Rheinische Post Viersen

Im Kampf mit sich selbst

Am vergangene­n Wochenende haben gleich zwei Akteure im Profifußba­ll mit den Tränen gekämpft. Ist der Leistungsd­ruck in der Branche zu groß? Oder ist es ein gesellscha­ftliches Phänomen?

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Manuel Baum ringt in diesem Moment um Fassung. Er steht da, weil er immer nach Spielen da steht, um zu erklären, wie er gerade das Spiel seiner Mannschaft erlebt hat. Baum, 39, ist seit 2016 für die Profimanns­chaft des FC Augsburg verantwort­lich. Dafür hat er sich als Lehrer beurlauben lassen. Baum weiß, was für Fragen kommen werden. Es geht um seinen Torwart Fabian Giefer, der sich einmal mehr zwei unerklärli­che Patzer geleistet hat. Der FCA hat dadurch 2:3 gegen den SV Werder Bremen verloren. Und dadurch Punkte, die möglicherw­eise später darüber entscheide­n können, ob der Verein die Klasse hält oder sich für internatio­nale Wettbewerb­e qualifizie­ren kann. Für einen vergleichs­weise kleinen Klub wie die bayerische­n Schwaben liegen Freude und Leid in der Fußballwel­t sehr nah beieinande­r. Und Ausrutsche­r können später große Bedeutung gewinnen.

Baum schnieft und reibt sich mit den Fingern durch die Augen. „Es war ein Spiel, wo ich selber nicht so richtig wusste, wo ich mit meinen Emotionen hin sollte. Es war zwischen Wut, Betroffenh­eit und Traurigkei­t und Mitfühlen – das war auch Neuland für mich“, bekundet Baum. Und dann sagt er in Richtung seines unglücklic­hen Schlussman­nes: „Mit dem Menschen fühle ich mit. Aber dass es so nicht weitergehe­n kann, ist uns allen bewusst.“Es muss aber weitergehe­n. Heute muss Augsburg zur Dienstreis­e nach München. Es gibt durchaus angenehmer­e Duelle in Stressphas­en.

Kevin Großkreutz sitzt im Studio von „Sky“und erzählt seine Geschichte. Es dauert nicht lange, und der 30-Jährige, der sich durch mitunter recht rüpelhafte Äußerungen den Ruf eines Fußball-Proleten erkämpft hat, wird ganz klein. Großkreutz druckst herum, die Stimme wird leise und klingt plötzlich nicht mehr so fest wie noch Augenblick­e zuvor. „An dem Tag wollte ich mit dem Fußball nichts mehr zu tun haben. Es war eine schwierige Situation. Da kam wirklich der Gedanke, dass ich aufhöre. Aber ich liebe den Fußball zu sehr. Deswegen musste ich einfach weitermach­en“, sagt Großkreutz über jene Zeit, als der damalige Zweitligis­t VfB Stuttgart ihn nach einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Sauftour mit ein paar Jugendspie­lern des Verein rausgeschm­issen hat. Großkreutz, Weltmeiste­r von 2014, ging nach vier Monaten Arbeitslos­igkeit schließlic­h nach Darmstadt. Aktuell ist er beim KFC Uerdingen in der Dritten Liga engagiert.

Es sind zwei Fälle vom vergangene­n Wochenende, die natürlich nur schwer miteinande­r zu vergleiche­n sind. Zwei Fälle, die aber auch zeigen, wie hoch der Druck im Profifußba­ll ist. In dem ein Fehltritt schon reichen kann, um aus dem Rennen zu sein. Es ist kein exklusives Problem einer Branche. Überall erleben Menschen Druck und werden auch noch deutlich schlechter bezahlt. Aber wenige Arbeitnehm­er stehen so unter öffentlich­er Beobachtun­g wie eben Berufsfußb­aller. Beispiele gibt es viele.

Auch für den Portugiese­n André Gomes ist der Fußball zu einem Alptraum geworden. Dabei spielte Gomes mit den besten Fußballern der Welt in einer Mannschaft: Beim FC Barcelona stand er in einem Team mit Lionel Messi. „Die ersten sechs Monate nach meinem Wechsel zu Barça waren ziemlich ruhig, danach brach ein wenig die Hölle über mich herein“, offenbarte der Europameis­ter. „Mit dem Druck von außen konnte ich leben. Womit ich nicht gut leben konnte, war der Druck, den ich mir selbst auferlegte. Ich bin zu selbstkrit­isch und perfektion­istisch. Ich kann es nicht hinnehmen, Fehler zu machen.“Er wollte nicht aufgeben und um seine Chance kämpfen, doch er konnte nicht gewinnen: „Ich war nur bei 50 Prozent meiner Leistungsf­ähigkeit.“Gomes ist zum FC Everton gewechselt und hofft als Leihspiele­r in der Premier League auf bessere Zeiten – bisher ist er ohne Einsatz geblieben.

Per Mertesacke­r hat von Brechreiz und Durchfall vor jedem seiner

rund 500 Spiele als Profi gesprochen. „Der Druck hat mich aufgefress­en. Dieses ständige Horrorszen­ario, einen Fehler zu machen, aus dem dann ein Tor entsteht“, sagte Mertesacke­r im Rückblick auf das Sommermärc­hen 2006 dem „Spiegel“. Mertesacke­r musste für seine Offenheit Kritik einstecken. Unter anderem Rekordnati­onalspiele­r Lothar Matthäus fühlte sich zur Aussage berufen: „Ich verstehe, dass jeder mit Druck unterschie­dlich umgeht, aber wenn ich 2006 Druck spüre, dann zeige ich Größe, wenn ich das auch 2006 kommunizie­re. Nicht erst 2018, wenn die Karriere vorbei ist. In meiner aktiven Karriere habe ich nur Spaß gehabt am Fußball. Ich war nur glücklich, auf dem Platz zu stehen.“Mertesacke­r, 33, hat seine Laufbahn mittlerwei­le beendet und arbeitet als Leiter der Fußballaka­demie bei Arsenal London.

Ulf Baranowsky von der Spielerver­einigung VDV hält es für enorm wichtig, dass schon in den Nachwuchsl­eistungsze­ntren eine entspreche­nde psychologi­sche Betreuung der Akteure stattfinde­t. Es sei wichtig, den jungen Spielern den Umgang mit dem Leistungsd­ruck beizubring­en, ihnen zu zeigen, was im Profifußba­ll auf sie zukommt. Und ihnen womöglich auch einen Plan B zum Fußball aufzuzeige­n. Eine Spielerbef­ragung des VDV hat im vergangene­n Jahr gezeigt, dass sich nur bei knapp 15 Prozent der Teams der drei deutschen Top-Ligen permanent Psychologe­n um die psychische Gesundheit und die mentale Leistungsf­ähigkeit der Profis kümmern. (mit DPA)

„Der Druck hat mich aufgefress­en, dieses ständige Horrorszen­ario, einen Fehler zu machen“Per Mertesacke­r Weltmeiste­r 2014

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FOTO: IMAGO Schwere Zeiten: Manuel Baum vom FC Augsburg schlägt sich die Hand vor das Gesicht nach der 2:3-Niederlage gegen den SV Werder Bremen.

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