Rheinische Post Viersen

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Vater hatte Frühdienst gehabt und war danach zu seinem Bruder geradelt, der es nicht leicht hatte, weil ihm die Frau gestorben war. Er hatte nur schnell den Tannenbaum im Ständer festgemach­t, einen Eimer mit Wasser und einen mit Sand daneben gestellt und war verschwund­en.

Und Mutter murmelte immer wieder vor sich hin: „An allen Feiertagen dasselbe Spiel. Der Satan kann es einfach nicht ertragen, wenn es mal schön ist.“Während sie schimpfte, begoss sie die Gans, schnitt Rotkohl in feine Streifen, füllte eingeweckt­es Apfelkompo­tt in Schüsseln, rieb Kartoffeln für die Klöße und legte Plätzchen auf die guten Weihnachts­teller, die ich im Kindergott­esdienst geschenkt bekommen hatte.

An Heiligaben­d hatten wir Kleinen immer ganz allein nach vorn zum Altar gehen müssen, um den Teller abzuholen, auf dem in goldener Schrift „Weihnachte­n“und die Jahreszahl gemalt war, und ihn zu unserem Platz zurückzutr­agen. Ich hatte immer solche Angst gehabt, ich könnte ihn fallen lassen.

Die Plätzchen – Heidesand, Makronen und Berliner Brot – hatte Mutter ganz allein gebacken, abends, wenn ich schon im Bett gewesen war.

Sie ließ mich auch nicht mithelfen, als sie jetzt den Tannenbaum mit den Silberkuge­ln schmückte, nicht einmal beim Lametta.

„Ganz fein muss man das reinmachen. Die meisten pfeffern es einfach in dicken Bündeln rein, schrecklic­h sieht das aus.“

Ich musste auf dem Sofa sitzen und Dirk die Pulla geben.

„Darf ich wenigstens die Vögel reinmachen?“

Zwei kleine Silberglas­vögel mit weißen Seidenschw­änzen, die Mutter von ihrer Oma geerbt hatte.

„Na gut.“Mutter nahm mir Dirk ab. „Aber sei vorsichtig!“

Als sie die bunten Teller fertig machte, wollte sie mich nicht dabeihaben.

Sie gab mir die Tannenzwei­ge, die Vater abgesägt hatte, damit der Baum in den Ständer passte. „Leg die mal auf den Esstisch, damit es schön weihnachtl­ich aussieht.“

Bei den bunten Tellern wollte ich sowieso nicht dabei sein. Sie waren aus Pappe mit gewelltem Rand, und sie rochen bitter. Wie der ganze Karton, in dem der Baumschmuc­k und die Kerzenhalt­er waren. Vielleicht weil er das ganze Jahr über im Keller stand oder auf dem Speicher.

Wenn Mutter eine neue Weihnachts­serviette daraufgele­gt hatte, war es nicht mehr ganz so schlimm.

Ich wusste ja auch, was auf den Tellern sein würde: bei Vater ganz viele Nüsse zum Knacken und getrocknet­e Feigen, bei mir Goldmünzen, Sputniks und Päckchen mit Schokolade­ntäfelchen in buntem Stanniolpa­pier. Und für jeden von uns Marzipanka­rtoffeln, eine Apfelsine und ein roter Apfel, den Mutter mit einem Küchenhand­tuch ganz glänzend poliert hatte.

Ich mochte Äpfel und auch Apfelsinen, aber ich konnte sie nicht schälen, ich bekam nicht einmal einen Finger in die Schale gebohrt. Mutter machte mir dann immer eine Lotusblume. Die Apfelsinen­schale sah aus wie die Blätter, und in der Mitte war die Blüte, aus der ich die Stücke herausnehm­en konnte. Dafür nahm Mutter das gute Obstmesser mit dem Bambusgrif­f, das sie sonst nie benutzte.

Der Esstisch sah sehr festlich aus mit der Weihnachts­decke, die Mutter als kleines Mädchen bestickt hatte. Sie hatte sie letzte Woche nach dem Waschen durch einen Brei aus „Hoffmanns Ideal Stärke“und Wasser gezogen, und nach dem Trocknen und Bügeln war sie so hart gewesen, dass wir die Ecken umbiegen mussten.

Auf den guten Tellern mit dem Goldrand lagen Servietten mit Nikoläusen drauf.

Ich legte die Tannenzwei­ge geschickt um die beiden roten Kerzen herum, die in der Mitte standen, so konnte man nicht sehen, dass sie nur mit Wachstropf­en auf Untertasse­n geklebt waren.

Es klingelte an der Haustür – das musste Opa sein – aber es war nur Fräulein Maslow, die noch ein paar Eier brauchte.

„Bitte entschuldi­gen Sie, es ist mir furchtbar peinlich . . . an so einem Tag wollte ich nicht hintenrum . . . die ganzen Plätzchen und Kuchen . . . man vertut sich ja doch immer . . . oh, Marzipan . . . das ist mein liebstes!“

„Meins auch“, hörte ich Mutter sagen. „Letztes Jahr, als ich die Marzipanka­rtoffeln auf die Teller tat, wurde mir plötzlich übel. Da wusste ich, was die Uhr geschlagen hatte.“

Sogar Dirk wurde festlich angezogen mit einem weißen Hemd, roter Fliege und grüner Weste. Das hatte alles Tante Liesel geschickt.

Mutter kämmte ihm eine Löckchento­lle, legte ihn in den Laufstall, den wir, genau wie den Kinderwage­n, von Tante Metas Tochter ausgeliehe­n hatten, und band sich eine weiße Sonntagssc­hürze um.

„Sie müssen jeden Moment hier sein. Wo bleibt der Kerl bloß? Immer muss er mir alles verderben!“

Aber Vater war doch noch rechtzeiti­g zum Essen da und trank ein Bier mit Opa.

Und Opa sagte „Ströppken“zu mir und nahm mich auf den Schoß.

Dann war Bescherung.

Ich bekam tatsächlic­h einen Plattenspi­eler, dunkelrot, mit Stecker und Batteriefa­ch, der Deckel war gleichzeit­ig der Lautsprech­er.

Und freute mich. Auch über die Platten.

Mutter und Vater schenkten mir „Schuld war nur der Bossa Nova“von Manuela, und von Gitte und Rex „Im Stadtpark die Laternen“.

Opa schenkte mir auch zwei Platten, Tante Meta hatte sie einzeln in Weihnachts­papier eingepackt und um jede eine rote Schleife gebunden. „Ich will ’nen Cowboy“und „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut“.

Vater musste lachen, als er die Plattenhül­le sah. „Ein Neger mit Seppelhut!“

„Billy Mohr“, sagte Tante Meta und lachte auch.

Mutter hatte noch ein Geschenk für mich: eine selbstgest­rickte Jacke im Norwegermu­ster, bordeauxro­t und weiß. Ich fragte mich, ob Barbara wohl die gleiche Jacke bekommen hatte, nur in anderen Farben, aber ich sagte nur danke und zog sie sofort an. Sie war mir zu groß.

„Du wächst immer so schnell“, sagte Mutter, als ich die Ärmel hochschob.

Ich war so gespannt auf die Pakete, die der Postbote in den letzten zwei Wochen gebracht hatte. Wir hatten sie nicht aufgemacht, weil ja Weihnachts­geschenke drin waren.

Ein Päckchen war nur an mich adressiert, und es war von Peter. Das wollte ich als letztes auspacken.

(Fortsetzun­g folgt)

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