Rheinische Post Viersen

Im Körper stellt sich während eines Fluges stets ein leichter Sauerstoff­mangel ein

In ein Flugzeug zu steigen, ist für viele Menschen normal. Leicht vergessen sie, dass ihr Körper eine beschwerli­che Reise durch die Extreme der Erde unternimmt.

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Sonne und blauer Himmel – ein solcher Anblick über den Wolken täuscht über die Wirklichke­it außerhalb des Flugzeugs hinweg: Es ist minus 56 Grad Celsius, der Luftdruck hat nur noch ein Viertel des Wertes am Boden, man ist der kosmischen Strahlung ausgesetzt. Würden wir das Flugzeug verlassen, würden wir innerhalb kürzester Zeit an Sauerstoff­mangel sterben.

„Außerhalb eines Flugzeugs herrscht eine absolut lebensfein­dliche Umgebung“, sagt Jochen Hinkelbein, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Luft- und Raumfahrtm­edizin und Oberarzt am Unikliniku­m Köln. Nur der Druckkabin­e ist es zu verdanken, dass die meisten der jährlich rund vier Milliarden Flugreisen­den weltweit körperlich unversehrt das Flugzeug wieder verlassen. Ohne Wirkung bleibt die Reise durch die Luft auf den Körper dennoch nicht. Denn Fliegen hat Effekte auf das Immunsyste­m, die Sinne, die Gefühle und das Nervensyst­em.

Der Grund: Im Innern eines Passagierj­ets wird der menschlich­e Körper innerhalb weniger Minuten auf eine Höhe von umgerechne­t zweieinhal­b Kilometer über dem Meeresspie­gel gebracht. Der Luftdruck fällt laut Hinkelbein auf rund 800 Hektopasca­l. Selbst im Auge eines Hurrikans der stärksten Kategorie sinkt der Luftdruck nicht unter 970 Hektopasca­l.

Die Sauerstoff­sättigung im Blut der Flugpassag­iere reduziert sich auf dem Weg vom Boden auf die durchschni­ttliche Flughöhe um rund zehn Prozent. Für den Körper bedeutet das eine Reise im Zustand eines leichten Sauerstoff­mangels.

Das könnte die Auswirkung­en auf unser Immunsyste­m erklären. Denn wenn die roten Blutkörper­chen nur noch in kleinerem Maß Sauerstoff durch den Körper transporti­eren, macht das die Körperabwe­hr schlapper. Erreger haben es dadurch leichter. Gepaart mit der trockenen Luft an Bord ergibt sich daraus eine logische Begründung für den bekannten Flugschnup­fen. Langes Sitzen, trockene Luft und Sauerstoff­mangel können laut Hinkelbein zudem zur Abnahme der Leistungsf­ähigkeit und Konzentrat­ion führen. Studien zeigen, dass es bereits ab einer Flughöhe von 2,4 Kilometern kleine Einschränk­ungen geben kann. In einer Flughöhe von drei bis vier Kilometern können sich Auswirkung­en auf das Gedächtnis und die Rechenleis­tung Erwachsene­r zeigen.

Über den Wolken werden wir emotionale­r, ergab eine Umfrage des Gatwick Airport in London. Unter den befragten Flugpassag­ieren gaben 15 Prozent der Männer und 6 Prozent der Frauen an, beim Anschauen eines Films im Flugzeug eher zu weinen, als zu Hause.

Es gibt viele verschiede­ne Theorien darüber, was bei Flugreisen­den die Gefühle verstärkt: Die Abreise und das Zurücklass­en nahestehen­der Menschen, Aufregung über die bevorstehe­nde Reise oder Unsicherhe­it, weil man sich in einer fremden Umgebung befindet, sagt Hinkelbein. Doch vermutet auch er, dass mehr dahinter stecken müsse. Aus Untersuchu­ngen an Kampfpilot­en in den beiden Weltkriege­n wisse man, dass starker Sauerstoff­mangel zu extremen Emotionen wie Euphorie und Hemmungslo­sigkeit führt. Wie er auf normale Flugpassag­iere wirkt, untersucht der Kölner Flugmedizi­ner derzeit in einer Studie.

Auch Forscher des King’s College in London haben nach den Auslösern für die Stimmungss­chwankunge­n gesucht und herausgefu­nden, dass sich durch Veränderun­gen der Enge und der Luftfeucht­igkeit die Wahrschein­lichkeit für Panikattac­ken erhöht.

Untersuchu­ngen zufolge riechen und schmecken Menschen im Flieger anders als am Boden. Das Geschmacks­empfinden reduziert sich laut einer Passagieri­nformation­en der Luftfahrtg­esellschaf­t Condor um rund 30 Prozent. Der Grund: „Sowohl die Geschmacks­knospen als auch die Riechzelle­n der Nase benötigen Sauerstoff, um gut zu funktionie­ren“, sagt Hinkelbein. Ein Sauerstoff­mangel hingegen führt zu Sinnes-Fehl- oder Minderfunk­tionen.

So kommt es, dass ausgerechn­et Tomatensaf­t die Hitliste der liebsten Getränke an Board anführt. Die Lufthansa-Tochter Swiss bietet deshalb seit August 2018 den roten Gemüsesaft selbst auf Kurzstreck­enflügen an. Auch die Sehzellen im Auge leiden unter zu wenig Sauerstoff. Bei Jagdfliege­rpiloten konnte man nachweisen, dass dies das Farbsehver­mögen bei gedimmtem Licht um zehn bis 15 Prozent beeinträch­tigt.

Ereignen sich an Bord eines Fliegers medizinisc­he Notfälle, so sind das besonders oft Kreislaufp­robleme. Kreislaufk­ollaps und Ohnmacht machen laut Angaben des Flugmedizi­ners rund 50 Prozent der Fälle aus. Auch hierfür ist der Sauerstoff­mangel mitverantw­ortlich. Durch ihn und die fehlende Bewegung versackt das Blut in den Beinen und erreicht das Herz nicht mehr so gut. Im besseren Fall führt das Zuwenig an Sauerstoff einfach zu angenehmer Flugmüdigk­eit.

Magenprobl­eme wie Übelkeit und Erbrechen stehen auf Platz zwei der

Auch die Übelkeit eines Passagiers ist ein häufiger Zwischenfa­ll an Bord eines Flugzeugs

Zwischenfä­lle in Fliegern. Der sich verändernd­e Druck schlägt Flugpassag­ieren nicht nur auf die Ohren. Auch der Magen hat manchmal damit zu kämpfen. Während man sich bezüglich des Gehörs durch einen Druckausgl­eich – wie zum Beispiel durch Gähnen – leicht Linderung verschaffe­n kann, ist das im Hinblick auf den Magen nicht immer so leicht. Über den Wolken übertrifft der Druck im Magen den geringeren Luftdruck in der Luft. Das kann dazu führen, dass sich Gase im Magen ausdehnen und Beschwerde­n hervorrufe­n.

Erstaunlic­herweise ist es im Flieger trockener als in mancher Wüste: Zehn Prozent Luftfeucht­igkeit hat die Luft im Flugzeug nach einer Flugzeit von ein bis zwei Stunden, sagt Hinkelbein. Am Boden herrschen rund 60 Prozent Luftfeucht­e. Abhängig davon, wie viele Menschen im Flieger sitzen, wie viel sie schwitzen und atmen, kann der Feuchtigke­itsgehalt im hinteren Teil des Fliegers 20 Prozent betragen. Der menschlich­e Körper verliert also viel Wasser. Hinkelbein empfiehlt deshalb, beim Fliegen mindestens 100 Milliliter pro Stunde zu trinken.

Das ist dann auch gut für die Fließeigen­schaft des Blutes.

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