten Linnemann (CDU) Vorsitzend­er Mittelstan­dsvereinig­ung Gesundheit­sminister Anja Karliczek (CDU) Bildungsmi­nisterin Unsere Grafik zeigt, wie die Abgeordnet­en grundsätzl­ich gegenüber Fraktionsc­hef Volker Kauder eingestell­t sind. Ob sie in der geheimen Wahl am Dienstag auch entspreche­nd abstimmen werden, ist offen. Volker Kauder (CDU) Unionsfrak­tionschef Sylvia Pantel (CDU) Düsseldorf­er Bundestags­abgeordnet­e

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FOTOS: DPA (8), IMAGO | GRAFIK: FERL
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