Der Schauspieler ist in Til Schweigers „Klassentreffen 1.0“im Kino zu erleben. Er spricht übers Älterwerden, seine Heimat Bulgarien und Horst Seehofer.
BERLIN Samuel Finzi muss nicht lange suchen. Zur Einstimmung auf das Interview will der Schauspieler erst einige private Fotos zeigen. Ein paar Mal wischt er über das Display seines Handys und schon erscheinen zwischen den aktuellen Schnappschüssen von seiner Frau und den Kindern alte Schwarz-Weiß-Bilder. Fotos seiner Abiturklasse, aufgenommen vor 33 Jahren. Mit fast übermütiger Freude scrollt der 52-Jährige durch die Aufnahmen, kommentiert lachend ausgelassene Kostümpartys, Ausflüge an den See und die Zeugnisübergabe. „Die Schulzeit hat mich schon sehr geprägt“, sagt er. „Wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft!“
Sie sind Sie zurzeit in Til Schweigers „Klassentreffen 1.0 – die unglaubliche Reise der Silberrücken“im Kino zu sehen. Da geht es um drei Männer und die skurril turbulenten Erlebnisse beim Ehemaligen-Treffen. Wie war Ihr letztes Klassentreffen?
FINZI Ich hatte mir fest vorgenommen, dass ich es zum 30-Jährigen nach Sofia schaffe. Aber dann kam leider, wie immer, beruflich etwas dazwischen. Das hat mich geärgert.
Haben Sie viel verpasst?
FINZI Selbstverständlich! Es wurde getanzt und getrunken bis morgens um drei Uhr. Alles schön wie immer also, nur dass einige Wein bestellt haben und erst später auf Wodka umgestiegen sind. Ich habe hinterher Bilder gesehen und mir die Leute, die ich aus den Augen verloren habe, ganz genau angeschaut. Einige haben mich etwas erschrocken. Wie alt man doch mit 52 aussehen kann!
Denkt man nicht immer, dass nur die Anderen alt sind?
FINZI Vielleicht. Aber es geht nicht um eine verlorene Haarpracht oder ein paar Falten. Mir kommt es so vor, als hätten einige schon vor langer Zeit aufgehört, Widerstand zu leisten und das schmerzt.
Sie haben ziemlich bald nach der Schule und dem Studium Bulgarien verlassen und sind nach Berlin gegangen.
FINZI Ich wollte immer raus. Auch weil ich das Gefühl hatte, dass mein Lebensweg in Bulgarien schon so fertig war. Meine Mutter ist Pianistin, mein Vater ein ziemlich bekannter Schauspieler. Ich bin im Milieu der Künstler groß geworden, kannte alle und hatte das Gefühl, dass da nicht mehr viel kommen konnte.
In Deutschland kannten Sie niemanden.
FINZI Deutsche, das waren für mich damals die Touristen an der Schwarzmeerküste. Die DDR-Hippies trugen kurze Hosen und Sandalen, die Mädchen waren blond. Sie tranken Rotkäppchen-Sekt und fuhren Trabant. Wir haben uns über ihre akkurate Art lustig gemacht. Ich sprach kein Wort Deutsch, als ein Kollege meines Vater mir einen Job in Berlin anbot. Aber darüber habe ich mir keinen Kopf gemacht sondern einfach nur gedacht: Das lernst du schon.
Wie viel von der Leichtigkeit von damals haben Sie sich erhalten? FINZI Ich mache immer noch große Sprünge und denke, dass man sich die Überraschungen, die das Leben bereithält, nicht entgehen lassen sollte. Wenn etwas schief geht, pflegt mein Vater zu sagen: „Je schlimmer desto besser.“Von ihm habe ich die Überzeugung, dass am Ende alles gut wird und ich auch negative Erfahrungen für mich positiv nutzen kann. Das Leben ist ein Spiel, das Schlimmste was passieren kann ist, dass ich sterbe.
Das ist doch dramatisch.
FINZI Aber es passiert eh irgendwann. Wobei ich zugebe, dass ich im Moment skeptisch bin. Ich sehe nichts Gutes um mich herum, sehe wie wir daran arbeiten, dass diese wunderbare Welt zu Grunde geht. Ich habe lange gebraucht, um zu akzeptieren, dass es einfach dumme Menschen gibt. Früher glaubte ich, dass es unterschiedliche Logiken gibt. Aber irgendwann habe ich erkannt, dass es einfach Dinge gibt, die dumm sind. Nicht nur nach meinen sondern, nach allgemeinen Kriterien. Dass Trump illegale Einwanderer mit Tieren vergleicht zum Beispiel ist dumm. Oder dass Seehofer sich freut, wenn an seinem 69. Geburtstag 69 Asylsuchende abgeschoben werden.
Sind Sie vielleicht strenger in der Beurteilung anderer geworden? FINZI Nein, ich glaube die Dummheit dehnt sich aus. Sie wird gesellschaftlich toleriert, und es wird ständig von allen Seiten schamlos Propaganda betrieben. In der Gegenwart neigen Menschen dazu, wahnsinnig schnell eine Meinung zu entwickeln, und sie werden unglaublich moralisch. Aber mutige und konsequente Haltungen zu entwickeln, zu halten und argumentativ zu vertreten, das wird immer weniger.
Wie reagieren Sie auf Dummheit? FINZI Ich ziehe mich zurück. Ich bin nicht in sozialen Netzwerken unterwegs, wo jeder seine Meinung ungefragt kundtut. Ganz oft denke ich dann: „Was kümmert mich, was Du denkst!“Wenn man auf jeden Unfug reagiert, beißt man sich die Zähne aus! Und man kann ja auch niemanden verprügeln.
Sie sind vor einigen Monaten von der Côte d‘Azur zurück nach Berlin gezogen. Warum?
FINZI Das nennt man heute wohl Down-Sizen. Ich hatte zwei Wohnsitze und bin zwischen Berlin und Frankreich gependelt. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich wie eine Maschine bin und Gefahr laufe, mich selbst zu verlieren. Das war alles etwas viel.
So viel, dass Sie es nicht zum Klassentreffen geschafft haben?
FINZI Solche und andere Momente haben mir zu denken gegeben. Vorsorglich habe ich die Stopp-Taste gedrückt. Zurück auf Anfang! Jetzt wohnen wir hier zur Miete und ich habe Zeit, die Kinder von der Schule abzuholen. Seither fühle ich mich heute freier und konzentrierter.